Text: Anna Castronovo     Foto: www.Slawik.com

Pferde leiden lautlos. Sie können ihren Schmerz nicht so ausdrücken, wie wir es gewohnt sind, denn sie haben keine Schmerzlaute wie Jaulen, Schreien, Winseln, Jammern oder Wimmern. Deshalb müssen wir Menschen lernen, die Schmerzäußerungen unserer Pferde wahrzunehmen

Der Mensch hat ein sogenanntes Schmerzgedächtnis. Das bedeutet, dass das Gehirn bei lang andauerndem Schmerz dieses Empfinden erlernt und der Schmerz fühlbar bleibt, obwohl die Ursache gar nicht mehr vorhanden ist. Das extremste Beispiel dafür sind Phantomschmerzen bei amputierten Gliedmaßen. Auch bei Pferden hört man immer wieder, sie seien kerngesund und würden sich nur an den Schmerz erinnern. Stimmt das? „Pferde haben kein Schmerzgedächtnis wie Menschen“, stellt Sandra Löckener klar. Aber: Anhaltende oder sich wiederholende Schmerzen können zu Veränderungen im Nervensystem führen und die Schmerzempfindlichkeit steigern. Das nennt man Wind-up-Effekt. „Bei Entzündungen oder Verletzungen werden Schmerzreize über das Nervensystem ans Gehirn weitergeleitet. Dann kommt ein Enzym ins Spiel, die sogenannte Cyclooxigenase, und Botenstoffe werden ausgeschüttet, welche die Schmerzsignale verstärken. So wird die Empfindung des Schmerzes immer stärker“, warnt die Wissenschaftlerin. „Es ist deshalb sehr wichtig, diesen Mechanismus durch eine Therapie – also Schmerzmittel – und vor allem durch die Behebung der Ursache zu unterbrechen.“ Ein Beispiel, das Löckener schon mehrmals erlebt hat, ist die Umstellung von Hufeisen auf Barhuf. „Die Pferde laufen dann einige Zeit lang fühlig, und die Besitzer haben oft über Monate hinweg die Ansicht, die Tiere müssten da durch, damit sie sich an das neue Gefühl gewöhnen. Aber das Gegenteil ist der Fall: Das Pferd empfindet den Schmerz als immer schlimmer.“

Auch wichtig: „Beurteilen Sie als Besitzer den Schmerz Ihres Pferdes nicht subjektiv. Wenn man sich als Mensch vorstellt, wie das Pferd empfindet, kommt man oft auf falsche Schlussfolgerungen und trifft falsche Entscheidungen für das Pferd“, rät Löckener. Zögern Sie deshalb nicht, mit Ihrem Tierarzt über eventuelle Schmerzen und mögliche Therapien zu sprechen. Aber Achtung: Geben Sie keinesfalls in Eigenregie Schmerzmittel! Eigentlich ist Schmerz nämlich ein sinnvoller Schutzmechanismus und dient dazu, die Ursachen, also eine Verletzung oder Erkrankung, nicht zu verschlimmern. Kein Pferd, dem das Bein wehtut, wird über die Koppel galoppieren und seinen Schmerz dadurch vergrößern. Deshalb sollen Pferde bei bestimmten Verletzungen, bei denen sie etwa ein verletztes Bein schonen sollen, auch keine Schmerzmittel bekommen, denn das kann den Heilungsprozess verzögern oder negativ beeinflussen. Wenn es allerdings um Erkrankungen geht, für die Bewegung förderlich oder notwendig ist, wie etwa Arthrose, ist ein Schmerzmittel angezeigt. Das gilt auch für schmerzhafte Erkrankungen, bei denen das Pferd ohnehin Boxenruhe hat. Das kann aber eben nur ein Tierarzt entscheiden.

Mehr Informationen zu diesem Thema finden Sie in der Mein Pferd Mai- Ausgabe.