Text: Inga Dora Schwarzer, Aline Müller, Lara Wassermann Foto: Getty images
Pferde sind Steppen-, Herden, Flucht- und Beutetiere und zeigen dementsprechende Verhaltensweisen. Für den Reiter ist es wichtig zu verstehen, warum sie so und nicht anders reagieren. Je mehr er über die Bedürfnisse weiß, desto eher kann er unerwünschtes Verhalten verhindern und für Wohlbefinden sorgen
Zugvögel zieht es in den Süden, Bienen automatisch zum Wabenbau. Diese Verhaltensmuster sind vom Instinkt der Tiere gesteuert. Auch unsere Pferde haben ihre Instinkte trotz Domestikation durch den Menschen nicht abgelegt. Bei ihnen stellt sich ein unwillkürlicher Drang oder die unmittelbare Tendenz ein, etwas Bestimmtes zu tun. Die Vierbeiner sind aber auch lernfähig. So kann der Mensch bestimmte Instinkthandlungen, wie das Fluchtverhalten bei Gefahr, durch die Ausbildung minimieren.
Angeboren sind sozialen Verhaltensweisen der Pferde. „Als Sozialverhalten bezeichnen wir alle Verhaltensweisen, die gegen einen Sozialpartner (Artgenossen) oder ein anderes befreundetes Tier gerichtet sind und auf dessen Reaktion/Aktion abzielen“, erklärt Susanne Grun, studierte Pferdepsychologin und Pferdeverhaltenstherapeutin aus Rosenheim (Bayern). Dazu gehören alle Aktivitäten, die zur innerartlichen Verständigung und Kommunikation dienen, sowie alle Formen der Kooperation, z. B. gegenseitige Körperpflege, oder der Konfrontation, wie etwa aggressive Konflikte um eine Ressource.
Sozialerfahrung im Fohlenalter
Das gegenseitige Lesen und Verstehen der Körpersprache muss aber erst einmal erlernt werden. „Aus diesem Grund ist es für die soziale Entwicklung unserer Fohlen und Jungpferde so enorm wichtig, dass wir es ihnen ermöglichen, in Gruppen aufwachsen zu können“, berichtet Susanne Grun. Hatte ein Jungpferd beispielsweise nur die eigene Mutter als Sozialpartner, fehlt ihm eine ausreichende Sozialerfahrung in seinen ersten Lebensjahren. „Diese Tiere bleiben ihr Leben lang problematisch, sobald sie in engeren Kontakt mit anderen Pferden treten“, erzählt Grun. „Sie eignen sich dann auch nicht für die Gruppenhaltung, da das Leben in der Herde für sie Stress bedeutet und entweder ihr eigenes Verletzungsrisiko oder das der anderen Pferde überproportional hoch ist“, weiß die erfahrene Pferdetrainerin.
Soziales Verhalten lässt sich im Erwachsenenalter nicht mehr antrainieren, soziales Fehlverhalten nicht mehr korrigieren. „Hier empfehle ich dann die Einzelhaltung in einer hellen, geräumigen Paddock-Box, mit Kontakt zu Artgenossen“, so die Ausbilderin. Es gibt aber auch Rassen, die ein ererbtes einzelgängerisches Wesen mit einem großen Individual-Abstand haben, z. B. Andalusier, Lusitanos, Lipizzaner oder auch viele Traber. Bei ihnen beobachtet die Expertin häufig, dass sie unverträglich werden, wenn ihre Individualdistanz unterschritten wird oder sie (vom Menschen) dazu gezwungen werden, ein kleines Areal zu bewohnen. In der Herde weiden sie meist allein oder nur mit ihrem Fohlen und schließen sich weniger gern zu den sonst üblichen Gruppen zusammen. „Im Stall neigen diese Rassen oft dazu, sogenannte Boxenschläger zu werden, weil sie die für sie zu dicht auf- gestallten Pferde vertreiben möchten“, erklärt die Verhaltenstherapeutin.
Kurz gesagt: Wenn wir Menschen es den Pferden nicht möglich machen, ihre Sozialerfahrungen zu machen und ihre eigene, individuelle Distanz zu berücksichtigen, entstehen früher oder später unerwünschte Verhaltensweisen oder -auffälligkeiten. Das passiert auch, wenn ihr Ausdrucksverhalten falsch von uns interpretiert wird.
Bewegung muss sein
Neben dem Bedürfnis, in einer Herde zu leben, steht der Drang, sich zu bewegen, ganz oben auf ihrer Prioritätenliste. Allein bei der Nahrungsaufnahme bewegen sie sich in der Natur zwölf bis 16 Stunden am Tag im langsamen Schritt vorwärts.
Den kompletten Artikel finden Sie in der neuen Mein Pferd- Ausgabe.