Text: Aline Müller Foto: Adobe Stock/ kevin
Durch die Mimik des Pferdes können wir mehr über seine Stimmung erfahren. Umgekehrt sind Pferde auch in der Lage, menschliche Gesichtsausdrücke zu lesen, zu interpretieren und sich sogar zu merken. Das verraten Augen, Nüstern, Maul und Co. des Pferdes
Am Ende der Stallgasse steht ein kleiner Fuchswallach, der seit Kurzem eine neue Besitzerin hat. Anna hat das Gefühl, dass sich ihr Pony Freddy gar nicht freut, wenn sie in die Box kommt. Schließlich stellt er sich meist in eine Ecke und wendet den Blick von ihr ab. Anna ist frustriert und das ist ihr deutlich anzusehen. Sie erzählt einer Stallkollegin von ihren Sorgen, die ihr daraufhin rät, es einfach mal mit einem Lächeln zu probieren. „Als ob das klappen würde“, zweifelt Anna. Doch einen Versuch ist es wert: Bei der nächste Begrüßung lächelt sie Freddy deutlich sichtbar an und geht ein wenig in die Hocke. Und siehe da, der Ponywallach spitzt langsam die Ohren und wird neugierig. Er bewegt sich sogar ein paar Schritte auf Anna zu und wirkt plötzlich insgesamt viel freundlicher und zugänglicher.
Eindeutiger Fotobeweis
Das ist kein Zufall, denn Pferde lesen die menschliche Mimik und unser Gesichtsausdruck verrät eben viel über unsere jeweilige Stimmung. Pferde haben ein sehr komplexes Sozialverhalten. Für sie ist es extrem wichtig, mit Artgenossen zu kommunizieren und deren Stimmung zu lesen. Das hilft ihnen unter anderem Konflikten aus dem Weg zu gehen. Britische Forscher der University of Sussex beschäftigten sich mit der Frage, inwieweit Pferde in der Lage sind menschliche Gesichtsausdrücke zu erfassen und zu interpretieren. Bereits 2016 hatte ein Team um Amy Smith in einem Versuch herausgefunden, dass die Vierbeiner auf Bilder eines ihnen unbekannten lächelnden Menschen beziehungsweise auf die gleiche Person mit grimmigem, zähnefletschenden Ausdruck jeweils unterschiedlich reagierten. Besonders deutlich waren die Reaktionen auf die wütenden Gesichtsausdrücke: Der Puls stieg an und die Pferde wendeten ihren Kopf nach rechts ab, um die wütenden Gesichter mit ihrem linken Auge zu mustern. Unsere Vierbeiner neigen ähnlich wie Hunde dazu, potenziell bedrohliche Reize verstärkt mit dem linken Auge zu beobachten. Das Erkennen von wütenden Gesichtern ist wie eine Art Warnsystem, zum Beispiel vor negativem Verhalten wie Strafe oder ein grober Umgang durch den Menschen.
Wiedererkennungswert
In einem neuen Versuch sollte gezeigt werden, ob und wie Pferde der erste Eindruck (menschlicher Gesichtsausdruck auf dem Foto) beeinflusst. Diesmal zeigten die Forscher den Pferden zunächst entweder ein Bild eines entweder lächelnden oder eines grimmig schauenden Menschen. Dann folgte die reale Begegnung. Die Versuchsperson, die zuvor auf den Fotos zu sehen war, trat den Pferden nun von Angesicht zu Angesicht gegenüber, jedoch diesmal mit völlig neutralem Gesichtsausdruck. Das erstaunliche Ergebnis: Die Pferde erkannten die Person, die sie ja nur einmal auf einem Foto gesehen hatten wieder und sie erinnerten sich sogar an deren Gemütszustand. Dementsprechend passten die Vierbeiner ihr Verhalten an. Pferde sind also in der Lage auch über die Artgrenze hinaus Gesichtsausdrücke beziehungsweise Emotionen zu erkennen und ihre Erfahrungen mit Personen zu verknüpfen. Über 25 Millionen Jahre haben Pferde die Fähigkeit, Mimik zu deuten, im Herdenleben verfeinert. Wenn Sie Pferde auf der Weide beobachten, können Sie mit etwas Übung immer feinere Signale erkennen. Bevor es zum Beispiel zu einer körperlichen Auseinandersetzung kommt, passiert viel im Bereich der Mimik.
Den gesamten Artikel finden Sie in der Mai-Ausgabe der Mein Pferd.