Text: Inga Dora Schwarzer              Foto: www.Slawik.com

Schmerzt eine Stelle im Pferdekörper, wird dieser Umstand mit Ausgleichsbewegungen kompensiert. Das ist eine geniale Anpassungsstrategie, aber auch fatal, wenn sie unbemerkt bleibt. Worauf Sie Ihren Blick richten sollten, erklärt Claudia Weingand

„Meist sind es kleinere orthopädische Befunde, die Kompensationsmuster machen: So sorgt etwa ein unentdeckter, immer mal zwickender Chip im linken Knie für ein kompensatorisches Gangbild rechts. Das rechte Hinterbein wird überlastet, und so kommt es möglicherweise quasi kompensatorisch auch rechts zu einer Knieproblematik“, erläutert Weingand.

Ein Pferd mit einem länger bestehenden orthopädischen Problem und Schmerzen sehe insgesamt eher schlecht aus, fresse nicht gut, muskele nicht auf, leide an Schlaf- und oft auch an Magenproblemen.

Wie gut ein Pferd eine Schwachstelle im System kompensieren kann und wie stark es seine Schmerzen äußert, ist unterschiedlich. Meist sind es die extrovertierten Vierbeiner, wie die meisten Vollblüter, die durch ihr Verhalten klar anzeigen, „wo der Schuh drückt“. Schwieriger wird es bei den introvertierten Artgenossen. „Einige laufen mit einem Sehnenschaden weiter brav ihre Runden und treten dabei mit den Vorderbeinen nur etwas kürzer nach vorne“, warnt die Expertin. Ausgleichsbewegungen können ferner noch eine Weile nach dem Befund oder der Therapie erhalten bleiben. „Pferde, die ein Hinterbein beim Abstoßen eindrehen, weil sie falsch trainiert wurden oder ein Gleichbeinproblem hatten, nehmen mit dieser Drehbewegung das Fesselgelenk ein bisschen aus der Belastung.“ Eine weitere Ausgleichsbewegung stellt ein nach innen rotierendes Vorderbein dar. Das wäre so, als ob wir Menschen ein bisschen über den großen Onkel laufen würden. „Das Pferd stemmt sich stärker mit diesem Bein ab als mit dem anderen. Hier ist der tiefe Brustmuskel aktiver. Auch dieses Muster kann ich nicht in ein paar Trainingseinheiten abtrainieren. Beide Bewegungen müssen aber nicht wehtun“, erläutert sie.

Es gibt zudem Kompensationsmuster, die physiologischer Natur sind. „Isländer oder Araber sind beispielsweise sehr schmal gebaut und stehen vorne eher zehenweit. Sie drehen die Hufe immer ein wenig nach außen, wenn sie auf einen zukommen. Das ist nicht schlimm, weil die Tiere unten ein- fach mehr Unterstützungsfläche brauchen. Wenn diese rasse- und exterieurbedingte Tendenz auf beiden Vorderbeinen vorhanden ist, stört das ihren Bewegungsablauf nicht“, so die Ausbilderin. Es muss also nicht jede mögliche kompensatorische Bewegung korrigiert werden. Problematisch wäre der Fall aber dann, wenn nur ein Vorderbein diese Ausgleichshaltung zeigen würde.

Manchmal steckt auch etwas ganz anderes hinter einem veränderten Gangbild. „Bei sehr übergewichtigen Pferden kann es sein, dass diese hinten rechts kürzer treten“, sagt die Expertin. Der Grund? Die gesamte rechte Flanke ist nahezu fast vollständig vom Blinddarm gefüllt, der eine erhebliche Unwucht darstellen kann. „Die Tiere kommen dann mit ihrem eigenen Knie einfach nicht am Bauch vorbei.“

Rat eines Profis gefragt

Als Laie bemerkt man vielleicht eine Veränderung, aber bei der schier unendlichen An- zahl an Ursachen ist ein Profi gefragt. Wen kontaktiere ich, wenn ich eine Veränderung im Gangbild oder Verhalten beim Reiten entdecke? Weingand hadert mit der Antwort. „Das ist schwierig. Vor allem subtile Lahmheiten sind sehr schwierig. Ruft man drei Tierärzte, haben drei Tierärzte mit drei unterschiedlichen Meinungen Recht, weil das Pferd auf drei Beinen eine Problematik hat“, sagt sie. Einige Tierärzte und Pferdetherapeuten sind auf Ganganalysen spezialisiert und haben einen guten Blick auf kleine Abweichungen im Gangbild. Man könne aber nicht davon ausgehen, dass die Gang- analyse automatisch und in jedem Fall zur Ausbildung von Tierärzten, Osteopathen oder Reitlehrern gehört. Ihr Rat: Läuft das Pferd nach mehrmaligen therapeutischen Behandlungen und mit einem veränderten Trainingsplan oder schlicht gutem Reitunterricht besser, ist die Ursache vielleicht bereits gefunden worden. Findet keine Verbesserung statt, dann fahren Sie lieber in eine Klinik, und lassen Sie das Pferd komplett durchchecken.

Weitere Tipps finden Sie in der aktuellen Mein Pferd- Ausgabe.