Interview: Nicole Audrit    Foto: www.Slawik.com

Wie die meisten Säugetiere und auch der Mensch nehmen Pferde Gerüche hauptsächlich über die Nase wahr. Allerdings besitzen sie zusätzlich noch ein zweites Sinnesorgan zur Geruchswahrnehmung: das Jacobson-Organ. Um Gerüche damit detailliert und intensiv zu analysieren, flehmen Pferde. Was es mit dem Flehmen generell auf sich hat, erklärt Dr. Barbara Schöning, Fachtierärztin für Verhaltenskunde (www.struppi-co-verhaltenstherapie.de).

Wie sieht es aus, wenn ein Pferd flehmt?

Das Pferd streckt beim Flehmen den Kopf und den Hals mit hochgezogener Oberlippe nach vorn und leicht nach oben. Dabei wird die Oberlippe soweit angehoben, dass die Zähne, das Zahnfleisch und die Gaumenseite sichtbar werden. Die Nüstern sind fast geschlossen und der Mund leicht geöffnet. Normalerweise atmen Pferde ausschließlich durch die Nase ein und aus. Beim Flehmen atmen die Tiere jedoch stoßartig und tief durch das Maul ein. Aufgrund der Lippenposition wird der Eingang zum Jacobson-Organg freigelegt und bedingt durch die Kopfhaltung erlaubt der Kehlkopf, dass eine größere Menge Luft eingeatmet wird. Dabei wird dann sehr viel Luft auch durch das Jacobson-Organ „gezogen“. Dieses wird auch als Vomeronasalorgan bezeichnet und dient der Geruchswahrnehmung.

Warum Flehmen Pferde?

Flehmen dient der intensiven Geruchswahrnehmung und ist damit Teil der olfaktorischen Kommunikation, also der Kommunikation mithilfe von Gerüchen. Der Geruch dient unter anderem der Erkennung einzelner Herdenmitglieder sowie der Bestimmung des Geschlechts und des Hormonstatus. Das Flehmen dient der intensiveren Wahrnehmung und Bestimmung verschiedener Gerüche. Daher flehmen Pferde meistens bei sehr interessanten, ungewöhnlichen Gerüchen – insbesondere wird dieses Verhalten auch im Zusammenhang mit der Fortpflanzung beobachtet. Hengste können so herausfinden, ob die Stute paarungsbereit ist. Außerdem flehmen Pferde bei unbekannten Gegenständen oder Situationen, um die neuen Gerüche zu analysieren. Manche Pferde flehmen auch als Zeichen des Wohlbefindens, zum Beispiel bei intensiven Streckbewegungen, oder des Unwohlseins, wie bei einer Kolik oder einem Magengeschwür.

Durch das Flehmen gelangen die Geruchspartikel an das Jacobson-Organ, dessen Eingang sich an der Kante zwischen Zahnfleisch und Oberlippe befindet. Das Organ selbst liegt zwischen dem weichen und harten Gaumen des Oberkiefers. Es ist mit sehr empfindlicher Riechschleimhaut ausgestattet, wodurch eine intensive Geruchsanalyse ermöglicht wird. Evolutionsbedingt spielt die Geruchswahrnehmung generell eine wichtige Rolle für das Überleben und die Fortpflanzung. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Pferde im Vergleich zum Menschen ungefähr die zehnfache Gehirnmasse für die Geruchswahrnehmung haben. Die Informationen werden vom Jacobson-Organ direkt ins Gehirn weitergeleitet und dort verarbeitet. Dies ist besonders im Fall von unbekannten Gerüchen, die eine potenzielle Gefahr bedeuten könnten, für das Fluchttier Pferd überlebenswichtig. Der gut entwickelte Geruchssinn der Pferde warnte diese schon früh vor möglichen Fressfeinden, aber auch vor verdorbenem oder giftigem Futter.

Wenn ein Pferd flehmt, sieht es aus, als würde es lachen. Daher wird dieses Verhalten immer häufiger als kleines Kunststückchen eingeübt und bietet einen großen Unterhaltungswert. Für diesen Trick kommt es sehr auf den Charakter und das Talent des Pferdes an und nicht jedes Pferd eignet sich für diesen Trick. Bietet das Pferd dieses natürliche Verhalten selbstständig an, kann es einfach auf ein Kommando konditioniert werden. Einige Personen versuchen, das natürliche Verhalten durch das Auftragen von streng riechenden Cremes auf die Nüstern zu erreichen. Dies kann schnell der empfindlichen Riechschleimhaut des Pferdes schaden und sollte unterlassen werden. Man kann dem Pferd allerdings einen unbekannten Geruch, beispielsweise mithilfe einer Ingwerwurzel, hinhalten, sodass das Pferd eventuell anfängt zu flehmen.

Können auch andere Tiere Flehmen?

Alle Säugetiere besitzen das Jacobson-Organ und flehmen somit zur intensiveren Gesuchswahrnehmung. Bei Haustieren ist dieses Verhalten durch das engere Zusammenleben auffälliger und wird häufiger wahrgenommen als bei wildlebenden Tieren. Jedoch zeigen beispielsweise auch Katzen, Hunde, Nashörner und Tiger dieses Verhalten. Dem Menschen hingegen fehlt das Jacobson-Organ, beziehungsweise es sind nur noch rudimentäre Anlagen vorhanden. Manchmal erinnert eine bestimmte Mimik des Menschen an das Flehmen: Diese wird meist bei Ekel eingesetzt und hat nichts mit der Geruchswahrnehmung zu tun.