In unserer Märzausgabe dreht sich in der Titelgeschichte „Die Welt in deinen Augen“ alles um das Thema Missverständnisse und Konfliktlösungen. Und hier gibt es die ungekürzten Experteninterviews zum kostenlosen Download! Im Rahmen der Initiative „Verstehe Dein Pferd“, mit den Uelzener Versicherungen, haben wir uns mit den Ausbildern Dr. Britta Schöffmann und Peter Kreinberg unterhalten. Mag mich mein Pferd nicht, wenn es auf der Koppel nicht zu mir kommt? Ist mein Pferd einfach nur faul oder warum wendet es beim Longieren immer seine Hinterhand ab und bleibt stehen? Vertraut mir mein Pferd zu wenig, wenn es sich im Gelände erschrickt? Antworten auf diese und andere Fragen finden Sie in der aktuellen Ausgabe Mein Pferd.

Hier finden Sie die ungekürzten Interviews mit Peter Kreinberg und Dr. Britta Schöffmann:   INTERVIEW MIT PETER KREINBERG: Mein Pferd: Wie entstehen Missverständnisse mit dem Pferd? Peter Kreinberg: Über diese Frage könnte man ganze Bücher schreiben. Missverständnisse mit dem Pferd entstehen meiner Meinung nach generell, wenn sich Erwartungshaltungen von Pferdeleuten ihren Pferden gegenüber nicht realisieren lassen. Den Pferden wird allzu häufig dann ‚Nicht Wollen‘ unterstellt. Hier sind wir schon beim Kern der Dinge. In den meisten Fällen wird es sich aber aus den verschiedensten Gründen um ein ‚Nicht Können‘ handeln. Das Pferd wird schlichtweg geistig oder körperlich, beides geht übrigens meistens Hand in Hand, überfordert. Werfen wir zunächst einen Blick in die Vergangenheit. Da wurden an Pferde schlichte, simple erfüllbare Forderungen gestellt. Pferde hatten im Alltagsgeschehen des Menschen als Arbeitstiere bestimmte Funktionen am Boden, im Sattel oder vor der Kutsche auszuüben. Das Erlernen dieser Fähigkeiten war relativ simpel und die Problematik der Missverständnisse nach der ersten Lernzeit relativ gering. Pferde und Menschen sind Gewohnheitswesen. Alles, was wiederholt ausgeführt wird, wird zu einem Verhaltensmuster. Wenn sich Mensch und Pferd im Rahmen dieser Tätigkeiten bewegten ging es in der Regel um sinnvolle und zweckgebundene Tätigkeiten, bei denen Pferde ihre natürlichen Fähigkeiten in den Dienst des Menschen stellten und sich von ihm anleiten ließen. Missverständnisse entstanden hauptsächlich, wenn instinkt- und triebhaftes Verhalten eines Pferdes, wie z.B. Fluchtinstinkt und Herdentrieb das Arbeits- bzw. Gewohnheitsmuster des Pferdes überlagerte. Ich selbst habe meine Wurzeln in solcher zweckorientierten Funktions- oder Arbeitsbeziehung zum Pferd. Ich habe bei meinem Großvater noch gelernt, Pferde in allen landwirtschaftlichen Tätigkeiten zu handhaben. Später hatte ich Gelegenheit, die westernorientierte Rinderarbeit und Rancharbeit mit Pferden in der Praxis kennenzulernen und anzuwenden. Nur die wenigsten Reiterinnen und Reiter können heute auf solche wichtigen Erfahrungen zurückgreifen. Das zweckgebundene Zusammenwirken über viele Stunden jeden Tag formte eine partnerschaftliche Beziehung. Zusammenarbeit, Versorgung und Betreuung gehörten eng zusammen. Mensch und Pferd waren aufeinander angewiesen, teilten vergleichbare Unbequemlichkeiten und Freuden. Je besser man harmonisierte, desto leichter fiel beiden ungleichen Partnern die Arbeit. Es wurde nicht viel über Emotionen philosophiert; Mensch und Pferd verbrachten so viel Zeit miteinander beim gleichen Tun, dass ganz selbstverständlich eine starke Bindung entstand. Die Tätigkeiten ermüdeten beide gleichermaßen, das sorgte dafür, dass beide mit ihren Kräften ökonomisch umgingen. Solche Zweckgemeinschaften oder Sozialpartnerschaften gibt es in der heutigen Pferdeszene kaum mehr. Heute müssen Pferde in relativ unnatürlichem Umfeld irgendwelchen theoretischen, abstrakten Vorstellungen ‚ihrer‘ Menschen gerecht werden. Reiterinnen und Reiter entwickeln die Erwartung, dass ihr Pferd ein ‚richtig gehendes Reitpferd‘ oder ein ‚erfolgreiches Sportpferd‘ sein sollen. Und zwar nicht irgendwelche, sondern sehr spezielle: ein Dressurpferd, ein Springpferd, ein Westernpferd und dann z. B. ein Reining- oder Pleasure-Pferd. Pferde sollen beliebig Zirkuslektionen können und dem Menschen in ‚Freiheitsdressuren‘ zu Willen sein. Das alles sind aus der Sicht der Pferde nicht unbedingt sinnvolle arttypische und durch Gewöhnung und Wiederholung leicht verständlich erlernbare Aufgaben. Diese sinnentfremdete Zielsetzung in der Pferdenutzung ist den meisten Menschen nicht einmal bewusst, da solche Nutzungs- und die entsprechenden Haltungsformen inzwischen Normalität geworden sind.

Reiterinnen und Reiter kommen stundenweise in die Lebenswelt des Pferdes. Sie haben Vorstellungen, welche Rolle das Pferd erfüllen soll. Man will dem Pferd Neues beibringen, man will es ‚gymnastizieren‘, man will mehr Leistung oder nur ‚mal was anderes ausprobieren‘. Manche suchen die ‚Herausforderung‘ mit ‚schwierigen‘ Pferden, andere möchten sich selbst verwirklichen oder auf Turnieren platzieren oder siegen. Die wenigsten sind mit dem zufrieden, was ihnen ihre Pferde anbieten, fast jeder fordert und fühlt sich als ‚Ausbilder‘, ohne dass er das Ausbilden von Pferden wirklich gelernt hätte. Mein Großvater wäre nie auf die Idee gekommen, mir zu sagen: „Bring dem Pferd bei, ein Holzrückepferd zu werden“. Man lernte erst das Handwerk und daraus ergab sich irgendwann eventuell, dass man lernte, Pferden das Handwerk beizubringen. Bei der Reiterausbildung war es ähnlich. Es gab für die Menschen eine vorgeschaltete Ausbildung. Um Pferde für die Aufgabe vorzubereiten, musste man selbst die Aufgabe erlernt haben. Früher und heute gab es Missverständnisse im Zusammenwirken. Doch die Ursachen dafür sind in der heutigen Pferdewelt andere als früher. Schauen wir uns die Hauptursachen heute gängiger Missverständnisse an, so sind das meiner Erfahrung nach die folgenden: Erster Punkt: Die meisten Missverständnisse entstehen, weil Kompetenzen überschätzt werden. Pferdeleute überschätzen nicht selten ihre eigenen Kompetenzen oder die ihrer Pferde. Daraus entstehen Erwartungshaltungen, die Reiter oder Pferd nicht erfüllen können. Deswegen ist es für jeden Pferdefreund essenziell, dass er lernt, die eigenen Kompetenzen richtig einzuschätzen. Zweiter Punkt: Mangelnde Klarheit – der Mensch hat oft nur eine vage Vorstellung davon, was er vom Pferd haben möchte, was das Pferd tun oder leisten soll. Das Pferd hat naturgemäß eine ganz andere Vorstellung. Wir sind diejenigen, die in die Welt des Pferdes, in seine Vorstellung eindringen und sie zu verändern suchen. Ich bin der Meinung, wir haben zunächst nicht das Recht zu erwarten, dass das Pferd etwas richtig oder gerne tut. Für mich ist es normal, dass ein Pferd in seiner Lebenswelt kein Interesse hat, menschlichen Vorstellungen zu entsprechen. Zudem haben Pferde Gewohnheiten, speziell wenn sie in Haltungsformen leben, wie wir sie heute haben, ob nun Box, Offenstall oder Koppel, mit anderen zusammen, in einer großen Herde oder in einer Zweiergruppe. Gewohnheiten führen zu Verhaltensmustern und zu Bindungen. Wenn ich jemanden, der in Gewohnheiten verfangen ist – das gilt übrigens für Menschen und Pferde – aus seinen gewohnten Verhaltensmustern hinausdirigieren möchte, wird es zunächst Konflikte, Blockaden und Widerstände geben. Die gilt es durch ein intelligentes Trainingsprogramm nach und nach abzubauen. Dann haben wir einen dritten sehr wichtigen Punkt: Die Reflexe. Wir führen viele Handlungen gewohnheitsgemäß oder reflexiv aus, das ist bei Pferden genauso. Manch ein Mensch ist zu Schaden gekommen, weil er vom Pferd getreten, umgerannt oder geschleift wurde. Das ist sicher nicht der Fall, weil Pferde so aggressive Tiere sind, die dem Menschen vorsätzlich etwas Böses tun wollten. Vielmehr hat das Pferd bei solchen Vorkommnissen seinem instinktiven Verhaltensmuster folgend eine schnelle, reflexive Reaktion gezeigt, auf die der Mensch nicht vorbereitet war. Nach meiner Erfahrung haben die meisten Pferdebesitzer und Reiter weder ihre eigenen Reflexe unter Kontrolle, noch sind sie genügend auf die der Pferde vorbereitet beziehungsweise wissen um die ethologischen Zusammenhänge. Da nützt es auch nichts, wenn man sie eventuell theoretisch kennt. Nur mit entsprechendem Verhaltenstraining  oder Bewegungstraining sind solche Defizite abzubauen.

Vierter Punkt: Die Gefühle. Mehr als 80 Prozent der Menschen, die sich mit Pferden befassen, sind heute weiblichen Geschlechts. Die Pferdewelt war mal durch Männer geprägt, die ja bekanntermaßen eine komplett andere Gefühlsebenen haben. Zwar sollten Pferdeleute im Umgang und der Ausbildung emotionsneutral handeln, so die graue Theorie, aber in der Praxis sieht das ja anders aus. Mir ist wichtig, solche emotionsbedingten Ursachen zu erkennen und richtig einzuschätzen. Pferde sind heute Luxusgeschöpfe. Sie dienen den Besitzerinnen und Besitzern zur Freizeitgestaltung und nicht zum Broterwerb. Sie dienen als Kompensationsbereich, zur Selbstdarstellung, der Selbstfindung und nicht selten auch der Befriedigung des Ehrgeizes. Die Pferdewelt ist wie kaum ein anderes Gebiet ein Bereich, in dem Emotionen das tatsächliche Handeln bestimmen und immer wieder in den Vordergrund der Beziehung gerückt werden. Rationalität und Sachlichkeit rücken in den Hintergrund. Nicht selten wird dabei das Verhalten des Pferdes vermenschlicht. Daraus entstehen natürlich sehr viele Missverständnisse. Das Pferd ist kein Mensch, wird auch kein Mensch, wenn wir ihm entsprechende Namen gegeben und ihm Eigenschaften angedichtet werden. Mir ist klar, dass dies als eine sehr nüchterne Betrachtungsweise von mir erscheint. Ich möchte damit keinesfalls ausschließen, dass es da auch eine empathische Seite gibt. Die ist wichtig. Das Pferd als Mitgeschöpf zu sehen, das von uns abhängig ist, das anders ist und für das wir Verantwortung haben und mit dem wir mitfühlen sollten. Diese Emotionalität kommt nach meiner Einschätzung nicht selten etwas zu kurz. Echtes artgerechtes Mitfühlen statt Gefühlsduselei würde dem Wohl der Pferde besser guttun. Deswegen ist es meiner Meinung nach für Ausbilder wichtig, ihren Schülern zu helfen, die Gefühle gegenüber Pferden zu ordnen und Wege aufzuzeigen, Gefühle in angemessener Art und Weise dem Pferd so zu präsentieren, dass sie dem Pferd keine Probleme bereiten sondern seinem Wohlergehen dienen. Fünfter Punkt: Der Bewegungsaspekt. Pferde sollen sich und uns fortbewegen, deswegen haben wir Menschen sie ursprünglich mal in unsere Welt geholt. Soll Bewegung kontrolliert, sicher, locker und kräftesparend sein, so geht das nur in Balance. Bewegen muss entsprechend gelernt werden. Es geht also um Bewegungstraining. Koordination, Kraft, Ausdauer, Zielstrebigkeit und Sicherheit sind dabei die Hauptziele. Eine bedeutende Ursache für Missverständnisse in der Reiterei liegt in diesem Bereich und insbesondere in einer gestörten Balancesituation. Wenn ein Pferd nicht ausbalanciert ist, ist es automatisch unsicher. Es versteift sich reflexiv und ändert Tempo, Richtung oder Haltung. Der Reiter fühlt dann entsprechend Widerstände. Reflexiv versucht er nun seinerseits durch mechanische Einwirkung, meistens durch ziehen oder drücken, dagegen zu wirken. Oft wird der gefühlte Widerstand als Fehler oder Widersetzlichkeit gewertet und der Reiter versucht, sein Pferd deswegen in eine ‚richtige Haltung‘ zu zwingen oder zu es gar zu bestrafen. Dieser unsägliche Teufelskreis schaukelt sich auf und die Konflikte werden dadurch immer größer.

Der richtige Weg wäre, in dem Moment, wo das Pferd ein Balanceproblem hat, dies als die Ursache zu erkennen und jegliche mechanische Einwirkung erst einmal zu unterlassen. Sich dann darauf zu konzentrieren, wie man am wenigsten stört, behindert oder irritiert – also passiv wieder eine gemeinsame Bewegungsebene zu finden. Dann erst kann dem Pferd durch entsprechende Anleitung nach und nach geholfen werden, die Balance unter dem Reiter zu finden oder wieder zu finden. Daraus entwickelt sich bei guter reiterlicher Anleitung die Lockerheit, Beweglichkeit und Koordinationsfähigkeit, aus der Kraft, leistungsorientiertes Arbeiten und Spezialisierung in der Bewegung entwickelt werden können. Hier gibt es aus meiner Sicht auf der reiterlichen Ebene ein Kernproblem: Reiter neigen häufig viel zu früh und zu intensiv dazu, mechanisch einzuwirken. Die daraus entstehenden Balanceprobleme führen dann zu vielfältigen Missverständnissen. Dann haben wir da noch einen sechsten wesentlichen Punkt: die Verständigung. Pferde verständigen sich untereinander in ihrem sozialen Kontakt hauptsächlich über Körpersprache, Laute sind nebensächlich. Körpersprache bedeutet hier: visuelle Wahrnehmungen von Körperhaltungen und ‚Gebärden‘ und taktile Wahrnehmungen im Bereich gefühlten Körperkontaktes. Will sich der Mensch dem Pferd gegenüber verständlich machen, so sollte er um die natürlichen Verhaltensmuster wissen und sich in seinem Verhalten entsprechend anpassen und ausdrücken lernen. Ebenso sollte er lernen, die entsprechenden Verhaltensmuster der Pferde richtig zu deuten. Hier erkenne ich bei den meisten Pferdeleuten deutliche Defizite, die naturgemäß zu Missverständnissen und entsprechenden Konflikten führen. Die Lösung in diesem komplexen Wirkungsfeld lautet, zu lernen, sich dem Pferd gegenüber mittels eindeutiger Körper- und Berührungssignalgebung verständlicher auszudrücken. Dies ein wesentliches Bestreben im Rahmen der The Gentle Touch Methode. Welche Folgen können dauerhaft ungelöste Missverständnisse auf die Beziehung zu meinem Pferd und meine Sicherheit haben? Alle die vielfältigen negativen Folgen, die uns bekannt sind. Da braucht man nicht viel zu spekulieren, wir müssen uns nur bei uns selbst oder in unserer Nachbarschaft umschauen. Die entsprechenden Unfallstatistiken sprechen darüber hinaus eine deutliche Sprache. Gegen die Sachschäden kann man sich versichern, gegen Schmerz und Leid allerdings nicht. Eine weitere Folge: Reiter und Pferd verlieren das Vertrauen zueinander, wenn es mal einen Unfall gegeben hat. Es bleibt ein Trauma. Beide reagieren zunehmend ängstlicher mit entsprechenden negativen Auswirkungen auf die Sicherheit. Viele Pferde werden so schreckhaft oder widersetzlich und manche sogar aggressiv. Häufig wird dann die Schuldfrage diskutiert, ob nun der Reiter oder das Pferd Schuld an einem Verhalten hat. Natürlich können wir auch pauschal sagen „Der Mensch ist immer schuld, das Pferd nie“ wenn etwas schief geht, aber damit ist niemandem geholfen. Vielleicht sollte man eher fragen, in welchen Bereichen der Konflikt und das Missverständnis entstand, Ursachenforschung. Dann sollte man sich fragen, ob man das Problem selbstständig mit dem Pferd lösen kann oder Anleitung benötigt. Da sind wir dann bei der Beziehung Schüler – Trainer oder Ausbilder. Schuldzuweisungen verstärken in der Regel vorhandene Konflikte. Hier sind wir dann bei dem Thema Motivation. In dem Moment, wo ich dem anderen seine Fehlerhaftigkeit vor Augen führe, wird das automatisch Lernblockaden nach sich ziehen. Das ist dann der didaktische Bereich: wie kann optimale Anleitung und Ausbildung stattfinden? Wie vermittle ich Menschen all das, was sie gerne lernen möchten? Eigentlich wäre es einfach: Schüler wollen etwas von mir lernen, ich sage und zeige ihnen, wie etwas gemacht werden sollte und dann sollten sie fleißig üben. Die Motivation sollte vom Schüler kommen, auch beim zigten Mal der gleichen Übung sollte er immer noch motiviert sein – er will ja! Das ist die Theorie. Die Erfahrung lehrt mich, dass das so nicht funktioniert. Schüler brauchen und erwarten ständig meine Hilfe, immer wieder. Besser ist es deshalb, ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘ zu geben und gemeinsam in diesem Bereich Lösungsansätze zu erarbeiten. Dann ist es blad auch der Schüler, der sich selbst auf den richtigen Weg begibt und damit kann er bald unabhängiger von der Anleitung oder Zurechtweisung eines Trainers lernen, selbst planvoller und zielorientierter vorgehen, das Gefühl entwickeln und Ziele erreichen. So wächst die Motivation bei ihm und das überträgt sich natürlich auch positiv aufs Pferd. Wieder zu einem wichtigen Punkt zurück: Gefühle. Das Fühlen und gefühlvolles Handeln sind ein wesentlicher Punkt, deswegen ‚The Gentle Touch‘ – die freundliche Berührung. Das, was wir Bewegungs- und Situationsgefühl nennen – Intuition, Erfahrungs-, Handlungs- und Bewegungskompetenz, sowie die feinmotorische Berührung, die taktile Reizsetzung– all das kommt ausschließlich aus der praktischen Erfahrung. Man muss es immer wieder tun. Man kann es sich Gefühl nicht erlesen. Man muss es erleben und dazu vielleicht zunächst angeleitet werden um schneller und effektiver zu lernen.

Wer das intuitive Richtig-Tun durch Anleitung und Erfahrung optimieren lernte, der wird kaum noch gravierende Missverständnisse haben. Das hört sich zunächst an als würde Ausbildung recht simpel sein. Tatsächlich ist es aber für viele Ausbilder, die gute Reiter sind, recht schwer, einem Schüler zu vermitteln, genauso gut zu werden wie der Reiter selbst. Viele Praktiker verfügen aus langjähriger Erfahrung über die intuitiven Fähigkeiten auf dem Pferd, mit dem Pferd und am Boden. Aber wenn man sie fragt: „Wie geht das denn und wie kann man das lernen?“ dann bieten sie eine Anleitung an, die den Lernenden unter Umständen in die Irre führt. Lehren und Vermitteln muss auch erlernt werden! Die Kunst ist es, die Praxis in kleine Häppchen zu verpacken, Dann auf die Möglichkeiten und Fähigkeiten eines Schülers genau abzustimmen, die passenden Voraussetzungen schaffen und systematisch zu arbeiten. Dann ist es sehr wichtig, für Pferd und Mensch die optimale Motivation und das größte Maß an Sicherheit zu gewährleistet. Kurz: nicht jeder der gut reitet kann das auch gut vermitteln. Um auf die Frage zurückzukommen: Wenn wir also von einem Reiter sprechen, der noch am Anfang der Lernskala ist, dann sind Missverständnisse natürlich vorprogrammiert. Aber auch bei Fortgeschrittenen schleichen sich viele Probleme ein und es kommt zu wieder anderen Missverständnissen. Missverständnisse führen zwangsläufig zu Konflikten. Konflikte führen zu Dysfunktionen und Beziehungskrisen beziehungsweise Sicherheitskrisen. In dem Moment, in dem ein Missverständnis entsteht, muss ich es als Ausbilder als solches erkennen. Hier sollte man dann erst einmal innehalten und nicht gleich reflexiv und aus Gewohnheit etwas tun. Dieses innehalten muss auch der Schüler selbst lernen. Jetzt sollte die Frage nicht lauten: „Wie kann ich den Fehler verhindern?“ Viele Schüler, die an meinen Seminaren teilnehmen sagen: „Ich möchte keine Fehler mehr machen.“ Ihnen sage ich augenzwinkernd, dass sie gleich wieder nach Hause gehen können, wenn sie das von mir erwarten.

Wir sind alle nicht frei von Fehlern, auch ich mache heute noch Fehler. Ich plädiere für eine vernünftige ‚Fehlerkultur‘. Beim Bewegen und erst recht beim Bewegungslernen ist niemand fehlerfrei. Deshalb spricht man in der Bewegungslehre auch nicht von Fehlern, sondern von Dysfunktionen. Man kann lernen, Bewegungsfehler (Dysfunktionen) bewusster zu machen. Daraus kann man wiederum lernen, die Funktionen und Handlungen nach und nach zu optimieren. Die kleinen Fehlverhaltensweisen kann man nutzen, um im Konfliktmanagement zu lernen, wie man solche Situationen gemeinsam mit dem Pferd besser bewältigen kann. Bedeutende Fehlverhaltensweisen müssen analysiert werden und durch funktionalere Handlungen ersetzt werden Ich spreche also von gutem Konfliktmanagement zur Harmonieverbesserung. Dabei wird es die 100-prozentige Harmonie wohl nicht geben zwischen zwei solch unterschiedlichen Lebewesen, genauso wenig wie die absolute Sicherheit. Aber wir können natürlich auf den verschiedenen Lern- oder Entwicklungsebenen Schritt für Schritt unheimlich viel tun, um die jeweils größte Sicherheit und die jeweils beste Beziehungssituation zu schaffen. Warum sollte ich, sofern Haltung, Gesundheit und Equipment stimmen, den Fehler immer zuerst bei mir suchen? Wie ich schon zuvor sagte: Ich bin kein Freund von Schuldzuweisungen und ständiger Fehlersuche. Der bewegungslernende Mensch wird durch Schuldzuweisungen nur blockiert. Um Fehler zu vermeiden entwickelt man dann leicht ein Meideverhalten. Das führt nicht zu Problemlösungen sondern schafft neue Probleme. Pferde haben sowieso kein entsprechendes moralisches Fehlerbewusstsein. Dem Fehlerbegriff folgt dann schnell allzu häufig der Strafbegriff. Beides gehört meiner Meinung nach nicht in den Pferdeausbildungsbereich. Pferde haben kein Gefühl für eine Pflichtleistung à la „Ich habe die moralische Pflicht, für den Menschen etwas zu tun, weil er mich füttert, mich gekauft und einen Namen gegeben hat“. Der Mensch kann Konfliktsituationen mit den ihm gegebenen intellektuellen Fähigkeiten intelligent anders gestalten, das Pferd kann es nicht. Ich empfehle, Fehlentscheidungen als Chance zu sehen, sein Verhalten zu ändern. Was halten Sie im Zusammenhang mit Missverständnissen von den Begriffen „Fehler“ und „Strafe“? Auf diese Punkte bin ich ja schon eingegangen. Aber noch etwas zum Begriff ‚Strafe‘. Nach wie vor wird in Fachliteratur und von Fachleuten der Begriff der Strafe im Kontext der Pferdeausbildung verwendet. Dieser Begriff gehört meiner Meinung nach nicht in den Umgang mit Pferden. Pferde haben kein moralisches Fehlverhaltensbewusstsein, sie haben kein Recht- und Unrechtsbewusstsein in diesem Sinne. Pferde leben im Jetzt und Hier. Sie passen sich an und suchen für sich Sicherheit, klare Regeln und den Vorteil des größtmöglichen Komforts und sie meiden Unangenehmes. Sie speichern im Gedächtnis entsprechende Erfahrungen nach den Gesichtspunkten sicher, angenehm oder unangenehm ab und orientieren sich im aktuellen Tun daran.

Wenn wir das Instrumentarium der Bestrafung wählen, so hat das immer eine für eine vorangegangene Handlung sanktionierende etwas Negatives zufügende Tendenz. Das ist absolut kontraproduktiv für einen positiven Lernprozess eines Pferdes. Damit erreichen wir beim Menschen schon nicht den gewünschten Erfolg, aber bei Pferden schon gar nicht. Pferde lernen dadurch nur ein entsprechendes Meideverhalten gegenüber der Sanktionsmaßnahme (Strafe). Dieses Verhalten festigt sich schnell zu einem Muster und wird alsbald schon zu entsprechendem Meideverhaltensweisen führen, ohne das eine tatsächliche Sanktion (Bestrafung) erfolgt. Sie antizipieren (erwarten) eine Strafhandlung (unangenehme Erfahrung), unabhängig davon, ob sie vom Menschen beabsichtigt war oder nicht.

Der Begriff des Fehlers und der Strafe gehört für mich aufgrund solcher Tendenzen nicht in die Pferdeausbildung. In die Menschenausbildung müssen wir beide Begriffe thematisieren. Meinen Schülern sage ich, dass Fehler nichts anderes sind als dass ich eine Fehlentscheidung treffe oder dass dem Pferd eine Fehlinterpretation unterläuft, die nach dem Ursache-Wirkungs-Prinzip Folgen hat. Damit bestraft mich das Pferd jedoch nicht für einen Fehler und ich sollte es nicht bestrafen. Wenn ich erkenne, welche Ursache zu welcher Wirkung geführt hat, kann ich lernen, in Zukunft die entsprechende Handlungen zu ändern und zu optimieren. Deswegen ist ein positives Fehlerbewusstsein ohne moralische Schuldzuweisung und Strafbezugsherstellung für mich bei zwei- und vierbeinigen Schülern ganz wichtig. Ich gerate mit meinem Pferd in eine nicht zufriedenstellende Situation: Wie sollte ich hier reagieren? Sachlich, emotionsfrei und angemessen und planvoll zielführend. Alles andere ist für einen positiven Lernprozess nicht zuträglich. Es sind Ursache-Wirkungs- Funktionsprinzipien. Das fällt meinen Schülern zunächst sehr schwer, sich darauf reduziert zu sehen. Mir wird häufig nachgesagt, dass meine Bücher zu rational und funktional ausgerichtet seien und zu wenig emotional seien. Ich bin für Emotionen im vernünftigen sprich pferdenatürlichen Rahmen. Das hört sich zwar wie ein Widerspruch an, bedeutet für mich aber die Ausgewogenheit zwischen Sachsicht und Emotionalität. Hier muss jeder Mensch selbst das Maß finden und die Wahl treffen. Ein Lernprozess des Bewegens anders als bei Kindern bei Erwachsenen zunächst möglichst emotionsfrei stattfinden. Gelingen Bewegungen funktional besser, dann kommen ohnehin freudige Gefühle auf. Praxisbeispiel: Mein Pferd kommt auf der Koppel nicht zu mir, sondern bleibt lieber bei seinen Kumpels. Mag es mich nicht? Verbringt es nicht gerne Zeit mit mir? Das ist ein ganz natürliches und gesundes Pferdeverhalten. Es bedeutet, dass es in seinem Instinktverhalten ein natürliches, gesundes Sozialverhalten, den Herdentrieb zeigt. Erwartet der Mensch, dass ein Pferd lieber die Gruppe verlässt und Zeit mit ihm verbringt, anstatt mit seinesgleichen Gras zu fressen, kann dies in der Regel nur über Bestechung erreicht werden. Ein Appellverhalten wie beim Hund ist im Pferd nicht angelegt und deswegen ist es ein hoher Anspruch, einem Pferd beizubringen, auf ein Signal hin zu kommen. Für mich ist ein Pferd, das nicht wegläuft, wenn ich zu ihm gehe und es aufhalftere, ein normales Pferd. Alles andere hat einen höheren Ausbildungsanspruch, dem einige Grundlagen vorgeschaltet sein müssten. Dieser Fall hat also nichts mit ‚mögen‘ zu tun, sondern es handelt sich um die natürlichste aller Verhaltensweisen.

Praxisbeispiel: Mein Pferd schnappt nach mir, wenn ich es mit Futter belohne – Ist das der Dank?

Hier wird das Pferdeverhalten vermenschlicht. Wenn ein Pferd über Futterdarreichung konditioniert wird, wird es sehr schnell mehr Futter haben wollen und je nach Pferdetyp vielleicht auch einfordern. Bei der natürlichen Futtersuche wird es mit Nase, Hufen und Zähnen versuchen, an die Futterquelle zu kommen, wenn es erst einmal herausgefunden hat, wo sich Futter befinden könnte. Wenn es weiß, dass der Mensch ein wandelnder Futtereimer ist und dieser ‚Eimer‘ teilweise verschlossen ist, so wird es mit den Mitteln, die es hat, versuchen, den ‚Eimer‘ zu öffnen. Sprich: die Jackentasche aufreißen. Wenn ein Pferd dann schnappt, dann ist das eine Weiterentwicklung dieses Verhaltens. Es kann aber auch ein Frustrationsverhalten sein, weil es nicht so schnell und so viel Futter bekommt, wie es das gerne hätte. Wer Pferd bei gemeinsamer Fütterung beobachtet, wird schnell erkennen, zu welchen offensiven, aggressiven oder übersprunghaften Handlungen sie durch den Futterneid neigen. Generell rate ich deshalb von jeglicher unkontrollierter Handfütterung ab. Wenn in der professionellen zirzensischen Pferdeausbildung kontrollierte Futterkonditionierung kompetent ausgeführt wird, um dem Pferde unnatürliches Trickverhalten zu Showzwecken anzutrainieren, so hat sie dort ihre Berechtigung. In einer Reitpferdeausbildung lehne ich jegliche Futterkonditionierung ab. Nur in ganz seltenen Fällen mögen dazu Ausnahmen akzeptabel sein. Um eine Verständigungsgrundlage und das Hilfenverständnis zu entwickeln, ist eine Futterkonditionierung nicht notwendig. Für die Motivation taugt sie nur begrenzt und nur kurzfristig als Initialanreiz, und im Rahmen einer dynamischen Gymnastizierung ist sie gar nicht möglich. Besonders wenn sie von nicht-routinierten Pferdebesitzern angewandt wird, ist das Risiko von Fehlentwicklungen und Übersprunghandlungen beim Pferd sehr groß. Futterkonditionierte Pferde verselbstständigen sich in ihrem Tun. Die Erfahrung zeigt es leider immer wieder: es bilden sich nur zu leicht unerwünschte Verhaltensmuster heraus, die schwer kontrollierbar sind und letztendlich Stress, Konflikte und vielfältige Folgeschäden und Unfälle verursachen. Der Schaden ist am Ende sehr viel größer als der momentane Nutzen. Da aus der Frage nicht hervorgeht, ob das Verhalten im Rahmen eines Tricktrainings oder bei der Reitpferdeausbildung auftrat, kann ich keine konkrete Empfehlung aussprechen. Im ersten Fall sollte man sich von einem kompetenten Zirkustrainer zeigen lassen, wie eine kontrollierte Futterkonditionierung praktiziert wird, im zweiten Fall würde ich sie unterlassen. Praxisbeispiel: Mein Pferd tobt sich mein Longieren und Laufenlassen aus und keilt dabei über Distanz immer wieder in meine Richtung aus. Ist das Absicht? Möchte mich mein Pferd verletzen? Hier sind Risiken für Mensch und Pferd gegeben. Der Pferdebesitzer könnte getroffen werden und das Pferd könnte sich selbst Verletzungen zuziehen. Man sollte deswegen anstelle von ungeregeltem ‚Laufenlassen‘ unbedingt für eine geregelte Leinenarbeit oder entsprechendes Longieren sorgen.

Zeigt ein Pferd aus welchen Gründen auch immer ein solches Verhalten an der Longe, sollte man zur Erziehung wieder zur Leitseilarbeit zurückgehen, auch wenn es ‚nur‘ aus Übermut oder Bewegungsdrang zu solchen Eskapaden neigt. Auch scheint es ratsam, die Haltungsform zu überprüfen. Vielleicht fehlt ausreichend Bewegung und Auslauf mit Artgenossen. Wenn es sich jedoch belästigt fühlt, weil man hinter ihm her rennt oder mit der Peitsche herumwedeln, so zeigt es, das möglicherweise auf diese Weise. Solche Animationsversuche sollte man tunlichst unterlassen. Hier rate ich zu einem geordneten Bewegungstraining. Fehlt es an der Einflussmöglichkeit an langer Leine, ist es ratsam die Lernebene zu wechseln und mit ruhigen und sicheren Übungsreihen zu beginnen. Ich würde zu Beginn Führtraining empfehlen: 20 – 30 Minuten geregeltes Schrittgehen tut beiden Beteiligten gut. Als nächste Stufe dann Leitseilarbeit auf kürzer Distanz und, dann zu Longe oder zur Leitseilarbeit auf längere Distanz übergehen. Ideal ist es, wenn man in solchen Situationen zuvor erlernte, entspannende Grundmusterübungen, wie wir sie in der TGT-Methode erarbeiten, nutzen kann um dem Pferd zu helfen, zu Losgelassenheit und zu lockeren Bewegungen zu finden. Das fördert Harmonie und Sicherheit und daraus können dann weitere zielführende, systematische Lernlektion entwickelt werden. Praxisbeispiel: Möchte ich beim Longieren das Tempo erhöhen, schiebt mein Pferd die Hinterhand nach außen und bleibt mir zugewandt stehen. Ist es einfach nur faul? Vom Pferd wird hier erwartet, sich mehr anzustrengen und es zeigt mit seinem Verhalten, dass es diese Forderung verweigert. Hier werden zwei Ausbildungsdefizite deutlich: beim Ausbilder ist die Fähigkeit des effektiven Treibens durch Energetik und Körperposition und beim Pferd ist die Bereitschaft des Sich- Treiben-Lassens noch nicht erarbeitet. Würde man mit mehr Nachdruck einwirken, so könnte aus dem noch passiven Widerstand sehr schnell ein aktiver werden. Die grundsätzliche Verständigung hat ja schon geklappt, denn das Pferd ließ sich zuvor ja auf den Zirkel hinaus- und vorwärts treiben. Allerdings ist ihm die Forderung nach mehr Anstrengung lästig. Hier verweigert es die Mehrleistung und zeigt, dass es den Führungs- und Leitanspruch (das vermehrte Antreiben) des Ausbilders nicht respektiert. Nicht jeder hat die Kompetenz, sich hier pferdegereicht und risikofrei durchzusetzen. Deshalb empfehle ich in solchen Situationen, nicht mit mehr Druck wie z.B. dem Versuch stärkerer Peitscheneinwirkung oder ähnlichem zu reagieren, sondern auf dem Weg der kleinen Schritte die Bereitschaft des Pferdes zu mehr Fleiß erarbeiten. Aus Sicherheitsgründen würde ich Mensch und Pferd zurück ins Führtraining schicken. Dort würde ich auf kurze und dann längere Distanz am Führ- bzw. Leitseil das Antreiben im Rahmen von verstärktem Schritt und später nach und nach im Trab einige Schritte der Verstärkung des Ganges üben lassen, bis keine Anzeichen von passivem oder aktivem Widerstand mehr gezeigt werden.

Praxisbeispiel: Im Gelände erschrickt sich mein sonst gelassenes Pferd vor einer Plastikbandabsperrung und lässt sich kaum noch kontrollieren. Auf dem Reitplatz hat es keine Angst vor Flatterbändern – stellt es sich nur an oder vertraut es mir nicht? Hier zeigt sich, dass Gewöhnung nicht Durchlässigkeit ersetzt. Meine erste Frage ist: Was kann man tun, wenn man wieder zu Hause ist? Wenn das Pferd bisher nicht gelernt hat, die reiterlichen Hilfen richtig zu interpretieren, dann wird es in der Schrecksituation erst recht nicht komplexe reiterliche Einwirkungen verstehen. Die Durchlässigkeit ist nicht gegeben. Es sollte also lernen, sich im Hilfenrahmen eingerahmt in Linienführung, Haltung und Tempo kontrollieren zu lassen. Gelingt das, dann sollte man sich ‚Schrecksituationen‘ mit langsam steigendem Stressfaktor daheim gestalten und die kontrolliert durchreiten. Wenn das zu Hause mit Erfolg gelingt, sollte man irgendwo auf der heimischen Reitanlage und dann im Gelände dort, wo man Andere oder sich selbst nicht gefährdet, solche Situationen gestalten. Es ist wichtig, folgendes zu beachten: Was wir zu Hause mit gleichen Gegenständen geübt haben funktioniert andernorts nicht so ohne Weiteres. Pferde reagieren ortsorientiert und lernen ortsbezogen, das müssen wir Menschen berücksichtigen. Also werde ich das Ritual der Schrecksituationsbewältigung vom heimischen Reitplatz nach und nach an andere Orte verlagern. Wenn es mir an vielen verschiedenen Orten gelingt, das Pferd immer kontrollierter zu reiten, kann ich zuversichtlich sein, dass es mir in plötzlichen, unvorhergesehenen Situationen ebenso gut gelingen wird.

Praxisbeispiel: Mein Pferd galoppiert aus dem Schritt ruhig an. Gebe ich die Galopphilfe aus dem Trab, buckelt es kurz, bevor es in den Galopp fällt. Wo hakt es? Möchte es mich abwerfen? Eigentlich lassen sich Pferde aus dem Trab besser angaloppieren als aus dem Schritt. Es handelt sich hier vermutlich um einen weniger erfahrenen Reiter mit einem Pferd, das schon ausgebildet wurde und das Angaloppieren aus dem Schritt von jemand anderem gelernt hat. Es kann sein, dass der Reiter im Trab nicht locker sitzt und dem Pferd womöglich mit den Sporen noch in den Bauch drückt. Die Reflexreaktion des Pferdes bedeutet: ‚Du hast mich gerade behindert und gepiekst, ich fühle mich belästigt‘. Ich würde mir vor allem den Reiter bezüglich seiner differenzierten Hilfengebung, Sitz und Einwirkung ansehen. Daraus ergibt sich dann der entsprechende Lösungsansatz. Bevor der Reiter nicht passiv und störungsfrei in Schritt, Trab und Galopp auf dem Pferd einfache Bahnfiguren reiten kann, fordere ich ihn nicht auf, durch aktive Hilfengebung dem Pferd etwas abzuverlangen. Wenn er noch störend einwirkt, würde ich überlegen, welche Übungen helfen, ihn über diese Defizite hinweg zuführen. Hat er seine Beine nicht unter Kontrolle? Klemmt er? Stimmt die Balance nicht? Hier gibt es viele Möglichkeiten. Hat der Reiter ein Pferd mit starkem Trab und kann er es nicht sitzen, lasse ich ihn nicht ausgesessen traben. Hier üben wir Leichttraben, den Schwebesitz und kurzfristiges Aussitzen für zwei bis drei Schritte mit Temporeduzierung. Die meisten Pferde nehmen das gerne an. Nach und nach wird das Pferd den Reiter weicher sitzen lassen, sodass dieser vier bis fünf Schritte, irgendwann eine ganze kurze Seite aussitzen kann. Das Pferd setzt sich im Trab mehr und federt etwas mehr durch. Wir haben dem Pferd die Angst vor dem Reiter genommen und dem Reiter die Angst vor dem Pferd. Jetzt ist der Rücken wieder offen und empfänglich und man kann langsam wieder überlegen, was man tun kann, damit eine Galopphilfe für das Pferd erkennbar wird. Man sollte immer erste die Denk- und Bewegungsblockaden erkennen, diese durch Rückgriff auf vorgeschaltete Ausbildungsebenen lösen um dann zum bewussten und lockeren funktionalen ‚richtigen‘ Tun zu gelangen. Also dem Grundsatz folgen: immer wenn es klemmt, wieder eine Stufe zurückgehen.

Praxisbeispiel: Möchte ich etwas Anlehnung und Aufrichtung abfragen, gibt mein Pferd nur kurz im Genick nach, zieht mir nach wenigen Schritten die Zügel aus der Hand und streckt sich vorwärts-abwärts. Sollte ich nur noch in Dehnungshaltung reiten? Diese Fragestellung ist fachlich betrachtet etwas ungewöhnlich. Mir scheint, hier werden Fachbegriffe in ihrer Bedeutung etwas durcheinandergebracht, vielleicht werden hier Anlehnung und Aufrichtung mit Nachgiebigkeit am Zügel oder Gebiss, beziehungsweise kurzfristigem Abknicken lassen verwechselt. Anlehnung und Aufrichtung sind im klassisch-dressurmäßigen Sinne aber etwas anderes. In der Dressurreiterei stehen diese beiden Begriffe für ganz komplexe Bewegungs- und Verhaltenssituationen. Auch der Begriff „abfragen“ passt hier nicht. Anlehnung ist etwas Konstantes, das fragt man nicht ab, sondern bietet es dem Pferd an. Aufrichtung fragt man auch nicht ab, sondern die sollte sich aus der Tätigkeit der Hinterhand, der aktiven Rumpfmuskulatur und des gesamten Rahmens, in dem das Pferd sich bewegt, ergeben. Die relative Aufrichtung ergibt sich aus dem Grad der Versammlungsfähigkeit des Pferdes. Das Pferd lernt sich nach und nach selbst zu tragen und mit einer positiven Muskelanspannung zu gehen. Sie ist das Ergebnis eines langen und systematischen Gymnastizierungsprozesses. Sie ist zu unterscheiden von der absolute Aufrichtung oder manuelle Beizäumung, die durch ein aktives Rückwärts-Einwirken über die Zügel mit dem Mundstück im Maul erreicht wird. Sie wird dem Pferd also ein Stück weit aufgezwungen und führt zu Verspannungen. Der Hals wird in verschiedenen Stellungen überbeugt, der Zügel fällt manchmal leicht durch. Das Pferd drückt den Rücken weg. Der Reiter hat das Gefühl, nichts mehr in der Hand zu haben. Das wird dann als Nachgiebigkeit bezeichnet und ist weit verbreitete Praxis aber ausbildungstechnisch nicht korrekt. Wenn man durch solch aktive Zügeleinwirkung das Pferd zur Nachgiebigkeit dem Gebiss gegenüber, also zum Beugen und Verbiegen im Hals zwingt, dann überdehnt es sich kurzfristig in den entsprechenden Muskeln und das ist kontraproduktiv. Die Muskeln, die sich entspannen sollen, verspannen sich und jene, die aktiv aufgebaut werden sollen, werden blockiert. Wir haben hier eine Umkehr der korrekten Gymnastizierung des Pferdes und sollten hier unsere Reittechnik ändern. Das heißt aber nicht, dass wir nur noch in Dehnungshaltung reiten sollten. Ein Pferd in Dehnungshaltung geritten geht auf der Vorhand und das kann kein Dauerzustand sein. Auch darf hier keinesfalls Dehnung mit Streckung verwechselt werden. Die Dehnungshaltung soll dem Pferd bei aktiver Hinterhandtätigkeit angeboten werden. Dies setzt voraus, dass der Reiter die treiben Hilfen einsetzt und diese vom Pferd angenommen und energetisch umgesetzt werden. Die korrekte schrittweise Entwicklung einer Hinterhandaktivität bei passiver Kontaktpflege zum Maul auch Anlehnung genannt, wird dann dazu führen, dass das Pferd sich nach Dehnung sehnt. Dies deshalb, weil sich durch die Anspannung des gesamten Muskelsystems, des Rumpfmuskelsystems und der Beinmuskulatur, alsbald ein leichter Ermüdungszustand dieser Muskelgruppen einstellt. In der Dehnungshaltung können wir dem Pferd wieder kurzfristig Entlastung anbieten. Durch den Wechsel von kurzen Versammlungsreprisen im Wechsel mit dem Dehnungsangebot wird das Pferd über einen langen Prozess gekräftigt und die entsprechende Reitpferdemuskulatur aufbauen, die für längere Versammlungsarbeit notwendig ist. Dabei ist zu beachten, dass dieser theoretisch richtige Prozess bei Pferd und Reiter entsprechendes Talent und sehr anspruchsvolles korrektes Training voraussetzt. Fehlt es an diesen Voraussetzungen, so ist meiner Meinung nach falsch verstandenes und umgesetztes ‚Dressurreiten‘ für ein Pferd noch nachteiliger als gar keine ‚Dressurarbeit‘.

Um eine solche also Frage verantwortlich zu beantworten, müsste ich den Ausbildungsstand des Pferdes und des Reiters ansehen. Die Tatsache, dass zum pferdegerechten Reiten auch zweckmäßiges gymnastisches Training gehören sollte, bedeutet nicht, dass jeder Reiter es seinem Pferd vermitteln kann. Und nicht alle Pferde verfügen über die gleichen Voraussetzungen. Manche neigen zum Eilen, andere sind träge. Sie sind in Interieur und Exterieur unterschiedlich. Natürlich ist von besonderer Bedeutung, wie verritten ein Pferd ist, d. h. welche Verhaltensmuster sich schon verfestigt haben. Verrittene Pferd zu korrigieren ist die wohl schwierigste Herausforderung und setzt viel reiterliche Erfahrung voraus. Gleichwohl, es mag Pferde geben, die könnten schon entsprechend gearbeitet werden. Das setzt dann voraus, dass der Reiter in der Lage ist, die reiterlichen Einwirkungen dem Pferd helfend anzubieten. Hilfen heißen so, weil sie dem Pferd helfen sollen! Sie sollen dem Pferd helfen, zu verstehen, wie und wo es sich bewegen soll. Zudem sollen sie dem Pferd Rahmen und Unterstützung geben, in einer bestimmten Haltung für eine Weile zu gehen. Sie sollen das Pferd zum gewünschten Tun kurzfristig animieren. Helfende Hilfen sind animierende Hilfen, die im richtigen Moment richtig adressiert auf die richtige Muskelgruppen wirkend, nicht zwingend, sondern helfend und fördernd wirken. Das ist ein Prozess immer wiederkehrender, begleitender, feinmotorischer, animierender Einwirkungen. Ich erkläre den Leuten häufig, dass ich das Reiten in drei Ebenen unterteile 1. Das funktionale lenkende und Tempo bestimmende Reiten 2. Darauf aufbauende kräftigende und dynamisierende Gymnastizieren 3. Das schulmäßige kultivieren hin zu Ausnahmebewegungen mit höchstem Anspruch an Ästhetik und Präzision Das heißt, schulmäßig gymnastizierendes Reiten ist ein hoher Anspruch. Funktionales Reiten können viele Menschen lernen und jedes Pferd lernen, auch wenn sie nicht begnadet oder talentiert sind. Bezüglich der Fragestellung scheint es mir vor diesem Hintergrund angeraten, dass zunächst ein kompetenter Ausbilder die Situation beurteilt. Vermutlich werden zwei Lösungsansätze sinnvoll sein: Beim Reiter sollten ruhiger Sitz und ruhige nachgiebige Zügelverbindung in ruhigen Bewegungen auf den Übungsplan gesetzt werden. Dem Pferd mag vorrübergehend korrektes Longieren über Bodenstangen mit Dehnungsmöglichkeit ( eventl. Lauferzügel, Dreieckszügel oder Chambon) helfen. Dann sollte unter dem Reiter viel im leichten Sitz oder leichttrabend an einer weichen Zügelverbindung und der zeitweiligen korrekten Dehnungsfähigkeit gearbeitet werden. Und der Versuch, Aufrichtung aktiv herbeizuführen, sollte gänzlich unterbleiben. Durch dieses Programm sollten sich Takt, Losgelassenheit und damit die Anlehnungsbereitschaft des Pferdes im Laufe einiger Monate dann hoffentlich einstellen.

Praxisbeispiel: Mein Pferd driftet in die Bahnmitte ab, wenn ich ein Schulterherein abfragen möchte. Hat es keine Lust auf die Lektion?

Korrekt gerittenes dressurmäßiges Schulterherein ist eine sehr komplexe gymnastizierende Übung. Auch sollte man sie in einem Gesamtkontext sehen und nicht losgelöst für sich. Sie erfordert Vorübungen, wie einfaches Schenkelweichen, Wendungen um Vor- und Hinterhand und Schulter-Vor. Hier wird nur festgestellt, dass das Pferd die Übung bzw. Lektion nicht so umsetzt, wie der Reiter es wünscht. Wären gymnastische Vorarbeit und reiterliches Einwirken korrekt, so würde die Übung vermutlich ohne Widerstand gelingen Es scheint mir also weniger eine Frage mangelnder Lust bzw. Motivation zu sein sondern ein Mißverständnis. Hier würde ich empfehlen, mit schenkelweichenden Verständnisübungen zu beginnen. Kann der Reiter Schenkelhilfen beim Pferd als schenkelweichende Hilfen einsetzen? Hat das Pferd koordinativ gelernt, die dazugehörigen diagonalen Tritte schenkelweichend auszuführen? Wenn das einigermaßen in beide Richtungen gelingt, z. B. im Viereck verkleinern und vergrößern, könnte man beginnen, dosierter und abgestimmter verschiedene Formen der seitlichen Abstellung durchzuspielen, um auf diese Weise zu einem gymnastizierenden, korrekt gerittenen Schulterherein zu kommen. Bei den ersten diagonalen Tritten des Schenkelweichens haben wir es schon mit koordinativen Übungen zu tun, die bereits einen teilweise gymnastizierenden Effekt haben. So fördern wir Verständnis, Verständigung und Willigkeit des Pferdes und können dies später nutzen, um präzise gerittene Lektionen wie Schulter-Vor und Schulterherein mit dem Pferd zu erarbeiten. Letztere Lektion hat dann schon einen teilweise versammelnden Effekt. Also Vorsicht, diese Forderung ist vom Reiter leicht gestellt aber für das Pferd zunächst sehr schwierig umzusetzen. Hier sind fortgeschrittenen reiterliche Fähigkeiten gefordert. Ich empfehle in kurzen Reprisen zu arbeiten, damit das Pferd motiviert bleibt und nicht ‚die Lust verliert‘.

 

INTERVIEW MIT DR. BRITTA SCHÖFFMANN Mein Pferd: Wie entstehen Missverständnisse mit dem Pferd? Dr. Britta Schöffmann: Die meisten Missverständnisse entstehen meiner Meinung nach durch mangelndes Wissen und mangelndes Können. Viele Menschen machen sich zu wenig Gedanken darüber, wie ein Pferd tickt. Sie vermenschlichen es und versuchen, Gemeinsamkeiten zwischen sich und ihrem Pferd zu entdeckten. Dabei täten sie besser daran, die Unterschiedlichkeit zwischen Mensch und Pferd zu sehen und zu akzteptieren. Denn Menschen und Pferde sind sehr unterschiedlich. Sie sehen anders, sie hören anders, sie lernen anders und sie haben andere Bedürfnisse. Beim Reiten kommt obendrein noch hinzu, dass es kaum einen komplexeren Sport gibt. Auf dem Pferderücken muss der Mensch erst mal sich selbst körperlich und mental beherrschen können, bevor er harmonisch und effektiv aufs Pferd einwirken und ihm womöglich auch noch etwa beibringen kann. Welche Folgen können dauerhaft ungelöste Misserverständnisse auf die Beziehung zu meinem Pferd und meine Sicherheit haben? Ungelöste Missverständnisse können vielfältige Auswirkungen haben. Pferde als soziale Lebewesen erwarten vom „Partner“ Mensch eindeutige und nachvollziehbare Signale und Anweisungen. Bleiben die aus, kann dies zu Verwirrung und zu Verunsicherung führen, zu einer Verstärkung des Instinktverhaltens (z.B. Flucht) aber auch zu Rangfolgeauseinandersetzungen oder sogar Aggressionsverhalten. Warum sollte ich, sofern Haltung, Gesundheit und Equipment stimmen, den Fehler immer zuerst bei mir suchen? Ganz einfach: Für ein Pferd gibt es kein falsch oder richtig. Es weiß ja nicht, dass es beispielsweise an einer Ampelkreuzung sicherer wäre, ruhig stehen zu bleiben. Es weiß nicht, dass Biegearbeit seinen Rücken kräftigt und beweglich macht und es auf lange Sicht geraderichtet. Es weiß auch nicht, dass ein fliegender Galoppwechsel innerhalb nur einer Phase gesprungen werden soll. Ein Pferd handelt immer gemäß seinem Instinkt und gemäß dem, was wir ihm als Mensch beigebracht haben oder gerade beibringen. Es spiegelt uns, unser Auftreten, unser Verhalten, unsere Stimmung, unser Timing und – beim Reiten – unsere Hilfengebung wieder. Geschieht also ein „Fehler“, muss ich mich immer fragen: Was habe ich gerade (oder in der Vergangenheit) getan, dass mich das Pferd so und nicht anders verstanden hat? Ich gerate mit meinem Pferd in eine nicht zufriedenstellende Situation: Wie sollte ich hier reagieren?

Das ist nicht immer ganz einfach. Sicher gibt es auch bei Tieren Tage, an denen Sie weniger Spaß an der Mitarbeit haben als an anderen. Ich würde hier aber statt „Lust“ eher den Begriff „Motivation“ wählen. „Keine Lust haben“ klingt so menschlich, so absichtlich, so nach „Ich habe keine Lust zu arbeiten, ich bin heute mal faul“. Motivation dagegen entsteht durch das Tun an sich und die damit verbundenen angenehmen Reize und ist Grundvoraussetzung für jegliches Lernen. Die Kunst der Arbeit mit dem Pferd besteht darin, es bei Laune und damit motiviert zu halten. Das „Verstehen“ gehört für mich absolut dazu. Wenn ein Pferd gar nicht erst versteht, was es tun soll und der Mensch womöglich verärgert reagiert, entsteht Verunsicherung beim Pferd. Warum sollte es also weiter freudig und motiviert versuchen herauszufinden, was der Mensch von ihm will, wenn sowieso nur Ärger oder gar Strafe drohen. Das vermeintlich lustlose oder sture Pferd macht in solchen Momenten mit Vermeideverhalten also nur das, was wir ihm zuvor vermittelt haben. Wie sollte ich in einer solchen Situation nicht reagieren? Auf keinen Fall strafen oder das Gewünschte wieder und wieder verlangen. Angst vor Strafe und/oder unzählige Wiederholungen machen meist alles schlechter statt besser und nehmen dem Pferd die Freude an der (Mit-)Arbeit. Wie sollte ich in einer solchen Situation stattdessen reagieren? Je nach Situation (Fehler) ignorieren, Anforderung wiederholen und bei Gelingen loben. Wenn’s trotzdem nicht funktioniert, erst einmal etwas anderes verlangen – das macht bei Mensch und Pferd den Kopf frei und bringt Entspannung – und dann später noch mal an die gewünschte Aufgabe herangehen. Und wenn dann tatsächlich mal ein Tag dabei ist, wo gar nichts richtig klappen will, einfach mal Fünf gerade sein lassen, Zügel lang und eine gemütliche Runde im Gelände genießen. Morgen ist auch noch ein Tag. Immer. Praxisbeispiel: Mein Pferd kommt auf der Koppel nicht zu mir, sondern bleibt lieber bei seinen Kumpels. Mag es mich nicht? Verbringt es nicht gerne Zeit mit mir? Die Frage ist typisch menschlich und zeigt, wie Menschen Pferdeverhalten aus ihren eigenen Gefühlsvorstellungen heraus interpretieren. Pferde sind Herdentiere, die den Sozialkontakt zu Ihresgleichen brauchen. Das hat nichts mit mögen oder nicht mögen zu tun, das ist ein elementares Grundbedürfnis des Pferdes. Individuell unterschiedlich ist allerdings, wie stark der Herdentrieb ausgebildet ist. Der eine Pferdetyp hängt extrem an Artgenossen, der andere ist selbstständiger und eventuell auch neugieriger. Auch die Art der Bindungsfähigkeit zum Menschen ist von Pferd zu Pferd unterschiedlich. Im Gegensatz zum eher distanzierten Typ genießt der eher anhängliche Typ menschliche Zuwendungen ganz einfach mehr – aber auch dann kann sie kein Ersatz für Artgenossen sein. Allerdings hat auch das Auftreten, die Ausstrahlung des Menschen einen Einfluss darauf, ob ein Pferd auf Zuruf kommt oder folgt. Je mehr Führungsqualitäten der Mensch aus Sicht des Pferdes aufweist – und ich meine damit nicht Dominanz, sondern Dinge wie Souveränität, Verlässlichkeit, Freundschaft -, desto eher folgt das Pferd. Durch sichere „Führung“ im Alltag sowie durch gezieltes Training, gerne am Boden, lässt sich diese Führungsqualität ausbauen. Trotzdem ersetzt aber auch das nicht den notwendigen Sozialkontakt zu Artgenossen. Wenn ein Pferd also, trotz allem Trainings, lieber bei seinen Kumpels auf der Wiese bleibt, statt wiehernd auf den Menschen zuzugaloppieren – nicht überinterpretieren, sondern gegebenenfalls einfach akzeptieren. Wer das nicht möchte, muss intensiv an sich selber und auch täglich und zeitlich intensiv mit einem Pferd arbeiten. Von nix kommt nix.

Praxisbeispiel: Mein Pferd schnappt nach mir, wenn ich es mit Futter belohne – Ist das der Dank? Auch dies ist wieder ein typisch menschlicher Gedanke. Der ethische Begriff der Dankbarkeit lässt sich nicht so ohne weiteres auf ein Pferd übertragen. Futter bedeutet für ein Pferd – so wie für jedes Lebewesen – zunächst einmal Überleben. Fressen ist ein elementares Bedürfnis und kann deshalb auch bei der Ausbildung als echte Belohnung eingesetzt werden. Allerdings gehört dazu ein genaues Timing des Belohnenden. Aber gerade hier liegt meist das Problem. Viele Menschen neigen dazu, im falschen Moment ein Leckerli zu geben, zum Beispiel wenn das Pferd scharrt oder – „wie süüüß“ – den Menschen anstupst oder in der Jackentasche nach Fressen sucht. Scharren ist aber Betteln und Anstupsen ist die nächste, schon recht respektlose Aufforderung, quasi das „Her mit dem Futter!!!“. Eine Futterbelohnung fungiert lerntheoretisch im Sinne einer „positiven Verstärkung“. Der Mensch verstärkt damit das zuvor gezeigte Verhalten. In diesem Beispiel also das Scharren bzw. das Stupsen. Das Pferd lernt: Wenn ich scharre/stupse bekomme ich Nahrung. Im nächsten Schritt kann sich daraus – je nach Charakter des Pferdes – sogar ein Schnappen also noch intensivere Aufforderung entwickeln. Ein Pferd, das bei der Futterbelohnung schnappt, ist vom Menschen also dahin erzogen worden. Praxisbeispiel: Mein Pferd tobt sich mein Longieren und Laufenlassen aus und keilt dabei über Distanz immer wieder in meine Richtung aus. Ist das Absicht? Möchte mich mein Pferd verletzen? Wenn Pferde im Freilauf oder an der Longe zum Toben und Auskeilen neigen, wollen sie dem Menschen im Allgemeinen nichts Böses, sondern leben lediglich ihren unerfüllten Bewegungsdrang aus. Pferde brauchen aber Bewegung, viel Bewegung. Bei den meisten heutigen Haltungsformen wird dies nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt. Tägliche Arbeit (nicht nur 20 Minütchen ein wenig gemütlich herumjuckeln) ist genauso wichtig wie täglich möglichst mehrstündiger Freilauf mit Artgenossen. Überschüssige Energie – die dann meist gar nicht erst entsteht – kann auf der Weide im Spiel mit anderen ausgelebt werden. Allerdings muss der Mensch trotzdem im Umgang am Boden immer Vorsicht walten lassen. Pferde kommunizieren miteinander im Spiel oder bei Rangfolgeauseinandersetzungen auf Augenhöhe – das heißt 600 Kilogramm Lebendgewicht gegen 600 Kilogramm Lebendgewicht. Ein angedeutetes Auskeilen oder ein leichter Treffer sind da meist unkompliziert. Anders ist das, wenn der „Spielkamerad“ nur 60 Kilo auf die Waage bringt. Das Einhalten von Sicherheitsregeln kann deshalb lebensrettend sein.

Praxisbeispiel: Möchte ich beim Longieren das Tempo erhöhen, schiebt mein Pferd die Hinterhand nach außen und bleibt mir zugewandt stehen. Ist es einfach nur faul? Nein, ein solches Verhalten hat nichts mit Faulheit zu tun sondern ist eine Reaktion des Pferdes auf eine Aktion des Menschen. Je nach Körperhaltung und Position wirkt der Longierende vortreibend, abbremsend oder ausbremsend ein. In der neutralen Position befindet sich das Pferd genau zwischen Longe und Longierpeitsche, der Körper des Longierers ist mittig. Zum Vortreiben verlagert er seine Position etwas Richtung Hinterhand, gegebenenfalls unterstützt durch Anheben bzw. Schwenken der Longierpeitsche, zum Tempo verlangsamen etwas Richtung Vorhand, unterstützt durch Senken der Peitsche. Dabei kann er seinen Körper auch ein wenig in die entsprechende Richtung (vorwärts bzw. verhaltend) drehen. Allein mit diesen körpersprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten lässt sich schon viel erreichen. Wichtig ist aber auch das Maß an Energie, die der Mensch ausstrahlt. Ein Longierer, der sein Pferd übervorsichtig um ein Mehr an Vorwärts bittet und dies auch in mangelnder Körperspannung und zögerlicher Stimme vermittelt, wird keinen Erfolg haben, da ihn das Pferd nicht versteht. Auch hier gilt, wie für jegliche Aktion im Umgang mit dem Pferd, sei es am Boden oder vom Sattel aus: Alle Signale und Hilfen müssen klar und eindeutig und immer gleich (für das entsprechend gewünschte Verhalten) sein, damit das Pferd sie zuordnen und entsprechend reagieren kann. Ein Pferd ist immer ein Spiegel des Menschen. Praxisbeispiel: Mein Pferd galoppiert aus dem Schritt ruhig an. Gebe ich die Galopphilfe aus dem Trab, buckelt es kurz, bevor es in den Galopp fällt. Wo hakt es? Möchte es mich abwerfen? Ein Pferd nimmt sich nicht vor: Ich möchte meinen Reiter beim Angaloppieren abwerfen! Es reagiert auch hier wieder auf etwas, was der Reiter tut – oder nicht tut. Meist ist die Hilfengebung nicht eindeutig oder sogar so falsch, dass sie dem Pferd die gewünschte Reaktion – in diesem Fall das umgehende Angaloppieren – erschwert oder sie verhindert. Manche Reiter neigen zum Beispiel dazu, das Trabtempo etwas zu erhöhen wenn sie angaloppieren wollen. Dabei gerät das Pferd aber aus dem Gleichgewicht, kommt auf die Vorhand und wird lang, seine Hinterhand arbeitet statt unter den Schwerpunkt nun nach hinten heraus. Das Pferd kann so kaum korrekt in den Galopp gelangen. Wenn der Reiter nun noch mit einem Wühlen seines Oberkörpers sowie mit Sporen und Gerte auf seinem Wunsch nach Galopp besteht, ist es nur verständlich, wenn das Pferd mit einem kurzen Buckler reagiert. Wie gesagt: es re-agiert auf den Reiter. Statt also zu denken: ‚Das blöde Pferd buckelt immer beim Angaloppieren‘ sollte sich der Reiter immer zunächst fragen: Was mache ich in welchem Augenblick? Das Timing der Hilfengebung ist dabei genau so wichtig wie die Hilfen an sich. Jeder Tempo- oder Gangartenwechsel muss mit einer halben Parade – also dem Zusammenwirken von Hand, Kreuz und Schenkel – vorbereitet werden. Im Falle des Angaloppierens verkürzt sich dadurch der Rahmen des Pferdes minimal, es tritt mehr unter den Schwerpunkt und wird so in die Lage versetzt, ohne Probleme unter dem Reiter in den Galopp zu springen.

Praxisbeispiel: Im Gelände erschrickt sich mein sonst gelassenes Pferd vor einer Plastikbandabsperrung und lässt sich kaum noch kontrollieren. Auf dem Reitplatz hat es keine Angst vor Flatterbändern – stellt es sich nur an oder vertraut es mir nicht? Es macht schon einen Unterschied, ob eine unheimliche oder vermeintlich bedrohliche Situation im heimischen Umfeld oder in fremder Umgebung geschieht – wobei sogar gerade auf dem eigenen Platz jede Veränderung vom Pferd oft besonders kritisch beäugt wird. Wichtig ist, dass ich mit meinem Pferd zunächst im sicheren Umfeld, also zu Hause, alle möglichen Situationen erarbeite und übe und sie dann erst auf unbekanntem Terrain abfrage. Pferde sind in der Lage, Übungen, Lektionen und auch komplette Situationen zu generalisieren und dann auch in fremder Umgebung abrufbar zu machen. Um hier jedoch keine Rückschläge zu erleiden, muss das Training zu Hause aus zwei Teilen bestehen: 1. Gewöhnung, 2. Einwirkung. Statt also zu Hause nur in perfekter Abgeschiedenheit, quasi unter einer Käseglocke, zu reiten, sollten Pferde mit möglichst vielen Umweltreizen häppchenweise nach und nach konfrontiert werden, bis diese kein Fluchtverhalten mehr auslösen. Die jeweilige Einwirkung durch den Menschen, sei es am Boden oder vom Sattel aus, ist dabei allerdings sehr wichtig. Konsequenz, Ruhe und Geduld statt Zwang und Grobheit. Das Pferd muss lernen, den Menschen als souveräne Vertrauensperson, als Freund und Beschützer zu akzeptieren und ihm zu folgen – nicht als jemanden, vor dem es Angst haben muss. Zwar lassen sich auch durch Druck kurzfristige Erfolge verzeichnen, doch sind sie meist nicht nachhaltig und meist sogar gefährlich, da das Pferd jede Lücke eines solchen Systems (zum Beispiel einen ’schwächeren‘ Reiter) nutzen würde und zu instinktiven Verhaltensweisen übergehen würde und dabei meist noch unkontrollierbarer sein würde. Praxisbeispiel: Möchte ich etwas Anlehnung und Aufrichtung abfragen, gibt mein Pferd nur kurz im Genick nach, zieht mir nach wenigen Schritten die Zügel aus der Hand und streckt sich vorwärts-abwärts. Sollte ich nur noch in Dehnungshaltung reiten? Ich frage Anlehnung nicht ab, ich erarbeite und erreiche Anlehnung. Das gilt auch für die Vorwärts-Abwärts-Haltung, denn auch hier bleibt die weich-federnde Verbindung zwischen Reiterhand und Pferdemaul – und nichts anderes ist Anlehnung – bestehen, nur eben innerhalb eines weiteren Rahmens. Lediglich beim Reiten mit hingegebenem Zügel besteht keine Anlehnung (deshalb auch die Bezeichnung „mit“ und nicht „an“ hingegebenem Zügel). Wenn mein Pferd mir die Zügel aus der Hand zieht, dann hat es vorher weder im Genick nachgegeben, noch war es in korrekter Aufrichtung. Denn zu beidem gehört, ganz wichtig, die Selbsthaltung. Je geschlossener mein Pferd über entsprechende Lektionen wie Übergänge und Biegearbeit von hinten nach vorn unter den Schwerpunkt fußen kann, desto besser kann es sich in Selbsthaltung bewegen und desto feiner wird dabei auch die Anlehnung, über die sich der Reiter mit ebenfalls immer feineren Zügelhilfen seinem Pferd mitteilen kann. Das Vorwärts-Abwärts-Reiten selbst hat nichts mit „Zügel aus der Hand ziehen“ zu tun, sondern mit Dehnungsbereitschaft und dem Herauskauen lassen. Die Bereitschaft, sich zu dehnen, sollte immer bestehen – aber das Pferd dehnt sich, wenn ich es als Reiter zulasse, ans Gebiss heran und nicht auf oder gegen das Gebiss. Reiten im Vorwärts-Abwärts-Dehnungshaltung ist Weg zur (beim Lösen) und Überprüfung der Losgelassenheit (während der Arbeit, in der Entspannungsphase), aber nicht Ziel. Denn wenn ein Pferd nur vorwärts-abwärts geritten wird, kommt es mit der Zeit auf die Vorhand, „fällt auseinander“ und belastet seine Vorhand zu stark. Das Ziel ist die Erreichung und Verbesserung der Versammlung und damit die Verbesserung der Durchlässigkeit.

Praxisbeispiel: Mein Pferd driftet in die Bahnmitte ab, wenn ich ein Schulterherein abfragen möchte. Hat es keine Lust auf die Lektion? Ob eine Lektion gelingt oder nicht gelingt, ist keine Frage von Lust oder Unlust, sondern von Verstehen und Können. Zunächst einmal muss ich mich als Reiter meinem Pferd so klar und eindeutig mitteilen können, dass es begreift, was ich will und – in meinem Sinne – richtig reagieren kann. Eine genaue Vorstellung von der Lektion sowie eine möglichst perfekte Hilfengebung sind dafür Grundvoraussetzung. Driftet mein Pferd in die Bahnmitte fehlt beim Schulterherein meist das stimmige Zusammenspiel zwischen innerem Schenkel und äußerem Zügel. Meine Frage muss also – wieder einmal – lauten: Was mache ich falsch? Und nicht: Was macht mein Pferd falsch? Außerdem muss ich wissen, was alles eine Lektion ausmacht. Im Schulterherein zum Beispiel wird Längsbiegung auf drei Hufschlaglinien entgegen der Bewegungsrichtung verlangt. Aber lässt sich mein Pferd überhaupt stellen? Ohne Stellung gibt es aber keine Biegung. Ein sicheres Schenkelweichen oder auch eine Vorhandwendung, beides Lektionen in Stellung, sollten also klappen, bevor ich ein Schulterherein verlange. Im nächsten Schritt sollten Pferd und Reiter in der Lage sein, kreisrunde Volten und Zirkel links und rechts herum zu absolvieren, denn die gelingen nur, wenn die Reiterhilfen gut ineinander greifen und das Pferd über diese Biegearbeit auf beiden Händen geschmeidiger wird. Erst wenn all das klappt, kann ich als Reiter den Schritt zur nächst schwierigeren Lektion, hier also zum Schulterherein, in Angriff nehmen. Gibt es dann immer noch Probleme, kann es helfen, das Schulterherein treppenförmig zu reiten: Ein paar Tritte Schulterherein – dann zwei, drei Tritte diagonal herausreiten – dann wieder ein paar Tritte (parallel zur langen Seite) Schulterherein – dann wieder herausreiten usw. Auf diese Weise erlernt der Reiter ein besseres Zusammenspiel seines inneren Schenkels und äußeren Zügels – und das Pferd versteht ihn auf einmal.

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