Die „Profis“ hinter der Bande: Sie wissen alles besser, nerven die Reiter in der Halle oder auf dem Platz und machen es selbst selten besser. Was treibt sie zu so einem Verhalten? Scheint es nur so, oder ist die Reiter-Szene besonders von Lästereien und Besserwisserei betroffen?
Text: Lara Wassermann; Foto: IMAGO/ Bernd Friedel

Wohl kaum eine andere Sportart hat so vieleBesserwisser und „Experten“ zu bieten wie die Reiterszene. Das glaubt man zumindest, wenn man das tägliche Treiben in den Reitställen mal live miterlebt hat … Es wird über alles und jeden gelästert, grundsätzlich machen die anderen Einstaller alles falsch, und selbst wenn sie eigentlich alles richtig machen und wahrscheinlich auch besser als der Lästerer selbst – dann ist die Schabracke, mit der das Lästerobjekt reitet, so vorbei an den aktuellen Trends, dass der Reiter nur an Geschmacksverkalkung leiden kann. Abgesehen davon ist das von ihr gerittene Pferd einfach super talentiert, und es kann definitiv nicht an dem Können der jeweiligen Reiterin liegen, dass dieser ‚Totilas-Sohn‘ so gut läuft. Doch warum sind die Pferdefrauen (und -männer) häufig solche Lästermäuler und Besserwisser?

Charakter von Reitern

Die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) gab eine Studie in Auftrag, die den Charakter von Reitern als Untersuchungsgegenstand hatte. Ergebnis war, dass Reiter selbstbewusste, disziplinierte, zielstrebige und führungsstarke Persönlichkeiten sind. Das resultiert vielleicht aus daraus, dass Reiten heißt, sich durch Niederlagen zu kämpfen, Siege zu feiern und eigene Ängste Tag für Tag zu überwinden. Aufgegeben wird nicht, sondern es wird stets weiter gekämpft. Dieses notwendige Verhalten prägt den Charakter des Reiters. In der Karriere sind diese Eigenschaften die Eintrittskarte für höhere Positionen. Für das Umfeld Stall bedeutet das allerdings, dass eine Reihe ähnlicher, durchsetzungsstarker Charaktere aufeinandertreffen. Hat man also 50 selbstbewusste, zielstrebige und führungsstarke Einstaller zusammen auf einem Hof, so wirkt sich das häufig negativ auf die Stimmung aus. Verglichen mit einer Pferdeherde wäre es so, als würden 50 Leithengste und -stuten zusammenstehen. Man kann sich ausmalen, dass die Machtkämpfe deutlich ausgedehnter wären als bei einer Herde mit gemischt hohen Rängen. Diplom-Psychologin Anja Kraft vom Förderverein „Mensch & Tier“ in Berlin hat zu dem Problem eine eigeneTheorie, die die Frage aufwirft, ob Reiter wirklich die erwähnten Charaktereigenschaften mitbringen: „Beim Lästern spielen vermutlich gruppendynamische Prozesse eine Rolle. Man möchte sicher sein, dass man es selbst richtig macht, und rückversichert sich somit vielleicht in der Gruppe. Wenn es so ist, dass es in der Reiterszene besonders viele Besserwisser und Lästerer gibt, so stellt sich mir die Frage, ob es sich bei Reitern wirklich um Menschen handelt, die häufig besonders selbstbewusste, disziplinierte, zielstrebige und führungsstarke Persönlichkeiten sind – oder vielleicht eher um Menschen, die diesen Persönlichkeitseigenschaften viel Wert beimessen und diese zu kultivieren wünschen. Dann wäre das Rückversichern in der Gruppe in Abgrenzung zum Reiter wichtig, um das eigene Selbstbewusstsein zu stärken. Der eigene, ‚richtige‘ Weg könnte dann diszipliniert und zielstrebig beschritten werden, was dann auch Außenstehenden vermittelt würde.“

Stutenbissigkeit

Auch die größere Anzahl von Frauen an Reitställen scheint ein Grund für Zickereien und Lästereien zu sein. Frauen laufen in einem permanenten subtilen Wettstreit gegeneinander (Männer sind häufig außer Konkurrenz, weil sich Frauen eher mit Ähnlichem vergleichen). Frauen sind kritisch mit anderen Frauen, weil sie es mit sich selbst sind. Genauso wie man sich selbst begutachtet, klopft man auch die anderen ab und beurteilt für sich Makel und Vorzüge des anderen. Mädchen lernen meist schon in der Kindheit, dass sie brav und verträglich sein sollen. Sie lernen, Wut, Frust und Neid in weniger sichtbare Kanäle umzuleiten. Durch dieses Unterdrücken der Wut und der Ehrlichkeit kommt es dann häufig, dazu dass hintenrum gelästert wird, statt die vermeintliche Konkurrentin direkt zu konfrontieren. Viele Reiterinnen werden, wenn sie ehrlich zu sich selbst sind, feststellen, dass sie oft aus Neid über andere lästern. Statt über diese schlecht zu reden, um das eigene Selbstbewusstsein aufzubessern, sollte man sich überlegen, warum oder wofür man sie bewundert, und daraus Schlüsse ziehen. Welche meiner Sehnsüchte und Wünsche haben sich bei ihr bereits erfüllt, und was hat sie dafür getan, damit es nicht nur Träume bleiben? Wie ist sie an den Punkt gekommen, an dem sie jetzt ist? Und noch viel wichtiger: Wie kann ich mir selber diese Eigenschaften aneignen? Versuchen Sie das, was Sie heimlich bewundern, als Ansporn für sich selbst zu nehmen!

Besserwisser unter sich

Es gibt kein Problem, welches die Stallgemeinschaft nicht aus der Welt schaffen könnte. Schließlich hat man nicht umsonst alle Profis um sich geschart … oder? Kaum tritt ein Problem auf, da gibt es auch schon 20 verschiedene Ansätze zur Lösung und auch 20 verschiedene Gründe, warum es überhaupt entstanden ist. Ohne die Besserwisser-Stallexperten wäre man schon nach ein paar Wochen an dem eigenen Pferd gescheitert, und womöglich hätten beide es nicht überlebt. „Das Pferd ist zu dick“, „Die Trense ist für das Pferd total unbequem“, und einer meiner Lieblinge: „Gamaschen braucht man gar nicht, sie stören das Pferd nur.“ Interessant, dass sich so gut wie jeder für einen Experten hält. Nur selten jedoch bringen die Besserwisser Intelligenz und wirklich ein großes Wissen im Fachgebiet mit. Wenn einem von jemandem unter die Arme gegriffen wird, der wirklich helfen kann, so ist das natürlich positiv. Besserwisserei beginnt erst in dem Moment, in dem der vermeintliche Wissensvorsprung falsch eingesetzt wird. Für Besserwisserei gibt es zwei mögliche Auslöser. Der eine ist ein geringes Selbstwertgefühl. Durch das Verbessern und Entdecken von Fehlern bei anderen erhält der Besserwisser ein besseres Bild von sich selbst. Da andere schlechter dargestellt werden, wird man selbst sicherer. Das zweite potenzielle Motiv, warum ein Besserwisser ein Besserwisser ist, ist Narzissmus. Durch das Zurschaustellen des großen Wissens wird dem eigenen Ego noch geschmeichelt.

„Reitsportbegriff-Tourette“

Meine Boxennachbarin erzählte kürzlich von einem Phänomen, dass mir auch sehr bekannt vorkam: das von ihr so genannte ‚Reitsportbegriff-Tourette‘. Von diesem Zwangsverhalten scheinen immer mehr Reiter betroffen. Sie erzählte mir, dass, während sie auf dem Platz ritt, einige extrem schlaue Einstaller am Rand standen und in regelmäßigen Abständen Reitsportbegriffe zu ihrer „Hilfe“ auf den Platz riefen. Es schien, als könnten sie einfach nicht anders, und die Besserwisserei würde einfach nur so aus ihnen heraussprudeln: „Volte“, „Parade“, „Mehr auf die Hinterhand“. Ungefragt und häufig auch alles andere als hilfreich sprudeln die vermeintlich guten Tipps nur so aus den Experten heraus, als gäben sie eine Reitstunde. Doch wie geht man nun am besten mit den Besserwissern um? Ignorieren Sie den Besserwisser-Angriff. Denn gelingt es ihm nicht, sich aufzuspielen, so vergeht ihm schnell die Lust daran. Auch ein Ansprechen des nervigen Verhaltens kann helfen, dass Sie in Zukunft Ruhe vor dem Verhalten haben. Auch ein ironischer Kommentar wie „Vielen Dank für die kluge Einschätzung“ ist manchmal hilfreich. Der Besserwisser fühlt sich dann nicht ernst genommen und überdenkt sein Verhalten vielleicht beim nächsten Mal. Lästereien und Besserwissereien können einem auf Dauer wirklich den Spaß an der eigentlichen Lieblingsbeschäftigung vermiesen, jedoch kann man auch lernen damit umzugehen, und ein anderes Verhältnis dazu entwickeln. Denken Sie immer daran, dass Sie am Stall sind, um zu reiten, und nicht, um anderen zu gefallen. Wenn Sie das verinnerlichen und mit sich selbst im Reinen sind, dann können Sie sich bald wieder auf das Wesentliche konzentrieren: den Spaß mit Ihrem Pferd.