Text: Aline Müller      Foto: Friederike Scheytt

Als Ergänzung zum Training unter dem Sattel ist die der Arbeit an der Hand von unschätzbarem Wert. Wie die Piaffe vom Boden aus vorbereitet werden kann, erklärt die klassische Ausbilderin Andrea Lipp im ersten Teil dieser Serie

Lange Zeit geriet die Arbeit an der Hand mehr oder weniger in Vergessenheit. In den letzten Jahren erfreute sie sich jedoch einer immer größeren Beliebtheit. Kein Wunder, denn sie bietet zahlreiche Übungen von hohem gymnastizierenden Wert und fördert zugleich die Beziehung zwischen Mensch und Pferd. „Für mich ist die Arbeit an der Hand eine wunderbare Beschäftigungsform“, sagt Andrea Lipp und fügt hinzu: „Die Piaffe ist ein Meilenstein in der Ausbildung. Zusammen mit der Passage gilt sie als Königsdisziplin der höheren Dressur.“ Es handele sich um eine trabartige Bewegung auf der Stelle, bei der die Hinterhand des Pferdes maximal Gewicht aufnehme. Lediglich bei den Schulen über der Erde nehme die Hinterhand noch mehr Last auf.

Sinnvolle Lektion mit Tradition

Die Hengste in der Spanischen Hofreitschule in Wien erlernen die Piaffe grundsätzlich zuerst an der Hand. Dabei hat das Pferd seinen vertrauten Ausbilder am Boden neben sich und erlernt den neuen Bewegungsablauf zunächst ohne Reitergewicht. Stellen Sie sich einen Tänzer vor, der neue Tanzschritte lernt. „Die Arbeit an der Hand ist eine pferdefreundliche und erfolgreiche Methode, die zu schönen und taktklaren Piaffen führt“, betont Andrea Lipp. Auch Freizeitpferde profitieren von dieser Übung. So ermöglicht die Piaffe ein behutsames Antrainieren des Vierbeiners in der Rekonvaleszenz, und sogar alte Pferde können ohne Reitergewicht ein hervorragendes Rentnertraining absolvieren. Im Prinzip kann nahezu jedes Pferd die Piaffe lernen. Zwar werden in der Sportszene fast nur die perfekt gebauten Dressurtalente in der Piaffe geschult, doch sie hilft in der Regel allen Pferden, die Hinterbeine vermehrt zu belasten, das Gleichgewicht zu verbessern und den Rücken gut aufzuwölben. „Nicht umsonst sieht ein piaffierendes Pferd stolz und majestätisch aus, und gerade Pferde mit einem nicht so idealen Körperbau profitieren ganz enorm von dieser Lektion, auch wenn nicht alle sie perfekt ausführen können“, so unsere Expertin. Es gebe genug Beispiele von Korrekturpferden, die durch die klassische Dressur regelrecht gesundgeritten wurden.

Biomechanik der Piaffe

Zunächst bewirken die geraden Bauchmuskeln eine Beugung des Beckens mit entsprechendem Effekt auf die drei großen Gelenke der Hinterhand: Hüfte, Knie und Sprunggelenk. „Diese Beugung hat entsprechende Auswirkungen auf Rücken, Hals und Kopf des Pferdes“, erklärt Andrea Lipp. „Die Hintergliedmaßen werden so weit unter den Körperschwerpunkt gesetzt, dass das hintere Röhrbein leicht nach schräg vorne weist.“ Die schräger gestellte Kruppe führe mit steigender Muskelkraft und fortschreitendem Training zu einer höheren Aufrichtung des Halses und einer Aufwölbung der Wirbelsäule im Bereich der Lende. „Die Absenkung des Beckens und die Beugung der Hanken sind nur möglich, wenn der Rücken die entsprechende Dehnungsbereitschaft hat“, betont unsere Expertin. Außerdem müsse Kraft und Durchlässigkeit in den hinteren Gliedmaßenmuskeln vorhanden sein, welche für die Streckung zuständig seien. Die Tragearbeit wächst mit stärker gebeugten Gelenken. Die Beckenrotation erfolgt durch aktive Muskelarbeit, während die großen Gelenke der Hinterhand passiv gebeugt werden. Die Bauchmuskulatur bewirkt die Rumpfbeugung. Der lange Rückenmuskel ist der Gegenspieler (Antagonist) zu den Rumpfbeugern. Somit ist ein ausreichend dehnfähiger langer Rückenmuskel die Voraussetzung für diese höchste Form der Versammlung.

den kompletten Artikel finden Sie in der 02/2021.