Ein doppeltes Wunschpferd hat es in sechs Jahren Mein Pferd noch nicht gegeben. Aber die Tölt-Premiere von Kandidatin Nicole Schapmann fiel buchstäblich ins Wasser. Deshalb lud die Islandpferde-Reiterin Marion Böckels sie für unsere Novemberausgabe 2012 zu einem Strandritt nach Oostkapelle (NL) ein.Isländer Am Strand reiten Malerische Dünenkämme, die Ränder von bunten Strandhäuschen gesäumt. Linker Hand ragt in der Ferne der Leuchtturm von Domburg gen Himmel, rechter Hand sind – so weit das Auge reicht – nur Sand, Meer und Wellenbrecher zu sehen. Mit einer Länge von rund 4,5 Kilometern gehört der Strand von Oostkapelle auf der Halbinsel Walcheren (Provinz Zeeland) zu den längsten der Niederlande – wirken die wenigen Touristen, die jetzt noch den knapp 2.500 Einwohner zählenden Badeort besuchen, als wären sie hier wie vereinzelte Muscheln auf dem Nordseesand verteilt worden.

Strandhäuschen NLDie Nachsaison eignet sich perfekt für Reiter aller Sparten: Vom 16. September bis zum 14. Mai wird der komplette Strand ganztägig für Pferde freigegeben. Zur Hauptsaison, wenn es von Urlaubern und Familien wimmelt, dürfen Reiter nur in den Morgenstunden – bis spätestens 10 Uhr – oder ab 19 Uhr an den Hauptstrand, was häufig zu zeitlichen Schwierigkeiten mit den Gezeiten führt. Für längere Ausritte eignet sich die Ebbe mit ihren Prielen und weitläufigen Sandbänken am besten. Marion und Udo Böckels fahren jedes Jahr im September eine Woche mit Freunden und Pferden hierher. So auch dieses Jahr: Pünktlich am 15. September sind die Besitzer des Islandpferde- Gestüts Windhof in Niederzier bei Düren im Rheinland (siehe Kasten, Seite 81) samt Pferdeanhänger angereist. Hier stehen sie jeden Tag – trotz Urlaubs – in aller Herrgottsfrühe auf, um keine Minute des kostbaren Wassertiefstandes zu verpassen. Auch an diesem sonnigen Dienstag, als wir mit unserer Wunschpferd-Kandidatin Nicole Schapmann nach über vier Stunden Fahrt, inklusive einiger Staus, um 11 Uhr ankommen, ist das Ehepaar bereits gestiefelt und gespornt, die beiden Isländer Rappen sind gesattelt. Der Tiefstand ist für 11.20 Uhr angekündigt. Fünf Minuten später geht es auch schon los.

Der Traum vom Isländer Rückblende, eine Woche vorher: Die 26-jährige Nicole aus Kerpen bangt um ihren Wunschpferd-Termin. Ein Jahr zuvor hatte sich die Kauffrau im Groß- und Außenhandel bei uns beworben, weil sie noch nie auf einem Isländer gesessen hatte – trotz 17 Jahren Reiterfahrung. Nun soll es auf dem Windhof so weit sein, wenn der Wettergott mitspielt. Ab mittags sollen laut Vorhersage Starkregen und Sturmböen einsetzen, die Temperaturen daraufhin um zehn Grad sinken. Wir überlegen, den Termin zu verschieben, wagen es aber zu guter Letzt, dank Marions Optimismus, doch Als wir aus dem Auto steigen, pfeift uns der Wind um die Ohren, und der Himmel ist so schwarz, als ginge jeden Moment die Welt unter.

rsz_20120918-_vdk3472 Eile ist geboten: Blitzschnell satteln Nicole und Marion die 20-jährige Fuchsstute Svala, eine zuverlässige Viergängerin, an der Marions Herz besonders hängt. „Sie hat sieben Leben“, stellt sie wehmütig fest. „Leider hat sie sechs davon schon hinter sich.“ Svala hat nur ein Auge – das andere musste ihr herausoperiert werden, weil sie an Grünem Star erkrankt war. Außerdem erlitt sie bei einer Attacke durch einen Kampfhund schwere Verletzungen. „Ich habe sie schon seit 12 Jahren und habe mit ihr drei Fohlen gezogen,“ erzählt Marion. „Sie darf jetzt einfach noch ein wenig Spaß haben und wird ab und zu geritten, denn sie ist ein genialer Tölter!“ Trotz der kurzen Kennenlernzeit schließt Nicole die friedfertige Stute sofort ins Herz. Genüsslich lässt diese sich von ihr kraulen; das heraufziehende Unwetter beeindruckt beide dabei nicht im Geringsten.

Die Schulterfreiheit zum Tölten ist das A und O Marion erteilt Nicole auf die Schnelle einen Crashkurs in Tölt-Grundlagen: Tendenziell werden Isländer weiter hinten gesattelt als Großpferde, um ihnen mehr Schulterfreiheit für den Tölt zu geben. Die Sitzfläche soll sich genau auf dem Mittelpunkt zwischen Widerrist und Kruppe befinden. So wird die Vorhand nicht unnötig belastet. „Je weiter du vorne sitzt, desto mehr wird der Bewegungsapparat der Vorhand eingeengt“, erklärt Marion der aufmerksam zuhörenden Nicole. Aufsteigen soll sie parallel zum Sattel, ohne sich zu drehen, um den Rücken des Pferdes zu schonen. Dann beschreibt uns Marion, welchen Feldweg sie nehmen werden. Wir preschen mit dem Auto zum Treffpunkt. Möwe in OostkapelleDort angekommen, positionieren wir uns mit Fotoapparat, Schreibutensilien und Videokamera an der Weggabelung – genau in dem Moment, als der Himmel seine Schleusen öffnet. Binnen zwei Minuten sind wir nass bis auf die Haut. In der Ferne sehen wir zwei Punkte, einer davon trägt eine rote Jacke – und strahlt. Nicole genießt ihren Tölt bei isländischen Wetterbedingungen in vollen Zügen und flitzt unbeirrt unter tiefhängenden schwarzen Wolken übers Feld. Es fiel ihr relativ leicht, die Hilfengebung für den Tölt umzusetzen, verrät sie uns später. „Marion hat mir alles ganz genau erklärt. Zuerst die Zügel etwas kürzer fassen, um den Schritt zu verkürzen. Die Hinterhand soll vermehrt unter den Körper treten. Dann kommen noch minimale Schenkelhilfen hinzu.“ Das Gefühl sei mit dem Trab auf ihrer 6-jährigen Rheinländer-Stute Terra X, mit der sie Dressur und Springen (Klasse A) reitet, nicht zu vergleichen. „Wie auf einer Couch!“, schwärmt sie. „Man wird im Tölt nicht – wie im Trab bei einem Großpferd – ständig aus dem Sattel geworfen.“ Tölten: Die Bauchmuskeln als Gaspedal Außerdem hätte sie sich gut darauf einlassen können, dass das Tempo anders reguliert wird. „Anders als bei anderen Reitweisen arbeitet man nicht so stark über den Schenkel“, fügt Marion hinzu. „Stattdessen muss man, wenn man zügiger reiten will, tiefer einsitzen und die Bauchmuskeln anspannen.“ Mühelos könnten die töltenden Isländer dann ein anderes Pferd im Galopp jagen, meint sie stolz. Nicole wünscht sich derweil, das Erlebnis bei schönem Wetter noch einmal zu wiederholen. „Klar, man blendet den Regen fast aus,“ meint sie. „Aber ich möchte auf alle Fälle sporadisch immer mal wieder tölten!“ Die Gelegenheit soll sich in nur sieben Tagen bereits wieder bieten. Marion hat Mitleid mit Nicole und bietet ihr spontan an, nach Oostkapelle zu kommen. „Nimm dir Urlaub und besuch uns“, schlägt sie vor. „Dann reiten wir beide auf unseren Isländern am Strand.“

Reiten am MeerGesagt, getan: Eine Woche später sitzt Nicole auf der 17-jährigen Rappstute Gala und reitet gemeinsam mit Marion – auf der 8-jährigen Fünfgängerin Kedja – und zwei weiteren Isländer-Freunden aus Merzenich über den Grüngürtel „De Manteling“, der in Oostkapelle den Ortskern und die Küste durch ein Waldgebiet mit vielen Spazier-, Fahrrad- und Reitwegen trennt. Ihr Weg führt sie vorbei an Naturschutzgebieten, Dünen und Wildpferden, die hier regelmäßig grasen. Der Wind rauscht, die Sonne scheint, und ein paar Wolkenformationen machen die Postkartenidylle komplett. Reiten in Oostkapelle: Fast wie ein Ausflug nach Island Am Hauptstrand, direkt neben dem Strandcafé „De Piraat“, biegt die Karawane nach rechts ab. Hier wird der Strand immer breiter, die Pferde können den Platz aufgrund des tiefstehenden Wassers bis ins Meer hinein ausschöpfen und bis zum Bauch – und den Stiefeln des Reiters – hineingehen. Hier können die vier Isländer ohne räumliche Begrenzungen ihrem Tölt freien Lauf lassen. Schnell wie der Wind flitzen sie am Strand entlang und hinterlassen lediglich Hufabdrücke im Sand. Die Möwen stieben auseinander, und vereinzelt bleiben Spaziergänger stehen, um sich das Spektakel anzusehen. Nach wenigen Minuten sieht man nur noch schwarze Punkte am Horizont, die immer kleiner werden. Wir warten, bis das Wasser näher kommt, und nach einiger Zeit tauchen die vier Punkte tatsächlich wieder auf. Diesmal galoppiert Nicole mit wehenden Haaren über die Sandbänke und durch die Brandung, Wunschpferd Isländerdass das Wasser nach allen Seiten spritzt. Sie watet mit Gala noch seeleruhig durchs Wasser, dass sie selber durchnässt ist, merkt sie noch gar nicht. „Wahnsinn, einfach genial!“, ruft sie mit vor Aufregung geröteten Wangen. „Dieses Gefühl, am Meer entlangzureiten, so dass einem der Wind ins Gesicht weht, ist neu und unbeschreiblich. Felder kennt man, aber das hier ist etwas ganz Besonderes.“ Schweren Herzens bringt sie Gala gemeinsam mit Marion nach zwei unvergesslichen Stunden, die wie im Fluge vergangen sind, zurück in ihr Feriendomizil: einen Privatstall mit großem Weidegebiet, der zum hiesigen Reiterhof „Manege Duno“ gehört. Im Anschluss daran muss sie die vielen Eindrücke erst mal verarbeiten und sitzt – selig lächelnd – auf der sonnigen Terrasse des „De Piraat“. „Jetzt habe ich innerhalb einer Woche zweimal eine Premiere erlebt“, resümiert sie. „Letzte Woche durfte ich das erste Mal tölten, wovon ich schon so lange geträumt habe, und heute das hier!“ Das Land Island und seine Pferde haben sie schon immer fasziniert. „Man hat immer so viel Gutes über diese Rasse gehört – klein mit großem Herz!“ Ein Gerücht, das sich für sie in wirklich jeder Hinsicht bestätigt hat. „Svala und Gala sind unglaublich ruhig und lieb“, schwärmt sie. „Allerdings habe ich mich auf Gala diese Woche noch ein ganzes Stück sicherer gefühlt.“

Die Kirsche auf dem Sahnehäubchen  Beide Pferde seien hundertprozentig richtig für ihren ersten Tölt ausgewählt gewesen. Allerdings hat Nicole das Gefühl, Marions Hilfen noch besser umsetzen zu können als letzte Woche. Auch Marion ist beeindruckt: „Sie lernt wirklich schnell. Ich kenne viele, die mehr Probleme mit der Hilfengebung und dem tiefen Sitz haben.“ Nicole war zwar aufgeregt, hat sich aber trotzdem getraut, weiterzugehen als beim letzen Mal. „Ich habe mehr mit meinem Körper gespielt“, erzählt sie. „Durch die wachsende Sicherheit habe ich mehr ausprobiert, mich gefragt, was passiert, wenn …?“ Auf jeden Fall möchte sie weiter Isländer reiten, das ist nach dem heutigen Tag beschlossene Sache. „Letzte Woche durfte ich das Sahnehäubchen des Reitens probieren“, meint sie lachend. „Und heute, das war die Kirsche auf der Sahne! Wunschpferd: Isländer «Mein Fazit» Auf der Terrasse des Strandcafés von Oostkapelle zieht Nicole Bilanz: „Alles, was ich über Isländer gehört habe, hat sich bestätigt. Sie sind ruhig, lieb und gehen mit einem durch dick und dünn. Das Tölten ist mir beim zweiten Mal leichter gefallen, die Hilfen konnte ich leichter umsetzen.“ Islandpferde-Gestüt Windhof Isländer am Meer reitenIhre Leidenschaft für Isländer führte dazu, dass Marion und Udo Böckels vor sieben Jahren auf dem Windhof zwischen Düren und Jülich (NRW) begannen, diese Pferde zu züchten. Für ihre Isländer, zurzeit acht an der Zahl, haben sie den Außenbereich des Gestüts mit viel Aufwand umgestaltet.   Die Pferde haben auf großzügigen Bewegungspaddocks ausreichend Platz und Herdenanschluss. Ein Teil der Pferde nimmt regelmäßig erfolgreich an Islandpferde-Turnieren teil. Marion und Udo taten sich im Jahr 2004 mit anderen Islandpferde-Freunden aus der Region zusammen: Sie gründeten den Verein „Isi-Rider Rurtal“. www.islandpferdegestuet-windhof.de     (Fotos: Ilja van de Kasteele)