Interview: Nora Dickmann          Foto: AdobeStock/ vprotastchik

Rittigkeitsprobleme, Pferde, die plötzlich stürzen, und tote Fohlen – alles Folgen der Equine cervical 
vertebral malformation, kurz ECVM. Die Tierärztin Dr. med. vet. Katharina Ros erklärt, wie es zu dem missgebildeten Wirbel in der unteren Halswirbelsäule kommt

Was bedeutet ECVM? 


Es ist die Abkürzung von „Equine cervical vertebral malformation“ nach einer Veröffentlichung von Sharon May-Davis, die 2014 veröffentlicht hat, dass es Pferde gibt, deren sechster Halswirbel im unteren Bereich nicht vollständig ausgebildet ist. Die sogenannte „Lamina ventralis“ fehlt. Dort können Muskeln nicht ansetzen, welche die untere Halswirbelsäule stabilisieren und anheben. Des Weiteren können zusätzliche Knochenanteile am unteren siebten Halswirbel gefunden werden. Einige Pferde haben sogar fehlende oder verformte erste Rippen. Dies ist besonders dramatisch, da die ersten Rippen als sogenannte „Tragerippen“ essenziell wichtig sind für die Stabilität und Positionierung des Brustkorbs.

Wie entsteht ECVM, und welche Symptome hat sie? 


Die Fehlbildung der Halswirbel und Rippen findet man bereits beim Fötus und in Folge von Geburt an. Es wird vermutet, dass sie vererbt wird. Die Vererbbarkeit wird zurzeit untersucht. Ein Pferd, dessen Stabilisierung der unteren Halswirbelsäule eingeschränkt ist, weil stabilisierende Muskulatur nicht vollständig ansetzen kann, kann seinen Brustkorb schlechter tragen und in Folge ebenso wenig den Reiter. Wenn die erste Rippe fehlt, verstärkt sich diese Symptomatik noch, da die ersten Rippen zentrale Ansatzpunkte für wichtige Muskelketten sind. Die Symptome sind vielfältig, je nachdem, wie stark die Malformation ausgeprägt ist, ob und wie diese Pferde geritten werden. Die zentrale Frage ist: Sind die Pferde gut muskulär kompensiert, und werden sie angemessen belastet? Solange diese Instabilität muskulär kompensiert ist, sind diese Pferde zunächst oft besonders bewegungsstark und sprunggewaltig. Sie präsentieren sich als hochqualitative, fast „über“-rittige Talente. Einige dieser Pferde werden „schwierig“ beim Einreiten oder beim vermehrten Training, einige auch erst ab sechs bis siebenjährig, wenn mehr Versammlung angestrebt oder mehr und höher gesprungen wird. Zentrales Symptom: Die Pferde können mit Reiter schlecht den Brustkorb anheben und stabilisieren. Zumeist berichten die Reiter, dass die Pferde schwach oder „wackelig“ sind. Sehr oft haben die betroffenen Pferde Probleme beim Bergabgehen/-reiten und im Galopp-Trab-Übergang. Wenn mehr Stress auf die Facettengelenke einwirkt, entsteht Arthritis und Arthrose, Entzündung und Schmerz. Diese Pferde werden unrittig, „halsig“. Sie sind steif und dauerverkrampft in der Halsmuskulatur. Eine Instabilität der Facettengelenke kann indirekt zum Stress auf das Rückenmark und die austretenden Nerven führen. Diese Pferde zeigen „dynamische Instabilitäten“: Plötzlich „verliert“ das Pferd ein oder mehrere Beine, stolpert oder stürzt ohne Grund, auch gerne in der Landung nach dem Sprung oder wenige Galoppsprünge danach. Zumeist schreiten die Symptome fort, einige Pferde entwickeln „Reitangst“, reagieren mit plötzlichen Attacken wie Bocken oder Davonstürmen, oder sie gehen schlecht vorwärts.

Wie kann man sie behandeln?


Die Ursache kann nicht behandelt werden. Meiner Erfahrung nach müssen diese Patienten optimal gemanagt werden. Ideale Hufbearbeitung bzw. Beschlag, regelmäßige ausbalancierende Zahnbehandlung, sehr gut passender Sattel, eine muskeloptimierte Fütterung und ein Training im Sinne der Behandlungsmethode nach Stefan Stammer – Aktivieren der autochthonen Muskulatur bzw. Rumpfheber – helfen nach meiner Erfahrung am Besten, um die Patienten zu stabilisieren. Ich würde mir wünschen, dass die Elterntiere mit ECVM nicht mehr zur Zucht eingesetzt werden.

Was bedeutet die Krankheit für das Pferd?


Meiner Erfahrung nach bedeutet diese Erkrankung, dass die betroffenen Pferde schwerlich ein langes schmerzfreies Leben als Reitpferd erwarten können. Um die klinische Relevanz weiter zu überprüfen, wird derzeit eine große prospektive Studie in Deutschland geplant. Die Studienlage ist unterschiedlich. Einige Studien zur ECVM bestätigen die klinische Relevanz (Problematik) für das Pferd, eine Studie negiert diese. Einige Kollegen betrachten die ECVM nicht als Problem. Die Ursache könnte sein, dass diese Pferde in stressvoller Umgebung (Tierklinik) bisweilen keinerlei Symptome zeigen. Außerdem findet man zusätzlich zur ECVM häufig weitere Erkrankungen wie Facettengelenksarthrosen der Halswirbel, Fesselträgerschäden und sehr häufig Magengeschwüre. So werden diese als Ursache für die Unrittigkeit bzw. Schwierigkeit des Pferdes gesehen. Ich persönliche würde gerade diese drei Erkrankungen eher als Folgeerscheinungen der ECVM sehen, denn viele Pferde entwickeln sekundär zu den Schmerzen der unteren Halswirbelsäule innere Stresszustände, wodurch typischerweise weitere Erkrankungen, wie Magenprobleme, entstehen. Wenn die Rumpfheber nicht optimal arbeiten können, wird das Pferd vorderlastig, trabt und galoppiert oft „laut“. Folglich werden die Beugesehnen und Fesselträger vermehrt belastet. Wenn die Halsbasis nicht gut stabilisiert ist, kommt es zu unphysiologischer Bewegung der Halswirbelsäule. Einige der ECVM-Patienten schwingen nach meinen Beobachtungen im Hals im Schritt vermehrt nach rechts und links. Im Trab schwingt die Halsbasis unnatürlich stark „hoch und runter“, wobei sich der Kopf fast gar nicht bewegt. Zudem führt chronischer Schmerz zum Abschalten der autochthonen Muskulatur. Dies ist zumindest beim Menschen hinreichend bewiesen. Durch unnatürliche Bewegungsabläufe werden die Facettengelenke stärkerem Stress ausgesetzt. Dies führt typischerweise zur Arthrose.