Text: Inga Dora Schwarzer      Foto: imago images/ edu1971

Wenn das Pferd aktiv mitarbeitet, statt sich zu wehren, verlaufen medizinisch notwendige Behandlungen schneller, sicherer und stressfreier – und zwar für alle Beteiligten. Wie ein Behandlungsweg mit der Zustimmung des Vierbeiners gelingt, erklärt die Pferdetierärztin Carolin Jähn

Wie lassen sich beim Elefanten ohne Sedierung die Zähne kontrollieren? Wie lässt sich ein Krokodil freiwillig Blut abnehmen? Und ein Tiger problemlos impfen? Die Antwort: mit Vertrauen, Freiwilligkeit und Training. Angst vor dem Doc kennen die meisten Bewohner in den Tiergärten nicht. Was längst Alltag in der modernen Zootierhaltung ist, steckt in der Pferdehaltung scheinbar noch in den Kinderschuhen: eine aktive Mitarbeit des Pferdes bei tierärztlichen Untersuchungen und Behandlungen. Die Nasenbremse, eine Zwangsmaßnahme aus der Antike, liegt heute immer noch griffbereit in den Taschen vieler Pferdetierärzte. Zu recht? Sind Elefanten, Krokodile und Tiger kooperativer als Pferde?

Zwang und Stress

Bei der Anwendung der Nasenbremse wird eine Strickschlaufe um die Oberlippe des Pferdes gelegt. Während mit einer Hand die Oberlippe innerhalb der Schlaufe fixiert wird, verdreht man mit der anderen Hand den Holzstab, und die Schlaufe verdrillt sich. Wie konkret die Zwangsmaßnahme wirkt, welche physiologischen Vorgänge damit verbunden sind und ob eine mögliche Tierschutzrelevanz vorliegt, dazu liegen kaum wissenschaftliche Erkenntnisse vor. Lediglich eine im Jahr 2000 an der Ludwig-Maximilians-Universität München von Dr. Dorothea Schelp angefertigte Doktorarbeit beschäftigt sich konkreter mit diesen Fragen. Darin stellt die Autorin u.a. fest, dass die Maßnahme zunächst ein erheblich schmerzhaftes Stressgeschehen darstellt. „Man vermutet, dass es dabei zu einer Ausschüttung körpereigener Endorphine kommt, die das Pferd ruhigstellen“, weiß Carolin Jähn, Pferdetierärztin aus Krefeld (Nordrhein-Westfalen).

Parallel zu der Endorphinausschüttung steigt laut Schelp der Adrenalin- und Hämatokritwert. Das Hormon Adrenalin sorgt für eine länger anhaltende Betäubung. Hämatokrit bezeichnet den Anteil der zellulären Blutbestandteile am Volumen des Blutes. Ist dieser hoch, befinden sich viele Blutzellen im Blut, wodurch es zähflüssiger wird. Bei Menschen führt diese Veränderung der Fließeigenschaften u.a. zu Müdigkeit, Mattigkeit, Bewusstseins- und Aufmerksamkeitsstörungen sowie einem Distanz- oder Dissoziationsgefühl (das Gefühl, „neben sich zu stehen“). Bei den Tieren könnte es ähnlich sein, denn sie gelangen in einen rauschähnlichen Zustand. Sie senken den Kopf, schließen leicht ihre Augenlider, stehen wie paralysiert still und reagieren kaum noch auf Umgebungsreize. Ihr Schmerzempfinden verringert sich. Als weitere Ursache führt die Autorin die zahlreichen Akupunkturpunkte an der Innen- und Außenfläche der Oberlippe an, denen eine stark sedative Wirkung zugesprochen wird. Grund genug für viele Veterinäre, die Nasenbremse in der Praxis als nebenwirkungsfreies Mittel einzusetzen, um kurzfristig die Kooperationsbereitschaft des Tieres zu verbessern und zugleich die Sicherheit für den Behandler zu erhöhen.

Verhältnismäßigkeit wahren

Fixierungen mittels Halfter, Führstrick, Trense oder Kappzaum sowie das Aufheben einer Gliedmaße, um eine Bewegungseinschränkung herbeizuführen, stellen weitere, jedoch kleinere Manipulationen dar. Um durch einen anderen Schmerzreiz eine gewisse ablenkende Wirkung vom eigentlichen Geschehen zu erzeugen, gehören ebenso das Umgreifen des Ohres oder das Aufziehen einer Hautfalte am Hals zu den Zwangsmaßnahmen, zählt die Expertin auf. Ferner wird ein Untersuchungs- bzw. Zwangsstand genutzt, in den das Pferd hineingeführt wird, und der es nach allen Seiten hin begrenzt. „Dieser schützt vor allem den Tierarzt während der Behandlung“, erklärt Carolin Jähn. Nicht zu vergessen ist auch die intravenöse Verabreichung von sedierenden Mitteln, um die Funktionen des zentralen Nervensystems für eine bestimmte Zeit zu dämpfen.

Mehr Informationen zu diesem Konzept finden Sie in der neuen Mein Pferd- Ausgabe.