Text: Andreas Ackenheil, Rechtsanwalt       Foto: www.Slawik.com

Der Spezialist für Pferderecht, Rechtsanwalt Andreas Ackenheil, gibt auch in dieser Ausgabe die besten rechtlichen Tipps rund ums Thema Pferd

Pferde als Fluchttiere reagieren besonders sensibel auf ungewohnte Umgebungen und Situationen. Dieses Verhalten spiegelt sich auch bei Tierarztbesuchen wider, wo verschiedene Faktoren die natürliche Fluchtbereitschaft verstärken können.

Die klinische Umgebung eines Tierarztes ist geprägt von spezifischen Gerüchen wie Desinfektionsmitteln und medizinischen Substanzen, die für Pferde ungewohnt sind. Diese Gerüche können Stress und Unsicherheit auslösen, da Pferde ihre Umgebung intensiv über den Geruchssinn wahrnehmen.
Die Größe und die Kraft von Pferden verstärken die potenziellen Risiken bei Schreckreaktionen. Ein schreckhaftes Pferd kann unvorhersehbare Bewegungen machen, was nicht nur für das Tier, sondern auch für den Tierarzt und das Betreuungspersonal eine Gefahr darstellen kann.
Während einer tierärztlichen Untersuchung können Berührungen und Manipulationen, selbst wenn sie notwendig sind, von einem Pferd als bedrohlich empfunden werden. Die natürliche Reaktion des Pferdes ist es, sich zu wehren, was zu einer erhöhten Gefahr von Verletzungen führen kann.

Die Kommunikation zwischen Tierarzt und Pferd spielt eine entscheidende Rolle, um Vertrauen aufzubauen und stressige Reaktionen zu minimieren. Ein einfühlsamer Umgang, eine ruhige Ansprache und eine schrittweise Herangehensweise sind dabei von großer Bedeutung. Insgesamt erklärt die besondere Natur von Pferden als Fluchttiere die Herausforderungen, die bei tierärztlichen Untersuchungen auftreten können. Eine gründliche Vorbereitung, ein bewusster Umgang mit Gerüchen und Geräuschen sowie eine einfühlsame Kommunikation sind essenziell, um die Sicherheit des Pferdes und der beteiligten Personen zu gewährleisten.

Aber auch bei größter Umsicht können Unfälle bei einer tierärztlichen Untersuchung passieren. Wenn das Pferd nun bei einer Untersuchung scheut und hierbei teure Instrumente beschädigt, muss der Pferdebesitzer dann für den Schaden aufkommen? Mit solch einer Frage sah sich das Oberlandesgericht Jena konfrontiert.

Ein Pferd wehrt sich gegen eine Behandlung und zerstört teures medizinisches Gerät

Der Betreiber und Tierarzt einer Großtierklinik verlangte Schadensersatz von der Pferdehalterin einer Stute mit dem Namen Hexe. Die Stute war Patientin in seiner Klink. Die Pferdebesitzerin wurde mit ihr vorstellig, weil diese unter chronischem Husten und wiederholtem Nasenbluten litt.

Während der ersten Untersuchung zeigte das Pferd keinerlei Abwehrverhalten und ließ die Untersuchungen anstandslos über sich ergehen. Zum Zweck der weiteren Ursachenforschung sollte bei der Stute eine Endoskopie der oberen Atemwege durchgeführt werden. Hierzu wurde das Pferd intravenös sediert, sodass es noch in der Lage war, stehen zu können.
Um ein unkontrolliertes Vor- oder Zurücklaufen auszuschließen, wurde die Stute an ihrem Kopf fixiert, indem eine Nasenbremse aufgesetzt wurde. Zudem wurden an dem Halfter zu beiden Seiten Stricke angebracht, welche durch Tierarzthelfer festgehalten wurden.
Als der behandelnde Tierarzt den Untersuchungsschlauch in den unteren Nasengang Richtung Kehlkopf einführen wollte, bekam das Pferd einen Panikanfall. Die Stute begann zu steigen und befreite sich von den Hilfspersonen. Dabei rutschte das Endoskop aus dem Nasengang heraus und fiel zu Boden. Die in Panik geratene Stute trat dabei mehrfach auf das auf dem Boden liegende Endoskop. Das Ergebnis waren Reparaturkosten von über 6.700 Euro.
Die Großtierklinik verlangte von der Pferdebesitzerin die Erstattung der Reparaturkosten. Ihren Anspruch stützte sie vor allem darauf, dass ihnen bei der Behandlung der Stute keine Fehler unterlaufen sind. Das Pferd wurde durch den behandelnden Tierarzt ausreichend sediert, und die Verwendung der jeweiligen Medikamente hatte der tierärztlichen Sorgfalt entsprochen. Das Behandlungsinstrument wurde allein durch das Verhalten der Stute beschädigt, weshalb ihre Halterin hierfür einstehen muss.
Ob ein solcher Anspruch auf Zahlung des Schadens, den das Pferd verursacht hatte, der Tierklinik gegen die Pferdehalterin besteht, hatte das Oberlandesgericht zu entscheiden.

Wer etwas kaputt macht, muss dafür auch haften, oder?

Im Alltag ist es schnell passiert – durch eine kurze Unaufmerksamkeit oder schlicht einem unglücklichen Zufall geschuldet, kommt es zu der Beschädigung der Sache eines Dritten.

Von einer „Haftung“ spricht man immer dann, wenn es zu einer fahrlässigen oder vorsätzlichen Beeinträchtigung von Rechtsgütern Außenstehender kommt. Der Sinn und Zweck dahinter besteht darin, den Geschädigten so zu stellen, wie er stehen würde, wenn der Schaden nicht eingetreten wäre. Die Haftung dient daher in erster Linie der Folgenbeseitigung von schädlichem Verhalten.
Der Grundgedanke besteht darin, die betroffene Person zu entschädigen und letztlich den Zustand von Ausgleich und Gerechtigkeit wiederherzustellen. 
Ein weiterer übergeordneter Zweck der Haftung besteht darin, die Aufmerksamkeit aller bezüglich eines verantwortungsbewussten Umgangs untereinander zu schärfen, um so dem Zustandekommen einer Haftverpflichtung zu entgehen.

Was ist ein Haftgrund?

Ein Haftgrund kann immer dann entstehen, wenn vorsätzlich oder fahrlässig die Gesundheit oder das Eigentum Dritter geschädigt wird. Es besteht eine Verknüpfung zwischen Schuld und dem eingetretenen Schaden, für den dann die Haftung zu übernehmen ist.

Warum wird im Zusammenhang mit Tieren anders gehaftet?

Tritt ein Schaden ein, an dessen Verursachung ein Tier beteiligt ist, gestaltet sich der Anknüpfungspunkt für die Haftung ein wenig anders als soeben beschrieben. Die Verbindung zwischen tatsächlicher Schuld und dem eingetretenen Schaden wird aufgehoben. Das hat zunächst zur Folge, dass der Tierhalter, unabhängig davon, ob ihn oder sein Tier tatsächlich die Schuld an dem Unfall trifft, für den Schaden verantwortlich gemacht werden kann. Die Rede ist hier von einer verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung.

Gesetzlich verankert ist das Prinzip der Gefährdungshaftung in § 833 BGB. Und ja, das Prinzip der verschuldensunabhängigen Haftung ist mit der deutschen Rechtsordnung zu vereinbaren. Allerdings besteht diese Vereinbarkeit nur dann, wenn dem Tierhalter auch die Möglichkeit geboten wird, seine „Unschuld“ an dem Vorfall zu beweisen. 
Kann der Tierhalter nachweisen, dass ihn bzw. sein Tier keine Schuld an dem Geschehen trifft, weil sich die geschädigte Person beispielsweise trotz mehrfacher Aufforderungen nicht von seinem Hund ferngehalten hat, kann er sich von seiner Haftungsverpflichtung befreien oder diese zumindest prozentual beschränken.

Wann haftet ein Tierhalter?

833 BGB gilt nur für Tierhalter. Tierhalter ist, auf wen das Tier eingetragen ist und in dessen Besitz es sich findet. Für die Tierhaltereigenschaft ist es von besonderer Bedeutung, dass tatsächlich auf das Tier zugegriffen und eingewirkt werden kann.

Typische Tiergefahr

Im Unfall muss darüber hinaus die sogenannte „typische Tiergefahr“ zutage treten. Der Begriff der Tiergefahr ist grundsätzlich weit auszulegen, sodass nicht nur als bedrohlich empfundenes Verhalten der Tiere mit umfasst wird, sondern auch ein „banal“ wirkendes Verhalten. Für die Realisierung der typischen Tiergefahr genügt es beispielsweise schon, wenn sich ein Hund in einer vielbelebten U-Bahn mitten in den Durchgang setzt und eine dritte Person beim Versuch, den Hund zu passieren, über diesen stolpert und sich verletzt. An der typischen Tiergefahr fehlt es nur dann, wenn keinerlei eigene Energie des Tieres an dem Geschehen beteiligt ist. Das ist nur dann der Fall, wenn das Tier nicht selbstgesteuert, sondern fremdgesteuert aktiv wird und ihm keine andere Möglichkeit als die des schädigenden Verhaltens bleibt.

Tierärzte und Gefährdungshaftung

Tierärzte setzen sich aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit einem viel größeren Verletzungsrisiko durch Tiere aus als so manch andere. Gelten für sie dennoch die gleichen Schutzvorschriften des § 833 BGB?

Fachliche Kenntnis versus Gefährdungshaftung

Kann sich bei der Behandlung von Tieren die fachliche Kenntnis eines Arztes beschränkend auf den Haftungsumfang der Gefährdungshaftung des Tierhalters auswirken?

Zwar regelt § 833 Satz 1 BGB die Gefährdungshaftung, allerdings werden viele kontroverse Diskussionen geführt, wie Fälle zu behandeln sind, in denen ein behandelnder Tierarzt durch ein Tierverhalten geschädigt wird.
Einigkeit besteht aber wohl darin, dass ein Tierarzt, der beispielsweise ein Pferd behandelt, in keiner Phase der Behandlung auf eigene Gefahr hinsichtlich seiner eigenen Gesundheit handelt. Er setzt sich allein aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit der Tiergefahr aus. Gleiches gilt für die zur Behandlung herangezogener notwendiger Instrumente. Werden diese während einer Untersuchung durch ein unvorhersehbares tierisches Verhalten beschädigt, muss für deren Ersatz gehaftet werden.

Auch ein Tierarzt kann sich falsch verhalten

Allerdings kann es immer dann zu einer Einschränkung der Haftungsverpflichtung des Tierhalters kommen, wenn den Tierarzt an dem konkret eingetretenen Schaden selbst eine Mitschuld trifft. Je nachdem, wie groß diese ausfällt, kann die Haftung des Tierhalters komplett hinter der Schuld des Arztes zurücktreten.
Ersatzansprüche des Tierarztes gegen den Tierhalter bestehen aus § 833 BGB dann nicht, wenn der Tierarzt mit seinen Helfern im Rahmen der tierärztlichen Behandlung nicht sachgerecht vorgeht und deshalb ein Sachschaden entsteht.

Muss die Pferdehalterin für den Schaden, den ihr Pferd in der Tierklinik verursacht hat, zahlen?

Das Oberlandesgericht verneinte im Ausspruch seines Urteils einen Anspruch des Tierarztes gegen die Pferdehalterin. Nach Ansicht des Gerichts bestand kein Anspruch aus § 833 BGB.

Zwar realisierte sich im vorliegenden Fall die typische Tiergefahr des Pferdes, indem es zu steigen begann, aber zu der letztendlichen Schädigung des Endoskops konnte es nur kommen, weil dieses nicht ordnungsgemäß durch einen weiteren Tierarzthelfer fixiert bzw. festgehalten wurde. 
Diese Ansicht stützte das Gericht vor allem auf die Ausführungen des herangezogenen Sachverständigen, der in seinem Vortrag die Wichtigkeit des Arzthelfers betonte, dessen Aufgabe es sei, das Endoskop zu sichern. Ferner sah das Gericht den Schadensfall nicht mehr von dem Schutzzweck des § 833 Satz 1 BGB umfasst. Der Schutz des § 833 Satz 1 BGB wird vor allem deswegen verneint, weil sich das Pferd zum Zeitpunkt der schädigenden Handlung außerhalb der Obhut seiner Halterin, nämlich in Obhut des im Umgang fachlich versierten Geschädigten befunden hat. Der Pferdebesitzerin war jedwede Einwirkungsmöglichkeit auf ihre Stute entzogen, sodass es ihr auch rein praktisch nicht möglich gewesen wäre, auf das Tier einzuwirken und das Steigen zu vermeiden. 
Ein weiteres Argument, das durch das Gericht angeführt wurde, war, dass die Schädigung bei der Anwendung zu erwartender Sorgfalt hätte vermieden werden können. Zudem hätte dem Tierarzt die Wirkung des Sedativums und die zu erwartende Reaktion des Pferdes bekannt sein müssen. Auch kann allenfalls das Herausrutschen des Endoskops aus der Nasenhöhle als typische Folge der Tiergefahr angesehen werden. Das Herunterfallen ist nicht der Tiergefahr zuzuschreiben. Vielmehr wäre es die Aufgabe eines Tierarzthelfers gewesen, dieses gesondert zu sichern und festzuhalten.

Tipp vom Experten für Pferderecht Anwalt Ackenheil:

Gemäß der verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung des Tierhalters § 833 BGB haftet in erster Linie der Tierhalter und muss für die Schäden aufkommen, die sein Pferd verursacht. Eine ausreichende Haftpflichtversicherung für Pferde ist daher unerlässlich, um die finanziellen Risiken im Zusammenhang mit der Haltung und den möglichen Unwägbarkeiten im Umgang mit diesen majestätischen Tieren zu minimieren. Sie gewährleistet nicht nur den Schutz des Pferdes und des Besitzers, sondern auch die Sicherheit aller Beteiligten im Umfeld des Pferdes. Inwieweit weitere Umstände diese Haftung des Tierhalters begrenzen oder mitunter sogar gegen null gehen lassen, entscheidet sich immer nach dem Einzelfall. Obwohl im vorliegenden Fall durch die Tritte des Pferdes das medizinisches Gerät zerstört wurde, wurde den Tierarzthelfern eine höhere Schuld an dem Vorfall zugesprochen, da es ohne deren Fehlverhalten nach Ansicht des Gerichts nicht zu diesem Schaden gekommen wäre.

Unser Experte  Andreas Ackenheil

veröffentlicht als Spezialist für Pferderecht regelmäßig in zahlreichen Fachzeitschriften und Online-Portalen juristische Fachbeiträge sowie Kommentare zu neuen Rechtsentscheidungen und hält Vorträge und Seminare. Zudem veröffentlichte der Rechtsanwalt einen großen Ratgeber für Tierrecht mit einem umfangreichen Kapitel über Pferderecht.

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