Text: Aline Müller            Foto: imago images/Imagebroker

Das eiweißreiche Getreide hat bei einigen Pferdebesitzern einen schlechten Ruf. So mancher Energieüberschuss wird gerne der Fütterung von Hafer zugesprochen, und um die Körner wird lieber ein großer Bogen gemacht. Was ist dran an dem Mythos, und welche Rolle spielt Hafer in der heutigen Pferdefütterung?

Hafer ist ein Futtermittel mit Tradition – er wird bereits seit Jahrhunderten an Pferde verfüttert. Früher brauchten Pferde viel Kraft für die Nutzung in der Land- und Forstwirtschaft und das Militär. Erst später wurden mehr und mehr Sportpferde gezüchtet. Auch sie hatten einen hohen Bedarf an Energie, der durch Raufutter alleine nicht gedeckt werden konnte. Doch während in den 1980er Jahren noch reichlich Hafer angebaut wurde, kam ab den 1990er Jahren immer mehr Müsli in die Krippen. Auf die Müsliwelle folgte der Low-Carb-Trend. Mittlerweile boomt das Geschäft mit getreidefreien beziehungsweise getreidearmen Futtermitteln. Schnell eilte also auch dem Hafer ein schlechter Ruf voraus, und noch heute streiten sich Pferdebesitzer um Nutzen oder Schaden des Getreides. Manchen steht sogar die Angst ins Gesicht geschrieben, wenn sie daran denken, ihrem Pferd Hafer zu füttern. Hat ein Vierbeiner mal zu viel Energie, heißt es „der Hafer sticht“. Dabei wird oft vergessen, dass ein Energieüberschuss oder ein überschießendes Temperament auch andere Ursachen haben kann. Es ist natürlich leicht, alles auf ein Futtermittel zu schieben und andere Faktoren außer Acht zu lassen. Das heißt nicht, dass für jedes Pferd Hafer das optimale Futter ist. Doch es ist auch nicht so, dass er automatisch eine Gefahrenquelle darstellt.

Schnell verfügbare Energie

Woher kommt die Meinung, dass „der Hafer sticht“ – er also Pferde wild macht? Reagieren manche Vierbeiner auf eine Fütterung mit Hafer wirklich heftig und energiegeladen? Experten zufolge enthält Hafer keine Inhaltsstoffe, die ein solches Verhalten auslösen könnten. Allerdings versorgt das eiweißreiche Getreide das Pferd mit schnell verfügbarer Energie. Das liegt an den leicht verdaulichen Kohlenhydraten. Der Körper kann diese sofort in Glukose umwandeln und als Energie nutzen. Nun stehen immer noch zahlreiche Pferde viele Stunden am Tag in einer Box. Weide- und Paddockzeiten B-Vitamine werden für den Energiestoffwechsel benötigt und wirken sich sozusagen nervenstärkend aus. Beta-Glucane, die in den Zellwänden des Hafers vorkommen, wirken sich positiv auf die Darmflora aus und haben zudem eine entzündungshemmende Wirkung. Immunstärkend ist Vitamin E, das zudem die Leistungsfähigkeit der Muskulatur unterstützt. Getreidesorten haben einen unterschiedlichen Ölanteil. Der von Hafer liegt bei etwa fünf Prozent. So versorgt ein Kilogramm Hafer das Pferd mit 50 Millilitern Öl. Andere Sorten haben dafür mehr Stärke.

Ganz, gewalzt oder gequetscht?

In der Regel wird Hafer im Handel in folgenden Varianten angeboten: als ganzes Korn oder als Walz- oder Quetschhafer. Durch das Walzen oder Quetschen wird das Getreidekorn aufgebrochen. Das ist vor allem für Pferde ideal, die den Hafer nicht mehr richtig kauen und einspeicheln können, beispielsweise aufgrund ihres Alters. Aber auch bei Fohlen und Jungpferden, bei denen das Gebiss noch nicht voll entwickelt ist, ist das Quetschen wichtig, wenn Kraftfutter gefüttert wird. Da gequetschter Hafer schneller verdirbt und zur Schimmelpilzbildung neigt, sollte er frisch gequetscht bestenfalls innerhalb von 24 Stunden verfüttert oder sorgfältig und trocken für eine spätere Fütterung verpackt werden. Generell ist Hafer in seiner natürlichen Form aber gut verdaulich und regt zum intensiven Kauen und Einspeicheln an. Manche Pferdebesitzer füttern geringe Mengen an Haferflocken, zum Beispiel, um dem Vierbeiner das Mineralfutter schmackhafter zu machen. Haferflocken werden aus dem entspelzten Korn gewalzt. Während sich ganzer Hafer bei einer optimalen Lagerung (trocken, kühl und dunkel) etwa ein Jahr hält, verdirbt Walzhafer schneller. Durch das Quetschen wird nämlich der Mehlkörper aufgebrochen. Meist verfügen größere Ställe über eine Haferquetsche, sodass das gequetschte Korn frisch verfüttert werden kann.

Mehr zum Thema „Hafer“ erfahren Sie in der Mein Pferd Dezember- Ausgabe.