Text: Dominique Wehrmann     Foto: Jacques Toffi

Was haben Xenophon, La Guérinière & CO. noch mit dem heutigen Pferdesport gemein? Eine kritische Bestandsaufnahme mit der Ausbilderin Anja Beran

Die Geschichte der Dressurreiterei

Unsere Einstellung gegenüber dem Pferd hat sich im Laufe der Jahrhunderte gewandelt – je nachdem, wie es genutzt wurde. Es ist Zeit, mit ein paar Missverständnissen aufzuräumen!

Klar, heutige Pferde sind anders als die Ponys, die mit Xenophon 400 v. Chr. in den Krieg zogen. Doch auch heute noch sind die Inhalte der Lehren des alten Griechen als Wahrheit anerkannt. Aber die Reiterei ist trotzdem eine andere geworden. Anja Beran erklärt: „Zu Xenophons Zeiten war es überlebenswichtig für die Reiter, dass ihre Pferde unabhängig von der Hand am Sitz zu reiten waren – schließlich wurden sie vornehmlich für den Kampf Mann gegen Mann eingesetzt. Die Reiter mussten die Hände frei haben, um Waffen führen zu können, und die Pferde mussten so ausgebildet sein, dass sie mit geringstem Aufwand auf kleinstem Raum zu manövrieren waren. Das hat sich Anfang des 20. Jahrhunderts vollkommen verändert. Mit anderen Waffen wurde auch die Aufgabe der Pferde im Krieg eine andere. Reiter und Pferde der Kavallerie mussten so ausgebildet sein, dass sie sich nebeneinander wie eine Mauer auf den Feind zubewegen konnten. Es genügte, wenn die Reiter sie so weit beherrschen konnten, dass Richtungswechsel funktionierten, das Tempo zu kontrollieren war und die Pferde über Gräben und beispielsweise auch rollende Fässer springen konnten. Dafür gab es eigene Prüfungen.“ Allerdings sei die Reitkunst der Antike und der Renaissance in den Militärschulen trotzdem weiter gepflegt worden, betont Anja Beran. Doch: „Der einfache Soldat musste nur lenken und bremsen können.“ Mit Beginn der Motorisierung wurde das Pferd als „Kriegs- und Arbeitsgerät“ allmählich überflüssig. Dafür boomten die ländlichen Reitvereine – Gustav Rau sei Dank (der übrigens Einerwechsel verworfen hat, weil sie zu weit von der Natur des Pferdes entfernt seien und auch von Pferden gezeigt werden könnten, die nicht ganz durchlässig sind). Zunächst wurden die Dressuraufgaben des Militärs übernommen, die – siehe oben – vor allem die Grundlagen abprüften. Mit der wachsenden Popularität des Reitsports ging auch der Wunsch nach Spezialisierung einher. Es wurde nach schwierigeren Aufgaben verlangt. Lektionen wie Seitengänge hielten Einzug in die Dressur. Dagegen ist erst einmal nichts zu sagen. Aber: „Vielfach wurde vergessen, wie der Ausbildungsweg dahin war und welchen Zweck die Ausbildung einst erfüllte“, so Beran. Nämlich die perfekte Beherrschung des Pferdes, unabhängig von der Hand. Paradox: Heute gilt ein durchhängender Zügel als Anlehnungsfehler. Dabei war er früher das Ideal, schon bei François Robichon de la Guérinière und später auch bei Otto Lörke, dessen Ausbildungsgenie für Pferde und Reiter Deutschland diverse Olympiamedaillen nach dem Krieg verdankt.

Ein weiteres Beispiel, wie weit sich die Sportreiterei von der ursprünglichen Idee der Pferdeausbildung entfernt hat, ist der Trab. Anja Beran: „Ein Pferd in der Natur bewegt sich über viele Stunden im Schritt und nur dann im Galopp, wenn es fliehen muss. Der Trab ist eine Zwischengangart, die kaum genutzt wird. So ist man früher auch geritten. Heute hingegen geht nichts mehr ohne den Trab.“ Nicht umsonst wird er „die Geldgangart“ genannt … Nicht die einzige bedenkliche Entwicklung im Dressursport, findet Beran: „Ganz schlimm ist die moderne Zuschnürerei der Nasenriemen“, spricht sie ein Thema an, das in der Fachwelt schon häufig kritisch diskutiert wurde: „Da muss der Riemen nach einer Prüfung mit einem Messer aufgeschnitten werden, weil er so zugeknallt war, dass er nicht mehr zu lösen war …“

Ausbildung verstehen

Die Richtlinien, die heute der Leitfaden in der Pferdeausbildung sind, hält Anja Beran keineswegs für falsch, aber für eine verkürzte Darstellung. Sie gibt zu bedenken: „Die Skala der Ausbildung stellt den Takt an erste Stelle. Die Geraderichtung hingegen ist der letzte Punkt vor der Versammlung. Wie aber soll ein asymmetrischer Körper sich im Takt bewegen können? Und wieso steht die Anlehnung ebenfalls davor?

Mehr Informationen zu diesem Thema finden Sie in der aktuellen Mein Pferd- Ausgabe.