In unserer Juliausgabe zeigen wir in der Titelgeschichte „Neu-Anfang auf Augenhöhe“ neue Trainingsansätze, die losgelöst vom Thema Rangordnung und dem damit häufig verbundenen Druck funktionieren. Und hier gibt es die ungekürzten Experteninterviews! Wir haben uns mit der Verhaltensbiologin Marlitt Wendt und der Trainerin  Sylvia Czarnecki über Horsemanship und den aktuellen Stand der Forschung unterhalten.  

INTERVIEW MIT MARLITT WENDT: Mein Pferd: Auf ihrer Homepage und in verschiedenen Artikeln kritisieren Sie, dass etliche Pferdetrainer oder so genannte Horsemen mit Druck, Hierarchien und Dominanz arbeiten und dies mit dem Herdenverhalten der Pferde rechtfertigen. Wie konnten sich solche Trainingsansätze wohl derartig verbreiten? Marlitt Wendt: Die Geschichte der Domestikation unserer heutigen Haustiere basierte ja weitgehend auf der physischen Unterwerfung der Tiere, sie wurden geschlagen, zusammengebunden und ihr Wille wurde gebrochen. Heutzutage sind wir glücklicherweise schon so weit den Tieren ihre Leidensfähigkeit und auch ihre eigenen Bedürfnisse einzugestehen, aber immer noch spukt in den Köpfen die Vorstellung, dass es immer einen Chef geben müsse und Tiere nur über Strafen diese angeblich natürliche Ordnung respektieren würden. Da wissenschaftlich gesehen auch eine Arbeit über Strafen, Druck und negative Verstärkung letztlich zum „gewünschten Ergebnis“ (jedenfalls wenn man die Bedienbarkeit eines Pferdes in den Fokus rückt und seine Psyche ausblendet) führt, wird sie solange salonfähig bleiben, wie Marketing- Experten es schaffen, gewisse Methoden schön zu reden. In der Tat wird noch sehr häufig geschrieben, dass Pferde in der Herde Rangordnungskämpfe austragen, auch um ein Leittier zu finden. Offenbar ist diese Sichtweise sehr eindimensional und veraltet. Worum geht es Pferden untereinander tatsächlich? Durch unsere Haltungsformen beeinflussen wir schon die Verhaltensweisen, welche uns im Alltag mit den Pferden am meisten auffallen. Zumeist stellen die Gruppen keine gewachsene Herdenstruktur dar, das Angebot an Bewegungsraum und anregenden Beschäftigungsmöglichkeiten ist unzureichend und wenn dann der Mensch nur zu den Fütterungszeiten den Tieren begegnet scheinen die Pferde nur über Drohgebärden zu kommunizieren. Dabei ist der Alltag einer harmonischen Herde vergleichsweise unspektakulär, da wird friedlich gemeinsam gegrast und unsichtbar für den menschlichen Beobachter kommunizieren die Tiere ihre Gefühle und Bedürfnissen den anderen Artgenossen gegenüber. Den Tieren geht es um die Herstellung eines stabilen Beziehungsgeflecht, in dem jedes Individuum in seinen Stärken und Schwächen kennengelernt und geschätzt wird. Gibt es denn trotzdem einen Leithengst – oder gibt es ihn nicht? Natürlich kann es einen Leithengst, so wie es auch Leitstuten geben kann oder eine Gruppe von erfahrenen älteren Tieren welche für die Gruppe bestimmte Entscheidungen treffen. Auch Jungpferde oder vermeintliche Außenseiter können die Geschicke der Herde mitbestimmen. Jede Pferdeherde ist anders. Pferde kommunizieren ständig miteinander und in jedem Augenblick übernehmen die Tiere bestimmte Rollen, mal animiert ein ausgelassenes Exemplar die anderen zu einem Spiel, dann bestimmt ein anderes Pferd für die Herde den Nachmittag im Schatten der Bäume zu verbringen oder ein besonders hungriges Tier sichert sich den besten Platz am Futter.

Sie schreiben, dass viele Pferdetrainer die Körpersprache des Leithengstes zu imitieren versuchen, u.a. mit der Arbeit im Roundpen. Warum halten Sie gerade diese Arbeit im Roundpen für völlig überholt? Diese Pferdetrainer versuchen ja immer nur einen einzigen Aspekt dieses sagenumwobenen Leithengst zu imitieren, nämlich seine Fähigkeit durch schiere körperliche Überlegenheit Kämpfe zu gewinnen. Wer die Methoden des Dominanztrainings am Vorbild eines vermeintlichen Leithengstes praktiziert, übersieht dabei in der Regel, dass er sich dem altbekannten pressure-release-Verfahren bedient und damit die Regeln der Lerntheorie anwendet. Allerdings befindet er sich auf Seite der Strafen und der negativen Verstärkung. Er nutzt für sich die wesentlich stressärmere und sensitivere Form der positiven Verstärkung nicht. Anerkannte Pferdepersönlichkeiten zeichnen sich nämlich innerhalb einer Herde durch ihre sozialen Kompetenzen aus, sie bringen Ruhe in eine Gruppe, sie kommunizieren sehr subtil ständig mit allen Herdenmitgliedern und agieren zum Wohle aller in dieser Gemeinschaft. Warum ist eine Dominanzbeziehung zwischen den unterschiedlichen Arten Pferd und Mensch ihrer Meinung nach ohnehin nicht möglich? Die Dominanztheoretiker möchten ja immer eine Hierachie etablieren an deren Spitze der Mensch steht, nun hat aber die Evolution in den letzten paar Millionen Jahren so eine Rangordnung zwischen artfremden Individuen nie vorgesehen. Per Definition besteht eine Rangbeziehung nur zwischen Individuen, die miteinander um Ressourcen wie etwa Nahrung oder Sexualpartner konkurrieren. Dies trifft auf die Mensch-Pferd-Beziehung nicht zu. Viele Trainingsansätze basieren darauf, dass Pferde eine Führungspersönlichkeit brauchen, weil diese Pferd und Mensch Sicherheit gibt: Pferde wüssten so z.B. was von ihnen erwartet wird und der Mensch sei in der Zusammenarbeit mit dem deutlich schwereren und kräftigeren Pferd geschützter. Alles Ausreden? Bei dem gemeinsamen Training geht es ja immer darum, dass Mensch und Pferd etwas lernen. Und wie alle Säugetiere teilen wir bestimmte Lernmechanismen, das bedeutet wir müssen uns über die Lerninhalte und die Formen unserer Kommunikation einigen. Lernen bedeutet also immer das Verstehen des Anderen und seiner Intentionen. Von einer „starken Führungspersönlichkeit“ welche mit Druck und Strafe arbeitet lernt das Pferd nur wie man diesen unangenehmen Reizen aus dem Weg geht. Das Tier lernt so in einer Atmosphäre der Angst möglichst nichts falsch zu machen und diese psychische Belastung ist aus meiner Sicht Gift für jede Beziehung zu einem anderen Lebewesen. Sie betonen, dass Pferde friedfertig miteinander kommunizieren und nicht nur – worauf sie häufig reduziert werden – kämpfen. Wie kommunizieren sie genau und was bedeutet das für uns Menschen? Man muss sich einfach mal die Zeit nehmen und ohne „Arbeitsauftrag“ die Pferde auf der Weide beobachten. In welchen Gruppenkonstellationen sie zueinander stehen, wem sich die einzelnen Tiere zuwenden oder wie sie ihre Aufmerksamkeit auf weit entfernte Ereignisse synchronisieren. Auch welche Formen der Kommunikation sie gegenüber dem Menschen anwenden, ob sie aktiv unsere Nähe suchen und neugierig unsere Aktivität beobachten. Manchmal zeigt uns schon ein auffordernder Blick ihre Bereitschaft mit uns zusammen etwas zu unternehmen und vielleicht auf einem kleinen Spaziergang einfach die unaufdringliche Nähe des Anderen spüren zu dürfen.

Wenn Pferdetrainer also das Verhalten der Pferde untereinander auf ihre Arbeit übertragen wollen, worauf müssten sie bei ihrer Arbeit achten? Im Training geht es darum gemeinsame Ziele zu verfolgen, dafür müssen wir den Pferden Anreize bieten und unsere gemeinsame Arbeit angenehm gestalten. Mensch und Pferd lernen am besten wenn wir Spaß an der Arbeit haben und sich unsere Bemühungen lohnen. Futterbelohnungen wie z.B. beim Clickertraining verschaffen so dem Pferd viele motivierende Erfolgserlebnisse, aber auch selbstbelohnende Aktivitäten wie etwa Laufspiele oder Kraulpausen können bei einigen Lerntypen den Trainingsalltag bereichern. Regeln, feste Rituale, Grenzensetzung und Konsequenz sind bei der gemeinsamen Arbeit aber dennoch wichtig. Die Frage ist nun: Bis zu welchem Punkt? Selbstverständlich sollte das Pferd keine Gefahr für den Menschen darstellen, aber es ist eine Illusion zu glauben, wenn man sein Tier mir Schmerzreizen unterdrückt würde man sein Hobby sicherer machen. Gerade die armen Geschöpfe, welche in der ständigen Angst leben bestraft zu werden und keine eigenen Ideen verwirklichen dürfen können irgendwann zu Gegenaggressionen neigen und dann sowohl ihren Peinigern wie auch Unbeteiligten großen Schaden zufügen. Typische Beispiele, bei denen gerne auf Dominanz- oder Rangordnungsprobleme verwiesen wird, sind Pferde, die drängeln, beim Führen überholen oder beim Putzen zappeln. Wie bekomme ich diese Situationen in den Griff, ohne in den Leithengst- Modus zu verfallen? Diese häufig beobachteten Verhaltensweisen sind natürlich störend für den Menschen, aber die Ursachen sind höchst individuell und können nur im jeweiligen Kontext der Situation erklärt werden. Da machen es sich viele Trainer gerne leicht und haben immer die gleiche Antwort parat, nämlich das die Pferde ein Dominanzproblem haben. Wenn z.B. das Pferd am Putzplatz „zappelt“ ist es kurzsichtig das Tier für dieses Verhalten zu bestrafen. Vielleicht ist dem Pferd einfach langweilig dort rumzustehen, während die Reiterin mit dem Handy telefoniert oder in der Sattelkammer trödelt. Dem Tier wird überhaupt kein Anreiz für das Stillstehen geboten und versteht natürlich nicht, warum es darauf warten soll gestriegelt zu werden. Aber wenn wir aus dieser Situation ein interessantes Spiel für das Pferd machen, indem wir es etwa das ruhige Stehen immer mal wieder mit einem Signal und dann mit einer Futterbelohnung versüßen, so entsteht für Reiter und Pferd eine Win-Win-Situation. Das Stichwort zur stressarmen Erziehung ist die Anwendung der positiven verstärkung und die Kenntnis der seit vielen Jahren gut erforschten Lerngesetze. Stichwort Körpersprache: Eine klare, selbstbewusste Körpersprache ist trotzdem wichtig, wenn ich mit meinem Pferd kommuniziere und möchte, dass es mich respektiert… Unsere Körpersprache kann vieles ausdrücken und kommuniziert oft Botschaften deren wir uns gar nicht bewusst werden. Aber unser Ziel sollte es immer sein das Pferd nicht mit unserer Körpersprache einzuschüchtern und zu ängstigen. Respekt verdient man sich nicht wenn man eine Drohkulisse aufbaut oder man glaubt eine Atmosphäre der Angst würde uns vor diesen großen Tieren schützen. Eine respektvolle Beziehung kann nur entstehen wenn beide Seiten angstfrei miteinander umgehen und wir unseren Willen aufzwingen, sondern auch seine Bedürfnisse und Freiräume respektieren.

 

INTERVIEW MIT SYLVIA CZARNECKI Mein Pferd: Auf ihrer Homepage und in verschiedenen Artikeln kritisieren Sie, dass etliche Pferdetrainer oder so genannte Horsemen Rangordnung und Dominanz als Grundlage für ihre Arbeit nutzen. Warum hat sich diese Arbeitsweise wohl so verbreitet und warum hält die Horsemanship-Bewegung wohl so daran fest? Sylvia Czarnecki: Wir alle wollen immer nur das Beste für unser Pferd. Ich bin überzeugt, dass, wer sein Pferd liebt, ihm niemals bewusst Schaden zufügen würde. Natürlich klingt es zunächst sehr logisch und verlockend, wenn man dem Pferdebesitzer nun erklärt, dass er so auf natürliche Art und Weise mit seinem Pferd umgehen und zu einem guten Partner werden kann. Auch die Vorstellung, dass wir der wichtigste Bezugspunkt des Pferdes sein können, ist sehr verlockend. Dazu kommt ein gewisser Aspekt der Sicherheit, denn wir wissen natürlich um die Stärke unserer Pferde und haben den Wunsch, sie insbesondere in Gefahrensituationen stets kontrollieren zu können. Ein Training, bei dem der Mensch sich über das Pferd „hinwegsetzt“, weil er immer das letzte Wort hat und es keine Alternative zu „Mach das““ gibt, wiegt uns in Sicherheit. Auch der Vorwand, Pferde fühlen sich sicher, wenn der Mensch beständig ist und die Situation kontrolliert, klingt zunächst nachvollziehbar. Tatsächlich überwiegt bei der Arbeit mit Natural Horsemanship die negative Verstärkung als Trainingskonzept. Sie basiert auf dem Aufbau von Druck und der Wegnahme dessen, wenn das Pferd richtig reagiert. Dabei können durchaus auch Belohnungen zum Einsatz kommen, die eigentliche Motivation des Pferdes ist jedoch die Wegnahme von Druck. Training über negative Verstärkung funktioniert zweifelsohne sehr gut. Für den Menschen ist es deutlich einfacher ein Pferd über negative Verstärkung zu trainieren, da das Pferd immer in irgendeiner Weise reagieren wird um dem Druck zu weichen. Allein das sorgt dafür, dass vielen Menschen der Anreiz fehlt, das Training in Frage zu stellen. Richtig angewandt, brauche ich langfristig (hoffentlich) relativ wenig Druck um ein Verhalten abzurufen, weil das Pferd diesen von vorneherein vermeiden möchte. Aber es bleibt selbst dann negative Verstärkung, wenn ich als Kommando meinen Blick in Richtung der Hinterhand richte. Schließlich ist auch das eine „Androhung“ von Druck. Viele Pferdebesitzer machen sich wenig Gedanken darum, warum ein Pferd auf ein Kommando oder Signal reagiert. Da sie nicht permanent mit viel Druck arbeiten, gibt die prompte Reaktion des Pferdes ihnen das Gefühl, mit dem Pferd positiv umzugehen, schließlich stellen viele auf diese Weise trainierte Pferde den Menschen irgendwann nicht mehr in Frage sondern führen aus. Die Anwendung und das Verständnis der Lerntheorie ist einfach viel zu wenig verbreitet, als dass die Pferdebesitzer die von ihnen angewandte Trainingsphilosophie ernsthaft hinterfragen könnten. Ich bin überzeugt, wüssten mehr Menschen über diese Bescheid, würde es unseren Pferden besser gehen, weil die Menschen bewusster mit ihnen umgehen würden. Aus rein wirtschaftlicher Sicht wäre die Erkenntnis, dass eine Rangordnung zwischen Pferd und Mensch gar nicht als solches existiert, ziemlich fatal, da jede Menge Trainer ihr Training darauf aufbauen und ihnen so eine wichtige Grundlage entzogen würde. Aber auch ideologisch dürfte es für die meisten Pferdebesitzer zunächst eine Zwickmühle sein. Denn was würde passieren, wenn die Grundlage einer Ideologie ganz einfach nicht existent ist? Eine große, ersatzlose Lücke und jede Menge Unsicherheit. “Ist das, was ich tue, richtig? Bin ich wirklich so fair zu meinem Pferd, wie mir suggeriert wird?” Sicherlich ist eine klare Linie für ein Pferd fairer als ein “heute hü – morgen hott” Umgang, doch insbesondere dort, wo erheblicher Druck als Mittel zum Zweck bisher legitim war, um Verhalten abrufbar zu machen, entstünde eine moralische Fragwürdigkeit. Und hier fehlt es den meisten Pferdebesitzern schlichtweg an Alternativen – womit wir wieder bei mangelnder Kenntnis der Lerntheorie wären.

In der Tat wird noch sehr häufig geschrieben, dass Pferde in der Herde Rangordnungskämpfe austragen, auch um ein Leittier zu finden. Offenbar ist diese Sichtweise sehr eindimensional und veraltet. Worum geht es Pferden untereinander tatsächlich? Den Pferden geht es stets um Ressourcen: Futter, Wasser, Sozialkontakte, Sexualtrieb. Denn in der freien Natur sind diese Ressourcen knapp und nur der stärkste überlebt. Nun verfügen unsere Pferde in der Regel über ausreichend Ressourcen und deshalb kommt es relativ selten zu wirklich ernsthaften Kämpfen untereinander. Darüber hinaus kontrolliert der Mensch die Herdenzusammenstellung und kümmert sich teilweise um die Sozialisierung der Pferde. Es ist noch gar nicht so lange her, da erklärten Studien, die an wildlebenden Herden durchgeführt wurden, dass die Herdenstruktur linear ist, es also einen Leithengst und eine Leitstute gibt. Das halte ich bei wildlebenden Pferden durchaus für plausibel, aber selbst dort verhalten sich diese Pferde nicht durchweg dominant, sondern machen Zugeständnisse und integrieren sich. Und ob die Pferde mit dem ein oder anderen herrischem Anführerpferd glücklich sind, sei auch einmal dahingestellt. In aktuellen, ethologischen Studien, wurde darüber hinaus vielfach festgestellt, dass Pferde nicht grundsätzlich dominant sind, sondern deren Verhalten gegenüber anderen Pferden von vielen verschiedenen Faktoren abhängig ist, wie eben z. B. der Verfügbarkeit von Ressourcen, der Tagesform, Jahreszeit, Motivation und vielen anderen. Gibt es denn trotzdem einen Leithengst – oder gibt es ihn nicht? Ich glaube durchaus, dass es Pferde gibt, die sich eher unterordnen und welche, die sich im Herdenverband eher durchsetzen. Es sind eben Charaktere, wie es sie auch bei uns Menschen gibt: individuell! An dieser Stelle finde ich es wichtig zu sagen, dass dies für das Training überhaupt keine Rolle spielt, denn Dominanz beschreibt das Verhalten zweier Artgenossen untereinanden. Ich bin jedoch kein Pferd und streite mit meinem Pferd auch nicht um Ressourcen Sie schreiben, dass viele Pferdetrainer die Körpersprache des Leithengstes mit Druck zu imitieren versuchen, was letztendlich in Konditionierung und negative Verstärkung mündet. Wie sieht das genau aus? Das ist relativ simpel. Der Mensch baut durch seine Körpersprache und/oder physischer Einwirkung Druck auf und bringt das Pferd so unter Zugzwang: wenn es die Situation beenden möchte, muss es aktiv werden. In der Regel wird das Pferd dann noch in irgendeiner Weise begrenzt, z. B. durch Bande, Gerte/Stick oder Strick, so dass es im Grunde genommen nicht anders kann, als irgendwann das gewünschte Verhalten auszuführen. Reagiert das Pferd nicht, wird der Druck aufrechterhalten oder erhöht, bis das Pferd reagiert. Das Pferd lernt, beim nächsten Mal schneller oder besser zu reagieren um dem Druck zu entgehen. Natürlich klingt es auch viel besser zu sagen, das Pferd reagiert auf meine „Hilfe“, weil es gelernt hat, mich zu respektieren, als zu sagen, es reagiert um dem Druck zu entgehen. Im Übrigen findet Konditionierung immer statt, denn Konditionierung beschreibt nichts anderes als Lernen. Ihre Auffassung von Natural Horsemanship beinhaltet eine operante Konditionierung mit positiver Verstärkung, unter dem Begriff Best Behaviour Horsetraining. Was versteht man darunter und wie arbeiten Sie genau? „To be on one‘s best behavior“ bedeutet auf Deutsch „sich von seiner besten Seite zeigen und sich gut benehmen“. Best Behavior Horsetraining steht also für höflichen und respektvollen Umgang miteinander unter Berücksichtigung des natürlichen Lernverhaltens des Pferdes. Mein Trainingsansatz ist, das Pferd zu motivieren und möglichst ohne Druck auszukommen. Wenn es die Situation, die Lektion und natürlich der Pferdebesitzer selbst zulässt, bedeutet dass, das ich Verhalten über positive Verstärkung erarbeite. Dabei geht es keinesfalls nur darum zu warten, bis das Pferd ein Verhalten zeigt um dieses dann zu belohnen und unter Signalkontrolle zu stellen. Vielmehr geht es darum durch gezielten, strukturierten und logischen Übungsaufbau das volle Potential der positiven Verstärkung auszunutzen. Positive Verstärkung ist sehr vielfältig, das „Capturing“, also Einfangen von Verhalten, ist nur eine Form und ein kleiner Teil der Arbeit mit positiver Verstärkung. Zum

Beispiel kann man Verhalten auch über das Formen erreichen, also mit einem Verhaltensansatz beginnen, diesen Belohnen und bis zum gewünschten Zielverhalten ausbauen. Es gibt so viele Möglichkeiten, aber häufig fehlt es den Pferdebesitzern an Vorstellungskraft, wie man Verhalten bekommt, ohne diese dem Pferd vorzugeben. Das Konzept der Hilfengebung im Natural Horsemanship ist gut durchdacht, weshalb das System durchaus einen Platz in meiner Trainingsphilosophie hat. Das Pferde Druck nicht als etwas unangenehmes Verstehen sondern als Teil der Kommunikation mit dem Menschen ist mir ebenso wichtig wie den meisten Anhängern im Natural Horsemanship. Im Prinzip verwende ich die gleichen Signale, allerdings mit einem anderen Trainingsansatz. Ich möchte, dass mein Pferd lernt, Druck nicht als Zwang sondern als Information zu verstehen. Dazu verwende ich negative Verstärkung in sehr abgeschwächter Form („milde störend“) und ohne den Druck zu erhöhen. Reagiert das Pferd, belohne ich es. Nach wenigen Wiederholungen hat das Pferd verstanden, dass auf seine Reaktion eine Belohnung erfolgt und der Druck lediglich eine Information darstellt, keine Androhung von weiterem Druck. Es reagiert in Erwartung der Belohnung, nicht um Druck zu vermeiden. Das ist ein wesentlicher Unterschied zum herkömmlichen Horsemanship. Viele Trainingsansätze basieren darauf, dass Pferde eine Führungspersönlichkeit brauchen, weil diese Pferd und Mensch Sicherheit gibt: Pferde wüssten so z.B. was von ihnen erwartet wird und der Mensch sei in der Zusammenarbeit mit dem deutlich schwereren und kräftigeren Pferd geschützter. Alles Ausreden? Gutes Training bringt all diese gewünschten Ergebnisse mit sich: sicherer Umgang mit dem Pferd, weil das Pferd gelernt hat, sich richtig zu verhalten und dies gerne tut. Ein Pferd, dass sich in Anwesenheit des Menschen wohl fühlt und seine Zeit gerne und vor allen Dingen freiwillig mit dem Menschen verbringt, weil es sich lohnt (nicht nur wegen der zu erwartenden Belohnung, sondern auch weil der Umgang durchweg positiv geprägt ist). Ein Pferd, dass keinen Grund hat, sich dem Mensch zu widersetzen, weil es gelernt hat, dass der Mensch sein Wesen ernst nimmt, seine Ängste und Bedürfnisse respektiert und dementsprechend handelt, falls es Probleme gibt. Es ist für viele Menschen nicht vorstellbar, dass dies funktioniert, ohne, dass man immer das letzte Wort hat und im Zweifel Verhalten über Druck durchsetzt. Das man Verhalten auch dann abrufen kann, wenn das Pferd etwas anderes im Sinne hat, wird häufig nur der Anwendung von Druck zugeschrieben. Das dies funktioniert, gibt vor allen Dingen dem Menschen Sicherheit im Umgang mit diesen großen und schweren Geschöpfen. Aber: das Pferd ist nun einmal ein Fluchttier und reagiert nicht immer wie vorgesehen. Das lässt sich weder mit negativer, noch mit positiver Verstärkung ändern. Dem Training mit positiver Verstärkung wird hier häufig der Erfolg abgesprochen, weil Pferde unter Stress nicht Fressen und man dementsprechend nicht auf Futter als Motivation zurückgreifen kann. Hier wird jedoch außer Acht gelassen, dass man das Pferd nicht besticht, sondern das Verhalten (hoffentlich) schon vorher trainiert wurde. Ein entsprechend trainiertes Verhalten, welches unter Signalkontrolle steht, lässt sich auch im Ernstfall abrufen – das ist nicht abhängig von der Trainingsform. Regeln, feste Rituale, Grenzensetzung und Konsequenz sind bei der gemeinsamen Arbeit aber dennoch wichtig. Die Frage ist nun: Bis zu welchem Punkt? Ich habe jede Menge Regeln, Rituale, Grenzen und ich bin bei allem was ich tue, äußerst konsequent. Ich möchte zum Beispiel weder angerempelt oder bedrängt werden, ich möchte, dass mein Pferd sich höflich benimmt, mir nicht in die Taschen kriecht, nicht beißt und tritt, stillsteht, sich führen lässt und ich möchte auch noch jede Menge anderer Dinge von meinem Pferd, die nicht selbstverständlich sind. Gutes Benehmen ist nicht einer bestimmten Trainingsform vorbehalten. Im positiven Training ist mir allerdings nicht nur wichtig, dass mein Pferd sich entsprechend verhält, sondern auch noch mit welcher Einstellung es das tut. Das Setzen von Grenzen ist in Bezug auf die Arbeit mit positiver Verstärkung ein vieldiskutiertes Thema. Aber was bedeutet es überhaupt, Grenzen zu setzen? Grenzen setzen bedeutet zu verhindern, dass das Pferd in Zukunft unerwünschtes Verhalten erneut zeigt. Das ist die Intention, die in der Regel auch hinter der Anwendung von Druck oder Strafe steht. Betrachten wir die Situation aber isoliert, gibt es immer einen Grund, warum das Pferd so reagiert hat. Es gibt also auch immer eine Möglichkeit, darauf hinzutrainieren,

dass das Pferd dieses Verhalten nicht erneut zeigt. Unerwünschtes Verhalten ist häufig selbst provoziert, weil wir die Anforderungen an das Pferd zu hoch setzen oder Situationen falsch einschätzen. Ich muss mich also fragen: was ist passiert, dass das Pferd das Verhalten gezeigt hat. Es ist vor allen Dingen wichtig, welche Schlüsse ich für mich aus solchen Situationen ziehe und was das für mein zukünftiges Training bedeutet. Denn wenn ich nicht handle, lande ich früher oder später erneut in dieser Situation. Wenn ich also im positiven Training Grenzen setzen möchte, dann muss ich diese ganz klar definieren und einen Plan haben, welche Voraussetzungen dafür vorhanden sein müssen und welche Trainingsziele ich dafür erarbeiten muss. Eine Grenzüberschreitung des Pferdes ist häufig auf Trainingsdefizite oder –fehler zurückzuführen – Extremsituationen mal außen vor, schließlich haben wir es hier mit lebendigen Wesen zu tun (Pferd und Mensch). Je sorgfältiger das Training, desto wahrscheinlicher ist dieses Verhalten auch in anderen Situationen abrufbar und je eher sind mir Alternativen zu Druck und Strafe in Fleisch und Blut übergegangen. Wer Grenzen über Druck und Strafe einfordern muss, definiert vor allen Dingen seine eigenen Grenzen. Das mag vielleicht etwas überheblich klingen, ist aber ein sehr wichtiger Satz. Es passiert mir selbst auch schon mal, dass ich aus Affekt oder weil ich unüberlegt unreflektiert handle, Strafe oder Druck anwende – wir sind alle nur Menschen. Und dann merke ich wieder, wie eng die Grenzen doch manchmal sind und wo es durchaus noch Defizite im Training gibt. Vor allen Dingen bedeutet er aber auch, dass ich nicht damit konform gehe, dass „etwas über positive Verstärkung nicht geht“ – ich bin fest davon überzeugt, dass es geht. Ich glaube aber auch, dass der ein oder andere von uns da an seine eigenen Grenzen kommt. Die sind aber glücklicherweise genauso lange variierbar, wie wir leben und Pferde lernen. Es ist nie zu spät, etwas an seinem Handeln und Denken zu ändern und die Grenzen neu zu definieren. Das ist ein wichtiger Teil meiner Philosophie, denn sie bezieht sich nicht nur darauf, was das Pferd freiwillig zu leisten bereit ist, sondern auch, was der Mensch zu diesem Zeitpunkt überhaupt leisten kann. Denn das Umdenken ist häufig ein Prozess über einen längeren Zeitraum. Genauso wenig, wie es Sinn macht, das Pferd unter Druck zu setzen, macht es Sinn, einen Menschen zu überreden, von heute auf morgen sein gesamtes Handeln zu ändern oder ihm mit Vorwürfen zu begegnen. Ich hole ihn dort ab, wo er steht und wir überlegen gemeinsam, wie die nächsten Schritte aussehen und wie der Umgang mit dem Pferd dann langfristig positiv gestaltet werden kann. Sie beschäftigen sich intensiv mit dem Thema Druck… Ja, das Thema Druck ist in meiner Arbeit sehr präsent, das stimmt. Aber es ist auch sehr wichtig. Oft werde ich nach der Definition von Druck gefragt und stelle im Gespräch dann fest, dass die Definitionen hier weit auseinander gehen. Für mich hat Druck vor allen Dingen eine psychische Komponente, nämlich dann, wenn das Pferd ihn als unangenehm empfindet. Reagiert das Pferd, um Druck zu vermeiden, kann man davon ausgehen, dass das Pferd ihn als unangenehm empfindet. Dann ist Druck für mich mit „Zwang“ gleichgesetzt. Das betrifft für mich sowohl die Anwendung von physischem Druck, als auch die Androhung von Druck über zum Beispiel Blickkontakt oder Körpersprache. Die Abwesenheit von physischem Druck bedeutet noch lange nicht, dass das Pferd aus freien Stücken reagiert. Die Definition von Druck ist also auch sehr eng mit dem Begriff der Freiwilligkeit verbunden. Und Freiwilligkeit ist für mich ehrlich und eines der höchsten Güter im Umgang mit meinem Pferd. Typische Beispiele, bei denen gerne auf Dominanz- oder Rangordnungsprobleme verwiesen wird, sind Pferde, die drängeln, beim Führen überholen oder beim Putzen zappeln. Wie bekomme ich diese Situationen in den Griff, ohne in den Leithengst- Modus zu verfallen? Für mich gibt es im Umgang mit Menschen keine dominanten Pferde, sondern nur Pferde, die noch nicht gelernt haben, sich richtig zu verhalten. Dort, wo andere Trainer Pferde als dominant bezeichnen, sehe ich häufig einfach unerzogene oder unsichere Pferde. In beiden Fällen muss ich Verhalten trainieren. Dies geschieht im positiven Training nicht, indem das unerwünschte Verhalten gestraft wird oder das Pferd über Druck daran gehindert wird, sondern, indem ich erwünschtes Verhalten fördere. Ich muss mir also genau überlegen: was will ich von diesem Pferd, was kann ich bereits „verlangen“, was ist schon vorhanden.

Wenn ich über positive Verstärkung trainieren möchte, brauche ich vor allen Dingen einen Verstärker, der so stark ist, dass das Pferd ihn unbedingt haben möchte und sich in Erwartung der Belohnung bemüht, sich richtig zu verhalten. In der Regel wird das Futter sein. Das bedeutet, dass ich bei vielen Pferden zunächst den Umgang mit Futter voranstellen muss, bevor ich mich daran mache, Verhalten zu korrigieren. Denn ein hochwertiger Verstärker bedeutet auch immer ein gewisses Stress- und Konfliktpotential. Bei distanzlosen Pferden oder Pferden die bereits aggressives Verhalten zeigen, trainiere ich dieses erst einmal mit einer Absperrung zwischen mir und dem Pferd. Bei höflichen Pferden kann ich direkt „am Pferd“ trainieren. Hat das Pferd die Grundbegriffe verstanden, beginne ich in kleinen Schritten das gewünschte Verhalten zu trainieren. Häufig muss man nur „den kleinsten gemeinsamen“ Nenner finden auf dem man aufbauen kann. Ich kann zum Beispiel damit anfangen, das Pferd dafür zu belohnen, neben mir zu stehen ohne zu betteln oder zu zappeln. Zunächst sehr kurz – so dass es die Anforderung erfüllen kann – dann immer länger. Ich kann auch das höfliche neben mir herlaufen belohnen oder das halten der gewünschten Position beim Laufen neben mir. Bekomme ich Probleme, gehe ich noch einen Schritt weiter zurück in der Ausbildung – es gibt immer einen nächst kleineren Schritt. Häufig machen Pferdebesitzer den Fehler, dass sie die Lernschritte zu groß gestalten oder regelrecht darauf warten, dass das Pferd einen Fehler macht, statt zu belohnen, solange das Pferd sich richtig verhält oder die Dinge zu belohnen, die bereits gut funktionieren. Viele Dinge werden einfach als selbstverständlich angesehen und deshalb auch wie selbstverständlich eingefordert. Sich bewusst zu machen, dass nichts von dem, was unsere Pferde für uns tun, selbstverständlich ist, ist immer ein guter Anfang um nicht in alte Muster zu verfallen. Stichwort Körpersprache: Eine klare, selbstbewusste Körpersprache ist trotzdem wichtig, wenn ich mit meinem Pferd kommuniziere und möchte, dass es mich respektiert. Wie sieht eine effektive Kommunikation aus, bei der sich Pferd und Mensch gegenseitig verstehen? Unsere Körpersprache zu verstehen ist dem Pferd nicht in die Wiege gelegt, auch wenn häufig etwas anderes behauptet wird. Wie es sich gegenüber uns Verhalten soll, lernt das Pferd durch Konditionierung. Ich muss dem Pferd also vor allen Dingen beibringen, wie es sich mir gegenüber verhalten soll. Viele Menschen haben jedoch kein klares Ziel, keinen Plan davon, was sie von ihrem Pferd möchten und wie sie dorthin kommen. Sie variieren also in ihrer Körpersprache, weil sie unsicher sind oder sich schlichtweg zu wenig Gedanken machen. Das Pferd hat also kaum die Möglichkeit, zu lernen, was der Mensch wann möchte. Den Menschen fehlt die Klarheit, die für das Pferd so wichtig ist. Das hat auch etwas mit Authentizität zutun. Viele Menschen achten im Training penibel darauf, was sie tun und dass das Pferd entsprechend reagiert und haben dann außerhalb des Trainings alles vergessen. Das schafft Unverständnis und Unsicherheit seitens des Pferdes und macht sie unglaubwürdig. Missverständnisse sind vorprogrammiert. Eine Kommunikation muss vor allen Dingen verständlich sein und funktionieren. Einer meiner obersten Trainingsregeln lautet: Verlange von deinem Pferd nichts, was du nicht vorher in kleinen Teilschritten positiv auftrainiert hast. Das bedingt, dass man die gewünschten Verhaltensweisen trainiert und Benehmen nicht dem Zufall überlässt. Sie arbeiten mit zirzensischen Lektionen, Clicker, Longe. Warum lassen sich Ihre Ansätze hier besonders gut umsetzen? Meine Trainingsgrundlage ist das natürliche Lernverhalten des Pferdes. Darauf aufbauend lässt sich jegliches Verhalten trainieren, ganz egal ob Zirkuslektionen, Bodenarbeit, Longieren oder Reiten. Die oben genannten Trainingsarten sind lediglich Bereiche, die ich unter Berücksichtigung des Lernverhaltens trainiere. Einer meiner Schwerpunkte ist die Arbeit mit zirzensischen Lektionen. Nicht nur, weil dies eine tolle Möglichkeit ist, Pferd und Mensch miteinander vertrauter zu machen, sondern vor allen Dingen auch, weil sich am Beispiel von Zirkuslektionen die lerntheoretischen Grundsätze in der Praxis wunderbar erklären lassen. So beinhalten die Kurse bei mir nicht nur Praxis, sondern auch praxisnahe Theorieeinheiten. Die meisten Pferdebesitzer gehen unvoreingenommen an diese Arbeit heran, weil sie wenig Erfahrung auf dem Gebiet haben. Sie haben zunächst wenige Erwartungen und lassen sich darauf ein, etwas Neues zu probieren. So können Sie lernen,

wie Pferde lernen und nehmen von meinen Kursen viel mehr mit, als ein paar „Zirkuskunststücke“. Oft ist dies der Anfang eines ganz neuen Umgangs, einer neuen Sichtweise und Perspektive im Zusammensein mit den Pferden. Das schönste Kompliment, welches mir einmal eine Teilnehmerin gemacht hat, war „Nach dem Kurs ist nichts mehr wie vor dem Kurs“.

  Interview: Julia Schay-Beneke (Fozo: IMAGO/Westend61)