Text: Inga Dora Schwarzer      Foto: www.Slawik.com

Was wir Menschen mit unserem oberflächlichen Blick übersehen, entgeht den Pferden dank ihrer ausgeprägten Beobachtungsgabe nicht. Sie nehmen kleinste Veränderungen im Verhalten anderer wahr. Reiter können die gute Ausspähfähigkeit für das gemeinsame Training nutzen. Sie kann aber auch zu einer Herausforderung werden

Kennen Sie das Kinderspiel „Ich sehe was, was du nicht siehst“? Würden wir es mit unseren Pferden spielen, wären wir ihnen haushoch unterlegen. Ein kurzer Blick des Pferdes genügt, und es weiß (fast) alles über sein Gegenüber. Es erkennt dabei nicht nur das Offensichtliche, sondern lernt auch die Feinheiten im Verhalten anderer Artgenossen und Menschen kennen. Was wir nicht sehen, fällt ihnen sofort auf. Sie sind detailverliebt und nehmen selbst kleine, für uns scheinbar unwichtige Signale wahr. Sie fokussieren und verarbeiten diese vielen Eindrücke mit hoher Aufmerksamkeit und gleichen diese vorrangig mit ihren vorhandenen Erfahrungen ab – ist es etwas Gutes, etwas Negatives oder etwas Neues? –, um dann angemessen auf die Veränderung zu reagieren. Würden sie ein verändertes Verhalten zwar wahrnehmen, aber nicht verstehen, wären sie kaum in der Lage, die richtigen Schlüsse aus ihrer Wahrnehmung zu ziehen. Ihre gute Beobachtungsgabe wäre ihnen schlichtweg nutzlos.

Informationen sammeln

Da sie die Interaktionen zwischen den Mitgliedern einer Gruppe aber sehr genau unter die Lupe nehmen, wissen sie um die aktuellen Kräfteverhältnisse und Spannungen, aber auch um „Freundschaften“ und Verbindungen. Wer steht über wem? Wer ist mit wem befreundet? Wer verträgt sich nicht so gut miteinander? Wo stehe ich? „Tiere, die in stabilen sozialen Gruppen leben, müssen Informationen über ihre Position in der sozialen Hierarchie ihrer Gruppe sammeln. Entweder erlangen sie diese Information durch direkte Konfrontation oder durch die Beobachtung anderer. Diese Fähigkeit zu indirekten transitiven Rückschlüssen in Bezug auf Dominanzverhältnisse wurde auch von Primaten, Ratten und Vögeln berichtet“, schreiben die Verhaltensforscherinnen Prof. Dr. Konstanze Krüger und Dr. Isabell Marr in ihrem Buch „Forschung trifft Pferd“.

So würden die Tiere z.B. Bewegungsentscheidungen ranghoher Gruppenmitglieder als relevanter einstufen als solche rangniederer Artgenossen. „In gemischter Haltung bei unseren Hauspferden können ebenso Persönlichkeitsmerkmale, wie z. B. das Temperament, einen Einfluss haben. So sieht man manchmal, dass kleine Ponys ausdauernd genug sind, um sich gegen Großpferde zu behaupten“, ergänzen sie.

Ein ranghohes Pferd setzt dabei einen „Gewinner-Effekt“ – ein psychologisches Phänomen, das bei uns Menschen beschreibt, wie sich ein Erfolgserlebnis positiv auf zukünftige Erfolge auswirkt und diese sogar noch wahrscheinlicher macht. Kommt es zu einem positiven Erlebnis, prägt man sich ein, auf welchem Weg man zu diesem guten Gefühl kam. Man versucht, in Zukunft genau dieses Gefühl wieder zu erreichen. So werden Verhaltensweisen und Emotionen miteinander verknüpft, die wiederum zu einer höheren Konzentration und zu mehr Selbstbewusstsein, gepaart mit einem gewissen dominanten Vorgehen, führen. Herausforderungen können besser gemeistert werden.

So kommt es, dass Fußballmannschaften nach einem Trainerwechsel innerhalb weniger Wochen wieder erfolgreich sein können. „Der Trainer vermittelt den Spielern Selbstvertrauen und eine feste Zuversicht, dass sie das kommende Spiel gewinnen können. Gewinnen sie dies dann wirklich, reiht sich häufig ein Sieg an den anderen. Die Spieler sind nun fest davon überzeugt, dass sie gewinnen können, und tun es dann auch“, so Krüger und Marr. Auch die Vierbeiner unterliegen diesem Phänomen. „So würden sich z. B. manche Pferde bei einer Eingliederung in eine neue Gruppe sofort als neuer Chef vorstellen, und erstaunlicherweise würde kein anderes Pferd diese Position anzweifeln“, erklären die Autorinnen.

Den kompletten Text finden Sie in der aktuellen Mein Pferd- Ausgabe.