Text: Kerstin Börß      Foto: imago images/ ZUMA Press

Totilas, der schwarze Hengst, der einst furiose Weltrekorde aufstellte, ist bereits seit fünf Jahren Rentner. Nun hat das „Wunderpferd“ seinen 20. Geburtstag gefeiert – als mittlerweile tausendfacher Vater.

Lebende Legende, Jahrhundert-hengst, Superstar oder auch der „lackschwarze Zauberer mit seinen weißen Ballettschuhen“ – Totilas trägt viele Namen. Die meisten dieser Schöpfungen stammen von dem ARD-Pferdesportexperten Carsten Sostmeyer, der seiner Begeisterung immerzu wortgewandt freien Lauf ließ, sobald der tiefschwarze Hengst das Dressurviereck betrat.

Die schönste Formulierung für den Rappen kreierte der Kommentator während der Grand Prix Kür bei den Weltreiterspielen in Lexington im US-Bundesstaat Kentucky: „Ein Pferd, das wie aus einer unterirdischen Fabelwelt emporgestiegen zu sein scheint, um die Welt zu verzaubern“, waren im Herbst 2010 seine bewundernden Worte. Und Totilas bestätigte diese Lobeshymnen und verzauberte alle Menschen, die ihm zusahen. „Das Kunstwerk auf vier Beinen“ (Sostmeyer) gewann Gold mit 91,800 Prozent – und mehr als fünf Prozentpunkten Vorsprung. Dieser Erfolg war bereits der dritte Sieg in Kentucky für Totilas und seinen niederländischen Reiter Edward Gal. Bereits wenige Tage zuvor siegten sie mit der niederländischen Mannschaft und waren auch bei der Einzelwertung im Grand Prix Special ganz oben auf dem Podium gestanden. Dreimal Gold bei Weltreiterspielen – das war zuvor noch keinem Pferd-Reiter-Gespann gelungen 
Dieser Dreifach-Erfolg kam jedoch keineswegs überraschend. Schließich war der damals zehnjährige Hengst als Weltrekord-Pferd angereist.

Bei der Europameisterschaft im englischen Windsor war im Jahr zuvor sein Stern auf internationaler Ebene aufgegangen. Während die deutschen Dressurreiter in den Einzeldisziplinen ohne Medaille blieben, trumpften die Niederländer auf. Mitglieder des Teams Oranje entschieden alle Wettbewerbe für sich. Doch keiner beeindruckte so sehr wie Totilas. „Das war der größte Sport, den wir jemals erlebt haben“, wurde damals der britische Chefkampfrichter Stephen Clarke in einem FAZ-Artikel zitiert. Da hatten Totilas und Gal gerade die Grand Prix Kür mit der Rekord-Wertung von 90,750 Prozent gewonnen. Niemand hatte bis dato eine Wertung über 90 Prozent erzielt. 
Doch damit nicht genug, auch auf dem Weg zum Mannschaftstitel für die Niederlande konnte das Duo mit einem Ergebnis von 84,085 Prozent eine Weltrekord-Marke aufstellen. Besonders wenn der muskulöse Hengst in seinem kraftvollen Trab die Vorderbeine in die Höhe warf, staunte die Dressur-Welt. So etwas hatte man noch nie gesehen. Der Begriff „Wunderpferd“ war geboren. Doch es gab auch kritische Stimmen: Unnatürlich seien die Bewegungen des Rappen, er ähnele einem Zirkuspferd, das habe mit klassischer Dressur nichts mehr zu tun. 
Totilas und Gal ließen sich weder von der Kritik noch von den Lobeshymnen beeinflussen und spulten ihr überaus erfolgreiches Programm im Dressurviereck weiter ab. Im Dezember 2009 verbesserten die beiden ihren eigenen Weltrekord, indem sie in der Londoner Olympia Grand Hall die Kür mit 92,300 Prozent gewannen.Beim CHIO im Sommer 2010 waren die nächsten Bestmarken fällig. Für die Vorstellung im Grand Prix Special räumten Pferd und Reiter gleich 28 Mal die Höchstnote 10 ab. Die Abstände zu den nächsten Konkurrenten in Aachen waren gigantisch. 
Kurz darauf folgte die dominante Vorstellung bei den Weltreiterspielen in Kentucky. Totilas war auf dem Olymp des Dressur-Sports angekommen. „Zehn ist nicht genug“, äußerte sich Kampfrichter Stephen Clarke damals zu den beeindruckenden Auftritten.

Solange es diese beiden gebe, könne kein anderes Duo gewinnen, das war die Meinung der vieler Experten innerhalb der Reitsport-Szene. 
Doch es kam anders. Auf das Jahr voller Höhepunkte folgte ein großer Bruch in Totilas‘ Karriere. Das Erfolgsduo wurde getrennt. Paul Schockemöhle kaufte das Niederländische Warmblut im Herbst 2010 für einen geschätzten, aber nie bestätigten Geldbetrag im unteren zweistelligen Millionen-Bereich. Das war eine gänzlich neue Dimension.
Während nun der ehemalige Springreiter Schockemöhle gemeinsam mit der ehemaligen Dressurreiterin und Sportfunktionärin Ann Kathrin Linsenhoff eine Eigentümergesellschaft bildete, rankten sich zahlreiche Gerüchte um die Frage, wer Totilas‘ neuer Reiter werden würde. Eine Inszenierung mit Licht-Show und geladenen Journalisten aus aller Welt brachte Licht ins Dunkel: Matthias Rath ritt ein. Der damals 26-Jährige hatte in den vorherigen Jahren schon einige Achtungserfolge mit seinem Pferd „Sterntaler-Unicef“ gesammelt. Bei den Weltreiterspielen und der EM war der Stiefsohn von Linsenhoff jeweils Teil des deutschen Bronze-Teams gewesen. 
Sein Vater Klaus Martin Rath war fortan der Trainer des neuen Gespanns. Und zunächst schien auch alles nach Plan zu laufen: Beim CHIO im folgenden Sommer dominierten Totilas und Rath das Geschehen. Aber es wurde deutlich mehr erwartet. Das Pferd, das drei WM-Medaillen geholt hatte und vor allem Millionen von Euro gekostet hatte, sollte nun auch für Deutschland Medaillen sammeln. Die EM 2011 in Totilas alter Heimat den Niederlande sollte den Anfang bilden. Mehr als Mannschafts-Silber gab es jedoch nicht. Im Grand Prix Special schrammten Rath und Totilas als Vierte am Podium vorbei, bei der Kür war es Platz fünf. Mit Blick auf die Olympischen Spiele 2012 wurde der Medaillendruck immer größer. Schließlich war Totilas nicht irgendein normales Dressur-Pferd. Er hatte zu diesem Zeitpunkt einen eigenen Online-Fanshop, in dem Starschnitte oder Polo-Shirts verkauft wurden. 
Während das Ansehen des Reitsports infolge zahlreicher Doping-Skandale gelitten hatte, war Totilas mit seinem Glanz in der Lage, Menschen wieder für den Sport zu begeistern. „Was besseres konnte dem Reitsport auch nach dieser Phase der Glaubwürdigkeitsprobleme nicht passieren, als so ein Pferd zu haben“, sagte Klaus Martin Rath in einer ZDF-Dokumentation vor den Olympischen Spielen 2012. 
Doch sowohl Pferd als auch Reiter konnten in dieser Maschinerie der großen Erwartungen nicht das abliefern, was von ihnen erwartet wurde. Matthias Rath erkrankte vor den Olympischen Spielen 2012 am Pfeifferschen Drüsenfieber. Die Reise nach London und damit auch die Chance auf olympische Medaillen fiel flach. Kurz darauf übernahm der Niederländer Sjef Janssen das Training. Mit diesem Wechsel kam auch Kritik an den Trainingsmethoden auf. So soll Janssen auf die umstrittene Rollkur zurückgegriffen haben – eine Methode, die auch bei Totilas‘ ehemaligem Reiter Edward Gal gesichtet wurde. 
Es schien zu diesem Zeitpunkt so, als hätte jeder, der im Reitsport etwas auf sich hält, zu Totilas etwas zu sagen. Aus dem einst so stolzen Pferd, das die Dressurvierecke dominierte, wurde nach dem Millionen-Deal immer mehr ein Objekt. Auch bei den Weltreiterspielen 2014 konnten Rath und Totilas den Medaillendurst nicht stillen. Totilas hatte sich selbst gegen das Überbein getreten und verletzte sich so schwer, dass die Teilnahme unmöglich war. Umso größer waren die Hoffnungen, als Rath und Totilas 2015 bei der Heim-EM in Aachen an den Start gehen konnten. Doch bereits während seines Auftritts für die Teamwertung lahmte der schwarze Hengst. Zur Einzelprüfung trat er bereits nicht mehr an. Die Karriere war wegen eines Knochenödems zu Ende.
 In den letzten Jahren ist es – man möchte fast sagen endlich – ruhig um Totilas geworden.

Der jetzt 20-jährige Rentner lebt auf dem Linsenhoff-Hof im Taunus. Doch ganz inaktiv ist er dann doch nicht. Als Deckhengst hat der KWPN-Hengst mit Trakehner-Blut schon über 1.000 Fohlen gezeugt. Im vergangenen Sommer kam es bei einem Turnier in Wiesbaden auch schon zum Kräftemessen der Söhne, dabei lagen „Total Recall“ – mit Rath auf dem Rücken – und „Top Gear“ nahezu gleich auf.