Besonderheiten der Bodenarbeit in unwegsamem Gelände – unsere Wunschpferd-Kandidatin Sylvia Roel lernte die Freiheitsdressur von einer ganz neuen Seite kennen: Ohne jegliches Equipment ging es für sie mit Sally, der 21-jährigen Quarterhorse-Stute von Horseman Thomas Günther, raus ins Gelände
Text: Jessica Classen; Fotos: Ilja van de Kasteele

Diesmal gibt es in unserer Rubrik „Wunschpferd“ eine Premiere: Statt eines Pferdes oder einer Reitweise wünschte sich Sylvia Roel nämlich einen Trainer: Thomas Günther, Pferdetrainer aus Haßleben bei Erfurt. „Ich bin ganz schön aufgeregt“, verrät uns Sylvia auf dem Weg nach Thüringen. „Endlich lerne ich mein Idol persönlich kennen. Bisher schwärmte mir immer meine Trainerin von ihm vor, die als Co-Trainerin bei ProRide tätig ist. Ich würde super gerne noch mehr dazulernen, um eine noch bessere Kommunikation und Beziehung zum Pferd sowohl am Boden als auch beim Reiten zu erhalten.“ Genau aus diesem Grund nimmt sie die weite Fahrt von Düren (NRW) auch gerne auf sich. „Wann werde ich noch einmal eine solche Chance bekommen? Vermutlich nie wieder“, sagt sie lachend. Auf dem Hof bei Thomas Günther angekommen, legt sich ihre Aufregung allerdings schnell durch die sympathische Art des Pferdetrainers: „Wir können uns gerne duzen“, bietet er lächelnd an. Bevor das Training aber losgeht, führt er Sylvia durch den Stall und stellt ihr seine Pferde vor. Für den Wunschtermin hat Thomas die Stute Sally ausgewählt: „Sie ist jetzt 21 Jahre alt, und meine Frau Vera hat sie, seit sie mit einem halben Jahr abgesetzt wurde. Anfangs haben wir mit ihr Westernturniere mitgemacht und sie dementsprechend trainiert. Erst später merkten wir, dass wir auch anders mit Pferden trainieren können, und haben so die Freiheitsdressur für uns entdeckt“, erklärt er Sylvia und sie fragt: „Ist es denn einfacher mit einem Pferd in der Freiheitsdressur zu arbeiten, wenn es vorher ausgebildet wurde oder wenn es roh ist?“ Thomas Antwort lässt nicht lange auf sich warten: „Eigentlich, wenn es noch roh ist und erst anschließend unter den Sattel kommt. Bei Sally haben wir allerdings Glück gehabt: Sie hat sich sofort auf das neue trainer. „Stell dir vor, du hast einen Hula-Hoop-Reifen um dich herum, und genau den Raum brauchst du auch. Von diesem Raum aus kannst du alles anvisieren und vom Pferd verlangen.“ „Es sieht so einfach aus, wenn er das macht“, sagt Sylvia, und schon tauschen die beiden ihre Positionen. Nach kurzer Zeit scheinen sie und Sally die Umwelt um sich herum ausgeblendet und den Fokus auf den jeweils anderen gelegt zu haben. „Das kribbelt so im Bauch, wenn man mal mit einem fremden Pferd trainiert, und das versteht auch noch alles, was man von ihm möchte.“ Immer wieder fängt Sylvia Sally ein, indem sie die Stute dazu bringt, ihr zu folgen oder um sie herum zu laufen. Gemeinsam drehen sie eine Pirouette nach der anderen, und man könnte meinen, sie würden miteinander tanzen: Es hat etwas von einem Ballettauftritt.

Into the Wild

Sylvia und Sally machen dem Namen Freiheitsdressur kurz darauf alle Ehre: Ohne jegliches Equipment geht es für sie vom Hof hinunter und in den Wald hinein bis hin zu einer kleinen Lichtung, hinter der sich Felder erstrecken, so weit das Auge reicht. „Wir nehmen extra diesen Weg, weil dort niemand spazierengeht und es daher zu keinen Komplikationen kommen kann“, erklärt Thomas. Lediglich den Stick zur Verlängerung ihres Armes darf sie mitnehmen. „Ein irres Gefühl, so mit einem Pferd spazierenzugehen“, sagt sie. „Das hätte ich nicht zu träumen gewagt.“ Damit Sally ihre Aufmerksamkeit auch kontinuierlich auf Sylvia hält, und nicht von den verschiedensten Eindrücken um sie herum abgelenkt wird, gehen die beiden einige Volten. „Dadurch bleibt der Fokus von Sally auf Sylvia“, erklärt Thomas. Aber egal, ob die beiden Volten einbauen oder vorwärts, rückwärts und seitwärts gehen: Sylvia darf nicht zu lange zögern, bis sie der Stute ein Signal gibt. „Sonst wird das Gras am Wegesrand schnell interessanter“, erklärt Thomas. Wenn die Positionen der beiden mal verrutschen, sollte Sylvia die Stute rückwärts schicken – dass stärkt die Aufmerksamkeit und die jeweilige FokusTraining eingelassen, und es akzeptiert. Das ist auch der Grund, weshalb ich sie für die heutige Trainingseinheit mit dir ausgewählt habe.“

Ballett tanzen

Nach dem kurzen Rundgang geht es für Sylvia auf den Reitplatz. „Ich zeige ihr erst einmal einige Grundkniffe, damit sie es im freien Gelände leichter hat.“ Er demonstriert ihr, wie die Freiheitsdressur funktioniert: „Du musst immer deinen ganzen Körper nutzen und auch die Hände dazunehmen“, beginnt Thomas die Trainingseinheit. „Die eine Hand ist deine treibende Hand und die andere die freie beziehungsweise verstärkende Hand. Die Treibende kann ein Seil oder einen Stick mit sich führen.“ Wenn die freie Hand nur herunterbaumelt, darf der Stick für das Pferd keine Bedeutung bekommen. So soll er beispielsweise neben dem Pferd auf den Boden geschlagen werden können, ohne dass das Pferd sich wegbewegt. Wenn die freie Hand dann die Richtung des Kopfes angibt, treibt der Stick den Körper des Pferdes in die gewünschte Richtung. Mit anderen Worten: Die freie Hand kontrolliert die Vorderhand und die treibende Hand die Hinterhand des Pferdes. „Wichtig ist dabei vor allem, dass du eine gute und sichere Position hast. Die Vorderbeine des Pferdes müssen immer ein Stück hinter dir sein“, erklärt der Pferdesierung. „Drücke sie dann mit deinem Körper ohne Körperkontakt weg“, so Thomas. „Du musst dir vorstellen, dass du einen Ball wegrollen willst. Die Nase des Pferdes ist der Ball, den du anrollst, und der restliche Körper folgt dann automatisch.“

Ein verhängnisvoller Graben

Zu guter Letzt soll Sylvia Sally durch einen trockenen Graben und auf die andere Seite schicken. „Das macht einfach nur Spaß. Kaum zu glauben, dass ich in so kurzer Zeit diese paar Grundkniffe schon beherrsche, sodass ich ein Pferd wegschicken und zu mir holen kann, und das einfach nur durch meine Position und Präsenz“, so Sylvia ganz erstaunt. Sie verstärkt ihre Signale und Sally steht auf der anderen Seite vom Graben – und will aber nicht mehr zurückkommen. „Oh mein Gott, was mache ich denn jetzt?“, ruft Sylvia aufgeregt. Thomas aber lacht und beruhigt sie: „Entweder hört sie von hier aus auf dich oder aber du musst selber rübergehen und sie mitbringen.“ Nach vielen Versuchen, die Stute zu holen, muss Sylvia wohl oder übel selbst auf die andere Seite. Das klingt allerdings einfacher, als es ist: Die beiden müssen sich eine geeignete Stelle suchen. Trotzdem weicht die Stute Sylvia nicht von der Seite, und vertraut letztendlich darauf, dass sie ihr schon den richtigen Weg weist, und geht mit ihr hinüber. Als es für die beiden wieder zurück zum Stall geht, ist von Sylvia nur noch ein leises „Freiarbeit ist total genial“ zu hören.

Fazit der Kandidatin: „Würde Thomas Günther nicht so weit weg wohnen, würde ich definitiv über regelmäßige Trainingseinheiten nachdenken. Er ist einfach nur töfte! Es war spannend, mit einem mir fremden Pferd zu arbeiten, das auch noch alles kann und macht. Freiarbeit habe ich so in dieser Form noch nie gemacht. Ich habe viele neue Denkanstöße für die Arbeit mit meinem Fjordpferd Lotta mitnehmen dürfen und dafür bin ich unglaublich dankbar!“