Text: Aline Müller            Foto: www.Slawik.com

Während manche Pferde gefühlt ständig unter Spannung stehen, müssen andere ganz schön zur Bewegung motiviert werden. Von Natur aus hat jedes Pferd einen individuellen Muskelgrundtonus, also einen Spannungszustand der Muskeln. Er hilft uns zu verstehen, wann ein Pferd wirklich losgelassen ist und wann Spannung negative Folge haben kann

Auf den einfachen Nenner gebracht, ist ein Pferd nur dann losgelassen, wenn sich kein Teil seines Körpers unnatürlich verspannt, und der rhythmische Bewegungsablauf dank der federnden Gelenke und eines schwingenden Rückens in der feinfühlenden Reiterhand spürbar wird“, schreibt der Reitmeister Kurt Albrecht in dem Buch „Dressurlehre für Reiter und Turnierrichter“. Dabei betont er, dass der körperlichen Losgelassenheit die innere (seelische) vorausgehen müsse. Ohne Losgelassenheit stoße jede Einwirkung des Reiters auf Spannung, Aufregung oder andere körperlich oder seelisch bedingte Widersetzlichkeiten. Das Pferd kann unter diesen Umständen den Anforderungen des Reiters nicht mehr nachkommen.

Veränderungen erkennen

Wenn der Reiter nicht erkennt, dass sein Vierbeiner nicht loslassen kann und einfach weitermacht (das typische „Darüberhinwegreiten“), beginnt ein Teufelskreis: Die Anspannung von Pferd und Reiter erhöht sich, es kommt zu weiteren Verspannungen, die schließlich starke Schmerzen auslösen und sowohl die körperliche als auch die psychische Gesundheit beeinträchtigen können. Ist ein Pferd nicht in der Lage loszulassen, werden fast alle Bewegungsmuskeln im Lauf der Zeit verspannen. Das schränkt zudem die Mobilität der Gelenke ein, was wir als Blockaden wahrnehmen. Die fehlende Losgelassenheit beziehungsweise die erhöhte Anspannung ist irgend- wann nicht mehr zu übersehen: Der Bewegungsablauf verändert sich, der reine Takt geht verloren und alles wirkt unharmonisch. Da das Pferd sich mehr und mehr unwohl fühlt, kann sich auch der Gesichtsausdruck verändern. Als Reiter ist es unsere Aufgabe, das Pferd zu beobachten, und zwar nicht nur während des Trainings, sondern auch in der Box oder im Freilauf. Wie bewegt sich das Pferd? Wann wirkt es angespannt, wann entspannt? Erkennen Sie Veränderungen an der Muskulatur? Dazu können Sie das Pferd auch berühren und durch Fühlen Unterschiede ertasten. Wenn Sie Ihr Pferd aus der Box holen, wird es eine lockerere Muskulatur haben, als wenn Sie es auf dem Turnier aus dem Hänger holen.

Individuelle Eigenspannung

Muskeln verfügen über eine Eigenspannung. Als Muskeltonus wird der Spannungszustand beziehungsweise Spannungsgrad eines Muskels oder einer Muskelgruppe bezeichnet. Jedes Pferd hat einen bestimmten Muskeltonus in Ruhe, der auch Ruhetonus oder Muskelgrundtonus genannt wird. Nicht immer muss die Spannung der Muskeln zu einer Bewegung oder Anstrengung führen. Der Muskelgrundtonus ist dafür zuständig, die Haltung des Körpers zu ermöglichen. Außerdem ist die Muskelspannung in Bezug auf die Koordination sowie die feinmotorischen Bewegungen wichtig. Bei der Entstehung des Muskeltonus muss zwischen glatter und quergestreifter Muskulatur (Skelettmuskulatur) unterschieden werden. Da es bei der quergestreiften Muskulatur zu abwechselnden Kontraktionen einzelner Muskelfasern kommt, ist selbst im Ruhe- zustand eine Grundspannung der Muskeln möglich. Hingegen finden bei der glatten Muskulatur permanent Kontraktionen der Muskelzellen statt, so dass ein bestimmter Muskeltonus erzeugt wird. Bei Pferden bedingen sich Wesen und Muskeltonus wechselseitig. So haben nervöse Typen meist einen höheren Muskeltonus als nervenstärkere Artgenossen. Vierbeiner, die von Natur aus einen hohen Muskeltonus aufweisen, sind schneller „geladen“ oder „elektrisch“.

Beweglichkeit und Muskeltonus

Jedes Pferd besitzt ein bestimmtes Maß an Beweglichkeit. Das kennen wir auch von uns Menschen: Der eine ist nahezu schon hyperflexibel, während der andere Probleme hat, im Stand mit den Fingerspitzen den Boden zu berühren. Training kann die Beweglichkeit verbessern, aber gewisse körperliche Voraussetzungen sind einfach von Natur aus vorhanden. So sind manche Pferde über das normale Maß hinaus beweglich. Sie bewegen sich deutlich besser mit einem erhöhten Muskel-tonus. Das betrifft beispielsweise auch Pferde mit schwachem Bindegewebe oder leichten Koordinationsstörungen. Nehmen wir ein instabiles Kniegelenk: Eine starke Muskulatur und eine etwas erhöhte Grundspannung können wie ein Korsett wirken und dem Pferd mehr Stabilität geben. Das klingt nun so, als sei ein höherer Muskeltonus nur etwas Gutes. Doch leider gehen mit ihm auch Nachteile einher. So kann es sein, dass durch die starke Aktivierung von Muskelfasern und Muskeln Lahmheiten überspielt werden. Vor allem aber neigen Pferde mit einem höheren Mus-keltonus schneller zu Muskelverspannungen.

Den kompletten Artikel finden Sie in der aktuellen Mein Pferd- Ausgabe.