Text: Inga Dora Schwarzer      Foto: www.Slawik.com

Jeder Reiter wünscht sich ein ausgeglichenes, konzentriertes und motiviertes Pferd. Mentale Stärke erlangt es aber nur, wenn die Haltungs- und Trainingsbedingungen stimmen. Schützen Sie Ihr Pferd vor Stress und wecken Sie Glücksgefühle. Dann zeigt sich seine innere Kraft von ganz allein

Die Wissenschaft unterscheidet zwei Arten: Eustress (positiver Stress) und Disstress (negativer Stress). „Eustress dauert nur kurzfristig an und kann beispielsweise eine kurzfristige Trennung vom Sozialpartner sein, ein harmloser Tritt eines anderen Pferdes, ein negativer, sekundärer Verstärker wie die Gerte oder die Sporen, ein Sprung über ein unbekanntes Hindernis, das Berühren einer Stange oder das Reiten in einer neuen Umgebung (Lampenfieber). Hierbei wird der Körper in Alarmbereitschaft versetzt, die Atem- und Herzfrequenz, der Muskeltonus und die Immunabwehr werden erhöht. Die Einwirkung dieses kurzfristigen Stressors führt dazu, dass das Pferd eine erhöhte Aufmerksamkeit und verstärkte geistige Leistungsbereitschaft, aber auch eine verstärkte Fluchtbereitschaft aufweist. Dieser Stress ist jedoch nicht schädlich. Das Pferd und andere Lebewesen benötigen sogar eine gewisse Portion an Stresshormonen. Bei Gefahr beispielsweise sichern schnelle Entscheidungen das Überleben“, erklärt die Ausbilderin Corinna Engelke. Bei uns Menschen tritt Eustress in Situationen auf, die herausfordernd und schwierig sein können, aber gleichzeitig als lösbar empfunden werden, wie bei einem Vorstellungsgespräch, einer wichtige Uni- Prüfung oder einer Präsentation im Job.

Anders verhält es sich beim Disstress. Er weist den gegenteiligen Effekt auf, gilt als Krankmacher. „Disstress wirkt stärker und hält länger an. Die Pferde erleiden einen Kontrollverlust, weil sie den Stressor nicht abstellen können. Körper und Geist sind in dauerhafter Alarmbereitschaft. Nach und nach entgleisen die physiologischen Reaktionen, sodass das Pferd krank wird“, führt Engelke aus. Negativer Stress entsteht nicht nur durch andauernde Schmerzen, Krankheiten oder Überforderung, sondern oft durch Vermenschlichung. Aussagen wie „Das macht der mit Absicht!“ oder „Der will dich testen!“ suggerieren dem Pferd einen zielgerichteten Gedankengang. „Dieser Anthropomorphismus kann sowohl das Wohlergehen des Pferdes beeinträchtigen als auch eine erhöhte Unfallgefahr darstellen“, warnt Engelke. Zu den weiteren Ursachen zählen eine unpassende Herdenkonstellation sowie ein Mangel an Futter, Wasser, Platz, Raum oder Licht.

„Die Art und Anzahl von sozionegativen Ver- haltensweisen (z. B. Bisse und Tritte unter- einander) ist übrigens abhängig vom Platzangebot. Somit steigt das Aggressionslevel nachweislich bei sinkender Auslauffläche in Gruppenhaltungen“, so die Trainerin. Leiden wir Menschen unter Disstress, fühlen wir uns ständig überfordert und ängstlich, haben Sorgen, Konzentrationsstörungen und Stimmungsschwankungen.

Als Stressauslöser bei den Tieren gilt ferner die Unterforderung. In diesem Fall werden keine oder zu wenig Reize vom Pferd wahrgenommen. „Eine angemessene Anzahl an Außenreizen ist aber unerlässlich, um neue Verbindungen unter den Nervenzellen zu knüpfen, während andere bestehende Verknüpfungen wieder gelöst werden. Diese Fähigkeit eines Lebewesens, sich besser an seine Umwelt anzupassen, bezeichnet man als neuronale Plastizität. Sie ist zudem eine wichtige Basis für das Lernverhalten und um einen mentalen Ausgleich zu erfahren“, weiß die Trainerin. Mentale Unterforderung äußert sich in Langeweile, Antriebslosigkeit und Müdigkeit sowie in Verhaltensänderungen. „Aufgrund mangelhafter Haltungsbedingungen (reine Boxenhaltung mit Bewegungsmangel) und fehlender Möglichkeiten zur Stressregulation (Spielen mit Artgenossen) suchen Pferde nahezu nach neuen Reizen“, erläutert die Trainerin. Sie fressen plötzlich Späne oder knabbern an Gegenständen herum. Im schlimmsten Fall entstehen Verhaltensanomalien. „Die Tiere entwickeln Stereotypien, um ihren Stress zu bewältigen, und belohnen sich dafür selber, indem sie Glückshormone ausschütten. Das geschieht durch Koppen, Weben oder Kreisrennen. Sie zeigen zwanghafte und repetitive Handlungen, die nicht mehr unterbunden werden können, obwohl sie sich gar nicht mehr in der Stress auslösenden Situation befinden“, verdeutlicht die Expertin.

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