Text: Petra Boschen    Foto: Slawaik.com

Pferde können schwere Reiter tragen – aber dafür brauchen sie bestimmte Voraussetzungen, wie eine neue englische Studie bestätigt. Der Fokus liegt auf Röhrbein, Rücken und Lendenpartie.

„Auch mit einem gut sitzenden Sattel ist ein schwerer Reiter immer noch zu schwer für sein Pferd“, so die Physiotherapeutin Claudia Neeff. Ihr geht es nicht um einen Body-Mass-Index von maximal 25 und damit um die Ästhetik, sondern um das reine Gewicht, das ein Reiter oder eine Reiterin schlussendlich in den Sattel bringt. „90 Kilogramm bleiben 90 Kilogramm. Egal, ob der Mensch 1,60 Meter oder 1,90 Meter groß ist. Pferden fehlt das Schlüsselbein, dadurch haben sie keine knöcherne Verbindung zum Torax, und dieses Hängemattensystem des Vorderpferdes verliert mit jeder Stauchung durch zu viel Reitergewicht an Tragkraft. Schäden durch zu viel Gewicht im Rücken finde ich in Traumata an den Dornfortsätzen sowie in den unteren Gliedmaßen, die vom Huf bis zum Karpalgelenk nicht muskulär unterstützt werden und deswegen anfällig sind.“ Dennoch ist die Therapeutin nicht der Meinung, dass Pferde im Allgemeinen keine schweren Lasten tragen können. Sie müssen nur muskulär und konditionell gut darauf vorbereitet werden. Eine starke Oberlinie und korrekt gestellte, ausreichend kräftige Gliedmaßen seien dabei eine Grundvoraussetzung.

Röhrbeinumfang



Fragen nach dem optimalen Reitergewicht sind auch für Dr. Willa Bohnet nicht neu. Die Diplombiologin hat letzten Herbst für die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz das Merkblatt „Reitergewicht“ erarbeitet. Sie sagt: „Schon 1998 bekam das Institut für Tierschutz an der Tierärztlichen Hochschule in Hannover eine Anfrage, was das Maximalgewicht ist, das ein Isländer tragen kann. Damals haben wir anhand von Untersuchungen die Belastbarkeit des Rückens am Röhrbeinumfang im Zusammenhang mit dem eigenen Körpergewicht festgemacht.“ Hat das Röhrbein, der dritte Mittelfußknochen des Pferdes, eine Dicke von mehr als 20 Zentimetern pro 450 Kilogramm Körpergewicht, wird ihm eine gute Tragfähigkeit attestiert. Natürlich sind bei diesem „Röhrbeinbelastungsindex“ die Robustponyrassen wie Norweger und Isländer im Vorteil. Aber auch das Englische Vollblut kommt bei dieser Form der Bewertung gut weg. Besser als diverse Kaltblutrassen, die durch ihr großes Eigengewicht keine hohe „Zuladungsmöglichkeit“ mehr haben. 
Das Thema Grundvoraussetzung darf sowohl auf Seiten des Reiters als auch bei der Suche nach dem tragkräftigen Pferd nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Komponenten wie reiterliches Können, Ausbildungsstand des Tieres, die gewünschte Nutzung und vor allem die Konstitution des Pferdes sind zu berücksichtigen.

Nur Anhaltspunkte


Dr. Willa Bohnet ist sich sicher, dass sich die Frage nach den Pfunden der Reiter auch in naher Zukunft nicht wird eindeutig beantworten lassen: „Die Menschen suchen nach einer Zahl, die ihnen Gewissheit geben kann, nicht zu schwer für ihr Tier zu sein. Unsere Untersuchungen können aber nur Anhaltspunkte liefern, die individuell bewertet werden müssen.“ Dabei wäre es gerade für die in Sachen Tierschutz referierende Biologin eine Erleichterung, wenn sie beispielsweise Amtstierärzten für ihre Stichproben auf Pferdeveranstaltungen konkrete Maße und Zahlen an die Hand geben könnte. Das ist nach wie vor ein schwieriges Unterfangen. Einen Schritt in die richtige Richtung sind für Bohnet zum Beispiel die neuen Tierschutzleitlinien des NRW Umweltministeriums, durch die die reitenden Teilnehmer am Karneval sowie die Pferde vorab gewogen wurden, um eine Überbelastung auszuschließen. Hier hat man sich auf 20 Prozent der Körpermasse des Pferdes als „Zuladungsgrenze“ geeinigt. Das deckt sich mit Bohnets Empfehlung, die alles, was oberhalb dieser Belastung liegt, als tierschutzwidrig einstuft. Selbstverantwortung der Reiter ihrem Tier gegenüber bleibt aber die Forderung Nummer eins.

… weitere Informationen zum Thema Reitergewicht finden Sie in der Oktober-Ausgabe.