Im Notfall ist Vorsicht geboten. Aus diesem Grund bietet Dr. Christoph Peterbauer von der Animal Rescue Academy Seminare zur Großtierrettung an. Mein Pferd war exklusiv bei einem Kurs dabei
Text: Jessica Classen; Fotos: Jürgen Schwarz/Getty Images


Das Wetter ist traumhaft, die Sonne strahlt vom Himmel, und weit und breit ist kein einziges Wölkchen zu sehen. Was könnte jetzt noch von einem Ausritt abhalten? Nichts – und genau deshalb werden die Pferde schnell geputzt, gesattelt und getrenst, und los geht’s. Der Weg führt Sabrina und Lisa über einen Feldweg und hinein in den kühlen Wald. Vom Gewitter und den Regenmassen vom Abend zuvor ist nichts mehr zu sehen. Einzig der Boden ist stellenweise ein wenig matschig, aber was soll’s – dann werden eben im Anschluss die Beine ordentlich abgespritzt. Nach einiger Zeit kommen die beiden an einem kleinen Bach vorbei. Weil es so warm ist und die Pferde schon relativ verschwitzt sind, wollen die Reiterinnen sie kurz verschnaufen und sich abkühlen lassen. Also steigen Lisa und Sabrina ab und führen die Tiere die kleine Böschung hinunter. Plötzlich aber rutscht der Wallach von Lisa aus, und landet mit der Hinterhand voran im Bach. Lisa ist so erschrocken, dass sie zuerst nicht weiß, was sie machen soll. „Zieh ihn raus“, ruft Sabrina ihr wie selbstverständlich zu. Der Wallach strampelt dabei mit den freien Vorderbeinen an der Böschung entlang auf der Suche nach Halt. Die Hinterhand rutscht aber immer weiter in den Bach hinein, und die Wasseroberfläche berührt bereits die Kruppe. „Es geht nicht. Er steckt mit der Hinterhand fest“, ruft Lisa panisch. Sabrina bringt ihre Stute ein Stück weg, bindet sie an einem Baum fest und kommt Lisa zu Hilfe. Mit vereinten Kräften ziehen sie an den Zügeln und versuchen, den Wallach zusammen aus dem Wasser zu ziehen. Aber er bewegt sich keinen Millimeter, und langsam aber sicher wird auch Sabrina panisch. Was sollen sie nur tun?

Rettung naht

„Genau solche Szenarien passieren weltweit viel zu häufig“, erklärt Dr. med. vet. Christoph Peterbauer, während er den Fernseher ausschaltet. Er arbeitet als Veterinäranästhesist in einer Privatklinik in Österreich und hält einen Vortrag über Großtierrettungen in der Pferdeklinik Burg Müggenhausen in Weilerswist (NRW). „Der Kurs richtet sich deshalb nicht nur an Feuerwehrleute und Tierärzte, sondern ebenso an Tierhalter, denn im Zweifelsfall sind sie schneller vor Ort.“ Dr. Peterbauer ist nicht nur Veterinäranästhesist, sondern auch Animal Rescue Spezialist. Er bildet in Österreich Tierärzte im Rahmen des Kuratoriums für Sicherheit im Pferdesport und Tierhaltung zu Nottierärzten aus; denn sowohl Einsatzkräfte als auch Tierärzte, die an eine Unfallstelle gerufen werden, verhalten sich dort oft falsch: „Unwissend bringen sie sich meistens in Gefahr – sogar in Lebensgefahr“, betont er. „Das Wichtigste an einer Großtierrettung ist das Management. Dabei steht die Personensicherheit im Vordergrund, denn ein Großtier birgt nun einmal viel Gefahr in sich, wenn es in Panik gerät.“ Es versucht immer, sich selbst zu befreien, und das kann für alle beteiligten Personen gefährlich werden. „Menschen haben eine verzerrte Risikowahrnehmung“, erklärt Christoph Peterbauer. Die meisten Einsatzkräfte machen den Fehler, dass sie das Pferd zwar aus der Notsituation befreien möchten, dies aber falsch angehen. So wollen sie häufig, wie auch Lisa und Sabrina, das Pferd aus seiner Notlage herausziehen. „Dabei sollte man das Pferd unter gar keinen Umständen am Kopf, Schweif oder den Extremitäten anhängen und daran ziehen“, so der Experte. „Aber genau das wird gemacht. Dabei beachten die wenigsten, dass man dem Tier Schmerzen und schwere Verletzungen zufügen kann. Bei unbedachter Annäherung bringen sich dann auch noch die Helfer in Gefahr, da Pferde wild um sich schlagen können, um sich selbst zu befreien. Schwerste Verletzungen und sogar Todesfälle können die Folge sein“, warnt Dr. Peterbauer.

Die Vorkehrungen

Der Grundsatz bei jeder Tierrettung muss also lauten: Auch wenn das Pferd für uns Reiter das größte Glück auf der Welt ist, hat die Sicherheit des Menschen trotzdem Vorrang. „Großtiere werden von Instinkten geleitet“, erklärt Christoph Peterbauer. „Pferde in Notsituationen bleiben normalerweise ruhig. Allerdings nur so lange, bis sie die Freiheit spüren. Sobald sie Platz haben, kämpfen sie vehement ums Überleben. Diese Reaktionen sind für uns nur bis zu einem gewissen Grad vorhersehbar, und genau deshalb ist es so gefährlich.“ Gerade weil eine Großtierrettung auch für die Menschen gefährlich werden kann, sollten nicht nur die Einsatzkräfte dementsprechend geschult werden, sondern auch Tierhalter. Denn bei einem Unfall sind diese oft noch vor der Feuerwehr vor Ort – ganz einfach, weil sie mit in den Unfall verwickelt sein können, wie das Video der beiden Mädchen gezeigt hat. Je früher bei einer Tierrettung ausgebildete Personen am Schauplatz eintreffen, desto geringer ist die Gefahr, dass Dritte beim Versuch zu helfen verletzt werden. Am Unfallort müssen Sie zuerst einmal Ruhe bewahren: Stimulieren Sie das Pferd nicht, sondern beruhigen Sie es lediglich, denn die Beruhigung des Pferdes hat oberste Priorität. „Dies kann am besten mit Hilfe von angebotenem Gras oder Heu geschehen“, erklärt der Experte. „Abhängig vom Verhalten des Tieres kann auch eine  Blende über den Augen angebracht werden. Ihr werdet jetzt lachen, aber wirklich gut ist hierfür ein weißer BH“, sagt Christoph Peterbauer mit einem Schmunzeln. „Er lässt das nötige Licht durch, und die Passform ist für den Pferdekopf gut geeignet.“ Zudem muss der Pferdekopf richtig gesichert werden. Dies kann mit Hilfe eines circa sieben Meter langen Seiles geschehen, mit dem ein notdürftiges Halfter geknüpft wird. Anschließend müssen die umstehenden Personen aus der Gefahrenzone gebracht und Platz zur Freilassung des Tieres geschaffen werden, weil es bei späteren Aufstehversuchen wieder zurück in seine missliche Lage rutschen kann und seine Rettung dann von vorne beginnen muss.

Die Rettungstechniken

Nach dem Vortrag geht es für die Kursteilnehmer ans Eingemachte: Sie lernen jetzt praktisch an einem Pferde-Dummy, wie eine Großtierrettung ablaufen muss. Bei allen Rettungstechniken werden anschließend Gegenstände verwendet, die geeignet sind, Tiere schonend und schmerzfrei aus ihrer Lage zu befreien. „Um nicht zu nahe am Pferd hantieren zu müssen, verwenden die Helfer lange Schafhaken als Armverlängerung und Fädelhilfen, um Gurte unter dem Tier durchziehen zu können. Eine eigens für Großtierrettungen gefertigte Ausrüstung erfüllt alle Anforderungen an eine sichere und schonende Rettung und kostet nur knapp 2.000 Euro“, erklärt Christoph Peterbauer. Wichtig bei allen Techniken ist, dass Sie aus Sicherheitsgründen bei liegenden Pferden hauptsächlich vom Rückenbereich des Tieres aus arbeiten oder sich bei stehenden Pferden neben der Schulter befinden. Dort kann durch Streicheln und Reden das Pferd zudem beruhigt werden. 90 Prozent aller Rettungen können mit einfachen Schleiftechniken durchgeführt werden, indem das Pferd mit Hilfe von Gurtbändern durch manuelle Kraft gezogen wird. In nur zehn Prozent der Fälle kommen Hebegeschirre zur Anwendung, wobei das Heben mittels Kran viel Erfahrung braucht und doch sehr fehleranfällig ist. „Die Gefahr bei Hebetechniken ist die ungenügende Sedierung durch einen Tierarzt und das Herausrutschen aus dem Hebegeschirr“, erklärt Dr. Christoph Peterbauer nachdrücklich.

Die Extremsituation – nachgestellt

Als Beispielszenario am Ende des Seminars liegt der Dummy in einem Wassergraben. Die passiven Teilnehmer mimen Schaulustige und die Besitzerin des „Pferdes“ nach. Die Feuerwehr kommt angelaufen und weist eine Tierärztin, die unter den Seminarteilnehmern ist, an, den Kopf des Pferdes zu sichern. Sie selbst schätzen die Situation schnell ein und arbeiten daraufhin sehr bedacht: Die Ausrüstung wird herbeigetragen, die Gurtbänder mittels der Fädelhilfe vorsichtig unter dem Pferd durchgezogen und zum Herausziehen des Tieres in Position angebracht. Die übrigen Einsatzkräfte müssen die Zuschauer vom Schauplatz fernhalten und die Besitzerin beruhigen. Sobald alles an Ort und Stelle ist, ziehen die Feuerwehrmänner mit vereinten Kräften das Pferd so weit aus dem Wasser auf die angrenzende Wiese, dass keine Gefahr besteht, dass das Tier bei den folgenden Aufstehversuchen wieder zurück in den Teich fällt. „Damit eine Pferderettung auch wirklich gelingt, müssen Feuerwehr und Tierärzte, aber auch Tierhalter und Reiter intensiv zusammenarbeiten. Damit diese Zusammenarbeit auch gelingt, müssten solche Notsituationen öfter geübt werden“, so der Experte Dr. Christoph Peterbauer abschließend.