Corinna Scholz stand uns für den Artikel „Zum Wohle des Pferdes“ Rede und Antwort, wie wir Reiter die Kardinalfehler vermeiden können. Hier das ungekürzte Interview: Was sind Ihrer Meinung nach die schlimmsten Reiterfehler und zu welchen Problemen führen sie? Wie so viele Worte, die etwas Unschönes ausdrücken, fangen auch diese mit „Un“ an, und zwar Unwissen und Ungeduld. Gegen beides lässt sich etwas tun. Unwissen ist heute so oft zu erleben, weil die Menschen kaum noch mit Pferden (oft ja nicht einmal mit Tieren) groß werden und so das Zusammensein und die Pflege und das Wahrnehmen von Tieren dann eine Selbstverständlichkeit ist. Das ist es heute oft nicht mehr, man meldet sich in einer Reitschule an, um zu reiten. In den wenigsten wird dann erst einmal eine gute, theoretische Grundlage gelegt, auch im Reitunterricht kommt Theorie viel zu kurz, auch wenn sie jederzeit eingebaut werden könnte. Der Anfänger hinterfragt natürlich i.d.R. auch nichts, sondern hält das, was ihm da erzählt wird, erstmal für richtig. Manche halten völlig falsche, für das Pferd absolut ungesunde Dinge lange Jahre für richtig. Das Interesse an einem guten theoretischen Grundwissen schwindet meines Erachtens immer mehr. Bücher werden seltener in die Hand genommen, wenn ich etwas wissen will, gehe ich ins Internet, was aus meinem Unwissen ein oftmals sehr ungesundes Halbwissen macht. Unwissenheit ist ein großes Problem, absolut leicht zu beheben, man muss es nur beheben wollen und Dinge hinterfragen und sich nicht mit der erstbesten Meinung zufrieden geben. Die Ausbilder müssen so erklären können, dass sich die Antwort für den Schüler absolut logisch und nachvollziehbar und vor allem für das Pferd richtig anhört. Ein „Das haben wir schon immer so gemacht“ oder „Das ist eben so“ disqulifiziert einen Ausbilder! Und der Ausbilder muss auch immer ein Interesse daran haben, dem Schüler Wissen zu vermitteln und nicht nur auf dessen Fragen zu antworten (wenn überhaupt). Ungeduld entsteht, wenn wir zu schnell Ziele erreichen wollen, die eben vielleicht nicht schnell zu erreichen sind. Und wenn wir zu wenig Weitblick haben und nicht erkennen, was auf dem Weg zu diesem Ziel so alles möglich sein kann. Die Individualität der Pferde wird hier oft völlig missachtet. Die Ziele an sich sind überall zu sehen – im Fernsehen übertragen werden nur die ganz schweren Prüfungen, in Büchern ist nur die Idealversion einer Lektion zu sehen und meist auch nur ein Weg beschrieben, wie man dorthin kommt. Da die Pferde dieses Buch i.d.R. nicht gelesen haben (und die Reiter ja meist auch nicht…) wird mit der Idee an eine Lektion herangegangen, wie sie auszusehen hat; die tausend Möglichkeiten davor oder gar die, die einem jetzt eine andere Lektion schenken würden, weil das Pferd alles mögliche macht, um dahinterzukommen, was der Reiter denn da wohl meint mit seinen Verrenkungen, werden gar nicht wahrgenommen und schlimmstenfalls auch noch bestraft. Bestes Thema: ein junges Pferd, dass im Außengalopp anspringt. Es gibt keinen falschen Galopp! Es gibt Außengalopp, ja, und den nutzt das Pferd, um die Balance zu halten. Der Reiter will aber ja unbedingt den Handgalopp. Wird dieses junge Pferd nun bestraft oder auch nur rüde durchpariert und mit Groll des Reiters in einen neuen Galopp (60/40-Chance für einen erneuten Außengalopp mit steigender Tendenz) hineingeschickt, entwickelt es innerhalb weniger Minuten möglicherweise mehrere Ängste: vor dem Angaloppieren, insbesondere auf dieser Hand, vor der Umgebung, in der das passiert, vor den Hilfen und vor dem Reiter an sich. Ein nicht gut vorbereitetes erstes Angaloppieren kann so ungeheuer viel kaputt machen, das macht sich kaum jemand bewusst. Ungeduld ist ein großes Problem, weil der Reiter in dem Moment die Signale des Pferdes kaum noch oder gar nicht mehr wahrnimmt – oder schlimmstenfalls bewusst übergeht. Das Pferd versucht sich mitzuteilen, versucht seine Müdigkeit, seinen Schmerz, sein Nichtverstehen oder gar seine Angst auszudrücken, und wird überhört. Wie lange würden Menschen sich in einer solchen Lernsituation wohlfühlen und lernen können…?   Gehören Ihrer Meinung nach „zu viel Zügel“, „Rollkur“, „zu kurze Lösungsphase“, „schlechter Sitz“ auch dazu? Vollkommen reitweisenunabhängig gehören diese drei Dinge zu den großen Fehlern jeglicher Reiterei!
“Zu viel Zügel“ entsteht, wenn der Reiter sein Pferd kontrollieren will, Angst vor Kontrollverlust hat, keinen ausbalancierten Sitz erlernt hat, bevor er Zügel in die Hand bekommt. Das wären eine Menge Longenstunden und idealerweise das Erfühlen von z. B. piaffierenden Pferden an der Hand des Ausbilders, bevor ein Reiter überhaupt das erste Mal Kontakt mit dem Maul aufnehmen darf. Heute üblich ist jedoch, dass nach dem ersten Aufsitzen Zügel in die Hand genommen werden! Das ist eine echte Katastrophe, vor allem, wenn der Reiter dann auch noch erlebt, dass so ein Zügel bei den Pferden, auf denen er sitzt, tatsächlich eine Bremswirkung hat. Von dieser Bremsidee über den Zügel wieder wegzukommen, dauert viel länger, als sie gar nicht erst entstehen zu lassen in adäquatem Unterricht, der eben erst einmal ausschließlich auf Sitzen, Sitzen, Sitzen und Fühlen abzielt. Und idealerweise lernt der Reiter in diesen ersten Stunden zu erklären, was er fühlt, er lernt die Begrifflichkeiten, er lernt die Fußfolge der Gangarten und zu erfühlen, wenn unter ihm was passiert. Wäre das gegeben, wäre der „schlechte Sitz“ auch schon gleich kein Thema mehr!
So ist er es aber natürlich, viele gehen ja gar nicht unbedingt in Reitschulen, es ist ja durchaus möglich, sich ohne jegliches Wissen ein Pferd anzuschaffen und sich darauf zu setzen, und dann wird eben „nach Gefühl“ irgendwas probiert, von dem die Reiter normalerweise annehmen, das sieht von außen viel besser aus, als es tatsächlich aussieht. Und so lange sie damit mit einem braven Pferd auch ungefähr dahin kommen, wohin sie wollen, und das vielleicht sogar noch in dem Tempo, in dem sie’s wollen, ja wozu brauchen sie denn dann teueren Unterricht, in dem Dinge verlangt werden, die schwer fallen? Sie wollen doch nur „so ein bisschen zu Spaß“ reiten und das klappt doch ganz gut? Der Spaß des Pferdes wird dabei ja nicht hinterfragt. Was ein Pferd durch einen schlecht sitzenden Reiter (und damit verbunden einer ungenauen und teilweise unverständlichen Einwirkung – „Hilfengebung“ will ich das jetzt mal nicht nennen) zu ertragen hat, ist für uns kaum auszumalen. Das eine Pferd hält das aus, das andere nicht. Das letztere wird dann i.d.R. als „schwierig“, „zickig“, „widersetzlich“ und ähnliches bezeichnet, dabei versucht es auch wieder nur, sich mitzuteilen und wenn das nicht gelingt, sich zu schützen. Tatsächlich handeln Menschen absolut genau so. Das Pferd aber (mein Freund! mein Partner!!) darf das nicht oder ist dann eben „stur“ und „blöd“.
Es wird immer einen Reiter geben, der dieses Pferd dazu bringen kann, das Gewünschte zu tun. Also liegt es nicht am Pferd!
Diese massiv zügelgeprägte Reiterei nebst einem unausbalancierten, klemmenden, sich nicht im Gleichgewicht befindenden Sitz sind riesige Probleme. Vor allem für die Pferde. Und das hat, möchte ich noch einmal betonen, überhaupt nichts mit einer Reitweise zu tun. Das finden wir in jeder! Auch die „Rollkur“ und zu kurze Lösungsphasen sind reitweisenübergreifend zu sehen. Rollkur entsteht ganz klar aus der Angst vor Kontrollverlust. Und dieser Gedanke ist so falsch, wie er nur sein kann, denn das aufgerollte Pferd mag ich für diesen Moment unter Kontrolle haben, aber wehe, wenn es schafft, daraus auszubrechen! Ich erziehe mir mit einem Rollkur-Pferd eine tickende Zeitbombe – allerdings ja nur während der Zeit, bis das Pferd resigniert. Die dauert unterschiedlich lange. Hat das Pferd aber einmal resigniert, ist die Gefahr, dass es sich gegen diese Haltung zu Wehr setzt, kaum noch gegeben. Allerdings ist damit aber dann auch jegliche freudige Ausstrahlung beim Reiten dahin, das Pferd bringt sich nicht mehr ein, denkt nicht mehr mit (manche Reiter wollen ganz genau das. Ein „funktionierendes“ Pferd), der Gang ist kaputt (Takt, Fußfolge!), der Körper nimmt Schaden und von der Pferdeseele wollen wir jetzt gar nicht erst anfangen. Reiter, die ihr Pferd bewusst für mehrere Sekunden (nicht zehn Minuten! Ein paar Sekunden reichen!) mit Körperkraft in eine enge Haltung ziehen bzw. sie aus dieser nicht heraus schicken (wollen), betreiben Ansätze zur Rollkur, wer minutenlang sein Pferd in der Ganasche eng macht und nicht für ein freies Genick sorgt, „rollt auf“. Durch die Fehlbelastungen der Gelenke verschleißen sie schneller. Die Pferde, die sich dagegen nicht mehr wehren, bewegen sich in „erlernter Hilflosigkeit“ und sind nach Jahren in dieser Haltung sehr schwer umzuschulen.
Die ungeheuer leichten, langen Hälse und der Vorwärtsdrang der modernen Sportpferde machen es nicht leicht, die jungen Pferde nicht in eine schlechte Kopf-/Halshaltung geraten zu lassen. Wenn diese Pferde nun auch noch schon vor dem Anreiten durch schön ausgiebiges, ausgebundenes Longieren gelernt haben, dass man sich nach hinten der Einwirkung auf das empfindliche Maul entziehen kann, hat der Reiter kaum noch eine Chance, diesem Pferd nun unter dem Reiter eine andere Haltung zu erklären. Das muss vorher am Boden passieren, dann idealerweise in der Arbeit an der Hand, zu der schließlich ein passiver Reiter hinzugenommen wird, der nach und nach die Hilfengebung übernimmt und dem Pferd eine Haltung ermöglicht, die es ja nun schon gelernt hat. Die Zeit für dieses Vorgehen muss das Pferd bestimmen dürfen. So angeritten hat man eine große Chance, das Pferd nie „aufrollen“ zu müssen, da Kontrollverlust bestenfalls kein Thema wird. Das Thema „Lösungsphase“ ist einen eigenen Bericht wert und schwer hier in Kurzform abzuhandeln. Ein Pferd, dass immer in einer guten Haltung gearbeitet wird und bei dem permanent auf Durchlässigkeit und eine gute Versammlungsbereitschaft geachtet wird, braucht später gefühlt kaum noch überhaupt eine Lösungsphase. Eine Piaffe kann einen viel lösenderen Effekt haben als strammes Vorwärtstraben. Das Problem hier ist, dass inzwischen ein völlig falsches „Lösen“ gelehrt und praktiziert wird. Ein Schritt, der über dem eigenen Grundtempo des Pferdes geritten wird, danach zehn Minuten strammes Traben, immer schön geradeaus, das richtet im Körper viel mehr Schaden als Nutzen an und hat mit Lösen nichts zu tun. Viele Pferde (vor allem die älterne) lösen sich recht gut in einem entspannenten Galopp. Man sollte auch darauf achten, ob man ein „Trab-Pferd“ oder ein „Galopp-Pferd“ hat, sprich, welche Gangart das Pferd bevorzugt. In dieser löst es sich natürlich auch besser.
Die ach so beliebte Dehnungshaltung, die in den meisten Fällen völlig falsch betrieben wird und ein Pferd so nur lang und lose macht und nicht schließt, sondern auseinander fallen lässt, ist für die meisten Pferde völlig kontraproduktiv. Kaum ein Reiter weiß, wann das Pferd den Widerrist hebt und wann es ihn fallen lässt. Hebt es den Widerrist, arbeitet es über die Muskulatur, also schonend für die Gelenke. Dieses Pferd hört man kaum. Dieses Pferd wird sich aber auch kaum tiefer dehnen lassen als mit der Nase auf Höhe des Buggelenkes. Lässt ein Pferd den Widerrist fallen, gehen die Bewegungen in die Gelenke, werden nicht über Muskulatur aufgefangen, das Pferd ist gut zu hören bis hin zum Trampeln. Hierbei können die meisten Pferde den Hals sehr lang machen nach unten, weil sie genau so auch grasen. Der Reiter freut sich jetzt über die über den Boden gehaltene Pferdenase und glaubt, in schönstem vorwärts-abwärts zu reiten – und sorgt dabei gerade für einen Verschleiß des Knochengerüsts.
Die Idee jeglichen Lösens muss also sein, Muskulatur durch kurze, weiche Bewegungen aufzuwärmen und in Dehnungsbereitschaft zu bringen und das Pferd im Ganzen beweglich und leichtfüßig zu machen. Dem Pferd sollten in der Lösungsphase also kurze, federnde Bewegungen ermöglicht werden, aus denen dann schwingendere, größere, raumgreifendere werden. Nicht umgekehrt!   Wie kann ich diese Kardinalfehler vermeiden? Als Reitschüler: auch wenn es langweilig und langwierig sein mag und heute nicht mehr „in“ ist: sitzen lernen, sitzen lernen, sitzen lernen. Zügelunabhängig. Sich immer Mühe geben, schön zu sitzen, sich fotografieren und filmen lassen und eine gute Analyse betreiben und sich nie damit zufrieden geben, dass „das ja schon ganz nett aussieht und für meine Bedürfnisse doch ausreicht“ – das Pferd hat auch Bedürfnisse! Und die müssen wichtiger sein!
Sich ein gutes, breites theoretisches Grundwissen zulegen. Und das immer erweitern. Also: lesen, lesen, lesen. Und ganz viel zuschauen. Mir muss nicht alles gefallen, was ich sehe. Aber erstmal muss ich viel sehen! Und dann ziehe ich mir das raus, was mir gefällt, das will ich auch machen und lernen. Und ich beobachte, was mir nicht gefällt und vermeide das. Und die Dinge hinterfragen. Immer wieder. Fragen stellen, sich die Antworten anhören, prüfen, ob einem diese Antwort passt, ob sie pro Pferd ist und plausibel. Hinterfragen, hinterfragen, hinterfragen. Ist anstrengend, aber alles, was mir da egal ist, was ich einfach so hinnehme, kann sich gegen das Pferd richten. Ein Leben lang lernen wollen und immer pro Pferd denken! Als Ausbilder: raus aus diesen eingefahrenen Gleisen „das haben wir schon immer so gemacht“. Was heißt immer? Und warum muss es deshalb richtig sein? Immer bemüht sein, die Schüler nicht abhängig zu machen (bringt mehr Geld), sondern theoretisches Grundwissen vermitteln und zum selbständigen Denken und Handeln zu erziehen (ist anstrengender). Immer pro Pferd denken und diese Auswüchse, die gerade die Sportreiterei in den letzten Jahren erlebt, nicht zulassen. Reitschüler umerziehen, die ihre Pferde als Sportgeräte sehen. Dafür muss der Ausbilder das aber auch wollen (und idealerweise vorleben), und leider gibt es so viele Ausbilder, die diese Degradierung eines Pferdes zum Sportgerät für normal und richtig halten. Wer als Reitschüler das feststellt oder so empfindet, muss sich klar machen, dass er mit jeder weiteren Reitstunde dort so etwas unterstützt! Wenn der Ruf nach anderem Unterricht nicht lauter wird, kann sich das noch lange so halten. Der Ruf wird ja bereits lauter, aber viele Schüler wenden sich auch einfach frustriert ab und werkeln schließlich selbst vor sich hin (nicht Sinn der Sache) oder wenden der Reiterei gar gänzlich frustriert den Rücken zu (noch weniger Sinn der Sache, wenn auch verständlich, wenn ein eigenes Pferd einfach nicht realisierbar ist). Aber es gibt ja „die Guten“, man muss sie nur suchen und findet sie vermutlich nicht in der Nebenstraße. Und der Reitschüler, der guten, „anderen“ Unterricht will, der muss auch bereit sein, dafür gutes Geld hinzulegen. „Hacken tief, Hände runter“ kann ich mir für 15 Euro an jeder Ecke anhören. Für wirklich guten Unterricht sollte man schon bereit sein, ab 40 Euro aufwärts zu bezahlen. Zudem sollte man mit seinem Pferd fahren können, denn die wenigsten wirklich guten Ausbilder sind auf dem Hof oder kommen dorthin. Auch das Besuchen von Lehrgängen (mit oder ohne eigenem Pferd), bei denen man durch Zuschauen und Zuhören viel lernen und mitnehmen kann, sollte mehrfach im Jahr eingeplant werden. Was kann ich im Voraus beachten (damit sie gar nicht erst passieren)? Im Prinzip das eben genannte 🙂   Was muss ich beachten, wenn sie bereits aufgetreten sind? Zum Umlernen bereit sein, zum Umdenken bereit sein und unbedingt den Ausbilder wechseln, wenn der an einer Veränderung nicht interessiert ist. Reiter, die einem gefallen, fragen, wie und wo sie gelernt haben. Mit guten Reitern, deren Reiterei einem gefällt, ins Gespräch kommen, fragen, ob man bei ihrer täglichen Arbeit einfach mal zuschauen und vielleicht auch Fragen stellen kann. Gute Ausbilder sind normalerweise daran interessiert, ihr Wissen weiterzugeben und gutes Reiten zu verbreiten. Und man muss natürlich erst einmal überhaupt bemerken, dass etwas falsch läuft, und dazu gehört wieder das Hinterfragen, das sich filmen und fotografieren lassen und auch das Annehmen von Kritik, auch wenn es noch so schwer fällt und auch wenn es von Menschen kommt, die es vielleicht nicht besser können – die Menschen, die am wenigsten reiten können, erkennen meist am besten Harmoniestörungen, auch wenn sie dann (leider) nicht erklären können, wie man diese bereinigen kann. Aber es ist immer wichtig, die Meinung von Außenstehenden einzuholen und das, was man dann gesagt bekommt, ernst zu nehmen.   Beobachten Sie diese Fehler bei Ihren ‚Schülern‘ häufig? Wie arbeiten Sie dann mit Ihren Schülern? Ich gebe keinen Otto-Normal-15-Euro-Unterricht. Von daher kommen zu mir meist Schüler, die bereit sind, etwas mehr zu bezahlen, dafür aber auch einen hohen Anspruch haben. Diesen Anspruch wünsche ich mir auch bei einem Schüler. Manche sind schon relativ verzweifelt, haben jahrelang falsch gelernt, wussten das auch, wussten aber nicht, wie sie da raus kommen sollten. Bis auf ganz wenige wollen meine Schüler wirklich umlernen und sich neue Horizonte aufzeigen lassen und sind bereit, vieles über lange Jahre Gelernte über Bord zu werfen und die Dinge zu hinterfragen und neu zu beleuchten. Ich erwarte eine große Offenheit von meinen Schülern und werfe bei den meisten anfangs eine komplette Weltanschauung um. Der Unterricht ist immer so gestaltet, dass das Pferd langfristig davon profitiert (der Reiter natürlich auch, das Pferd ist mir aber wichtiger). Das kann völlig unterschiedlich aussehen, da ja auch die Probleme und Schwierigkeiten völlig unterschiedlich sind. Zudem lernen Pferde und Menschen unterschiedlich und kommen mit ganz verschiedenen Vorkenntnissen, so dass hier nicht pauschalisiert werden kann.
Ich unterrichte ausschließlich Einzelstunden und gucke dabei nicht auf die Uhr. Meist ergeben sich 45 bis 60 Minuten, anfangs auch mal (deutlich) länger, weil mehr erklärt wird, später, wenn man sich gut kennt, sind es auch vielleicht mal nur 30 Minuten, weil wir dann mit einem sehr gelungenen Moment spontan aufhören. Der Reiter darf zuvor seine Wünsche äußern für den Unterricht, oft genug gibt aber das Pferd ein ganz anderes Thema vor und dann geht das vor. Häufig zu beobachten ist, dass die Reiter aus den normalen Reitschulen zu viel zu viel Zügeleinsatz erzogen werden, hier kommt dann gerne mal der Halsring zum Einsatz oder auch ganz verschiedene Gebisse, um Pferd und Reiter ein neues, anderes Gefühl für den Zügelkontakt zu geben.
Fast allen schnalle ich erst einmal die Bügel kürzer – gerne auch mal drei Löcher. Diese überlangen Bügel heutzutage sind eine Krankheit für sich – kaum ein Absatz kann noch locker federn, das Becken wird blockiert, die Reiter können nicht sitzen, weil ihnen jahrelang die Beine überstreckt wurden.
Ich arbeite mit etlichen Gangpferden, und wenn die aus der konventionellen Gangpferdereiterei kommen, sind dies nicht selten traumatisierte Pferde mit wohlwollenden Reitern, die aus der 08/15-Ausbildung unbedingt ausbrechen und ihr Pferd ganz anders ausbilden wollen.
Eines der größten Probleme ist jedoch das erlernte Denken. Wir werden zu Fehlerguckern erzogen, jeder kann sofort sagen, was ihm nicht gefällt, aber kaum jemand kann formulieren, wie er es denn stattdessen haben möchte. Es hilft meinem Pferd überhaupt nicht, wenn ich ihm (noch dazu häufig) sage, dass es etwas falsch macht. Meine Schüler lernen, immer – immer! – kurz und präzise zu formulieren, wie sie die nächste Reprise haben möchten. Dadurch entsteht ein immer klareres „inneres Bild“ im Reiter, das Pferd bekommt die Chance, sich diesem Bild anzunähern und kann im Prinzip keine Fehler mehr machen.
Die Reiter lernen, die Worte „Nein“ und „nicht“ komplett zu vermeiden (fällt den meisten ungeheuer schwer!) und mit ihrem Pferd in einen freundlich-positiven Dialog zu treten. Erst, wenn diese Idee sich im Reiter festigt, geht es an konkrete Veränderungen von Sitz, Hilfengebung und evtl. Lektionen. Das kann noch in der ersten Stunde passieren, vielleicht auch erst in einer der folgenden. Je offener der Reiter ist, je mehr er sich darauf einlassen kann, um so schneller stellen sich (manchmal unglaubliche) Erfolge ein, die den Reiter in dieser Art bestätigen und dem Pferd seine Motivation und seinen Stolz zurück geben.
Meine Schüler lernen zu fühlen und zu formulieren, und so können sie nach kurzer Zeit immer konkreter ausdrücken, was sie gut finden, was sie verändern möchten, was jetzt im Fokus steht. Die Pferde fühlen sich darin verstanden und ernst genommen und arbeiten immer freudiger mit, da sie sich ständig einbringen und mitteilen dürfen. Ich möchte bewegungsfreudige, ausdrucksstarke Pferde und denkende und fühlende, durchweg positiv gestimmte Reiter, die ihr Pferd adäquat unterstützen können. So entstehen herrliche Partnerschaften, die manchmal in Richtungen führen, die sich der Reiter anfangs gar nicht vorstellen konnte oder an denen er zuvor gar kein Interesse hatte, wenn das Pferd denn nur seine Talente und Vorzüge demonstrieren darf.   (Foto: Ilja van de Kasteele)