Text: Antonia von Baath, Laura Becker      Foto: www.Slawik.com 

Es war lange Zeit wenig erforscht, dabei durchzieht es den Pferdekörper wie ein Netzwerk: das Lymphsystem. Es übernimmt lebenswichtige Aufgaben. Mit der Manuellen Lymphdrainage lassen sich viele Beschwerden lindern und sogar Sehnenschäden behandeln

Das „Staubsauger“-System

Für den Organismus ist das Lymohsystem unentbehrlich. Es transportiert, reinigt und zeigt, ob es dem Pferd gut geht. Etwas Theorie zu Beginn

Jedes Lebewesen – vom Frosch bis zum Menschen – besitzt ein Lymphsystem. Es besteht überwiegend aus Lymphgefäßen, Lymphknoten und der Lymphe. Die Hauptaufgabe des Lymphsystems ist der Transport von Proteinen. Transportiert werden sie in der Lymphe.

So bezeichnet man die farblose Flüssigkeit, die sich innerhalb des Lymphgefäßsystems (auch Lymphdrainagesystem genannt) und den darin integrierten Lymphknoten befindet. Gebildet wird Lymphe in fast allen Organen und beispielsweise in Haut, Sehnen, Muskeln. Das Lymphsystem ist dafür verantwortlich, Proteine, die aus dem Blutsystem kommen, wieder in das Blutsystem zurück zu befördern, wie ein Staubsauger. Denn der Weg der Proteine aus dem Blutsystem ist eine „Einbahnstraße“. Daher können sie nur über das Lymphsystem zurück in das Blutsystem rezirkulieren, wo sie das Blutwasser binden – eine lebensnotwendige Funktion, da ansonsten ein hypovolämischer Schock (Verminderung der zirkulierende Blutmenge) die Folge wäre. Neben dem Eiweißtransport filtert das Lymphsystem außerdem schädliche Stoffe aus der Gewebsflüssigkeit heraus. Früher wurde das Lymphsystem deshalb „Saugader-System“ genannt. 
Die Lymphgefäße werden unterteilt in „Initiale Lymphgefäße“ – das sind die Anfangsabschnitte des Lymphsystems–, in Kollektoren (Lymphsammelgefäße), Lymphknoten und Lymphgefäßstämme (zentrale Abflusswege der Lymphe in den Körperhöhlen und am Hals). Erhöht sich der Gewebedruck, werden die initialen Lymphgefäße weitgestellt und geöffnet, so dass Gewebsflüssigkeit in das Gefäß eindringen kann. (Gefördert wird diese Lymphbildung auch bei Anwendung der Manuellen Lymphdrainage, MLD). Die Lymphsammelgefäße besitzen in ihrer Wand besondere Muskelzellen, die sich bei Druck auf die Innenwand des Lymphgefäßes zusammenziehen und so das Gefäß einengen. Dieser Impuls für die Kontraktion der Muskelzellen kann durch Füllung des Gefäßes mit Lymphe aber auch durch die Anwendung der MLD von außen durch die Haut auf die Wand des Lymphsammelgefäßes ausgelöst werden. Diese sogenannte Lymphgefäßpumpe treibt die Lymphe voran bis zu den Lymphknoten, wo die Lymphgefäßklappen den Rückfluss verhindern. Die Pumpe funktioniert nur dann ausreichend, wenn sich das Pferd bewegt. 
Den Lymphknoten, die in den größeren Lymphgefäßen integriert sind, kommt innerhalb des Lymphsystems eine wichtige Funktion zu. Sie filtern die Stoffe heraus, die nicht in das Blutsystem geraten sollen (beispielsweise Bakterien, rote Blutzellen nach Gewebsblutungen, Tumorzellen bishin zu Rußpartikeln aus der Atemluft). Kleiner Nachteil des Systems: Durch die Knoten wird der Lymphfluss abgebremst (im Vergleich zum Blutfluss ist er von vornherein sehr gering und unterschiedlich je nachdem wo die Lymphgefäße verlaufen). Die Größe der Lymphknoten nimmt mit dem Alter ab.

Ventil des Herzens



Das Lymphsystem ist dem Blutkreislauf parallelgeschaltet – das bedeutet, es ist nicht im Blutkreislauf integriert, aber seine Endabschnitte münden in die herznahen Venen. Dabei ist das Venensystem das „Hauptventil“ und das Lymphsystem das „Reserveventil“, das dafür zuständig ist, die Flüssigkeit zum Herzen zurückzuführen. Weil beide Systeme miteinander verknüpft sind, kann bei Erkrankung des einen Systems, das jeweils andere auch betroffen sein.

Neben dem Lymphsystem besitzt das Pferd noch weitere Faktoren, die den Lymphtransport positiv beeinflussen. Die Fesselgelenks- und Hufpumpe beispielsweise ist wichtig für den Transport der Lymphe im Bereich des Hufes und des Beines. Die Verdauungspumpe fördert den Lymphtransport in der Bauchhöhle und die Atmungspumpe forciert den Lymphfluss besonders innerhalb des Brustlymphgangs. Vor allem im Galopp steigt der Lymphfluss enorm an, weil alle Gefäßabschnitte aktiviert sind. Das Pferd atmet tief ein, was zu einer Sogwirkung am Ende des Systems führt. Allerdings: Ist der Galopp unkontrolliert, ziehen sich die Lymphgefäße zusammen, sodass der Lymphfluss völlig stagnieren kann. In der Haut der Pferdebeine lassen sich oberflächliche Lymphgefäße und Venen unterscheiden. Im Gegensatz zum Menschen, der eine sehr weiche (kollagenarme) Haut hat, ist die Haut des Pferdes hart (aufgrund zahlreicher kollagener und elastischer Fasern) und erfüllt deshalb die Aufgabe eines natürlichen Kompressionsstrumpfes. Das unterstützt den Flüssigkeitstransport in den oberflächlich gelegenen Venen und Lymphgefäßen.
Ist das Lymphsystem erkrankt, kann es die Eiweiße nicht abtransportieren, der Lymphfluss ist eingeschränkt oder unterbrochen und die Lymphe verbleibt im Gewebe. Veterinäre sprechen dann von einer Umfangsvermehrung – und es können sich Gewebserhärtungen entwickeln, die für die chronische Form des Lymphödems verantwortlich sind. „Das Lymphsystem reagiert extrem auf kleinste Veränderungen im Bedarf des Pferdes“, betont Professor Dr. Dirk Berens von Rautenfeld. „Also in den Bereichen Bewegung, Fütterung, Haltung und Atmung. Kein anderes System zeigt so deutlich, ob es dem Pferd gut geht. Es ist positiv für den Lymphfluss, wenn die Haltung des Pferdes dem Leben in der Steppe möglichst nah kommt. Bewegung ist die Lösung. Außer-dem ist eine kontinuierliche Futteraufnahme sehr wichtig, um den Lymphfluss in den Gefäßen der Bauch- und Brusthöhle anzuregen.“

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