Interview: Inga Dora Schwarzer        Foto: imago/Frank Sorge

Pferde sind Steppen-, Herden, Flucht- und Beutetiere und zeigen dementsprechende Verhaltensweisen. Für den Reiter ist es wichtig zu verstehen, warum es so und nicht anders reagiert. Je mehr er über die Bedürfnisse weiß, desto eher kann er unerwünschtes Verhalten verhindern und für Wohlbefinden sorgen. In einer achtteiligen Interviewreihe mit Verhaltenstherapeutin Susanne Grun (www.horselearningbysusn.com) schauen wir uns nach und nach verschiedene Verhaltensweisen genauer an – dieses Mal steht Ruheverhalten im Fokus.

 

Welche Verhaltensweisen gehören dazu?

Neben der Nahrungsaufnahme, die aus bekanntlich 12 bis 16 Stunden des Tages besteht, verbringen die Pferde die meiste Zeit des Tages mit Ruhen. Dies geschieht in mehreren Phasen, also über den Tag verteilt. Erwachsene Pferde ruhen zwischen fünf und neun Stunden am Tag. Das Ruhen unterteilen wir in Dösen und die tatsächlichen Tiefschlafphasen. Beim Dösen verbringt das Pferd die Ruhepause im Stehen, wobei man es oft beobachten kann, dass es ein Hinterbein dabei entlastet (Schildern). Dieser Wach-/Schlafzustand nimmt 80 Prozent des Ruheverhaltens ein. Der tatsächliche Tiefschlaf ist wichtig für die psychische Regeneration und wird in der Seitenlage abgehalten. Pferde ruhen nur im Liegen, wenn sie sich sicher fühlen. Unser Fluchttier muss zu jeder Zeit die komplette Umgebung im Blick haben oder einen Artgenossen in seiner Nähe, der Wache hält. Einfluss auf das Ruheverhalten haben ganz klar neben dem Rang auch die Witterung, die Haltungsform, die Jahreszeit, das Alter der Pferde etc. In der Herde verringert sich während der Ruhephasen die Individualdistanz der einzelnen Pferde. Ein oder zwei Tiere halten Wache, während der Rest der Herde ruht.

Welche Bedürfnisse muss der Mensch erfüllen?

Das Bedürfnis nach Ruhe und Erholung ist eines der wichtigsten Bedürfnisse, die wir Menschen erfüllen müssen. Die Pferde, leben sie im Offenstall, brauchen der Anzahl der Pferde entsprechend ausreichende Liegeflächen, die mit trockener, sauberer Einstreu gebettet sind. Stroh (Roggen-/Weizenstroh) eignet sich hervorragend, aber auch Sägespäne oder Hobelspäne bis hin zu Torf sind geeignete und gern angenommene Einstreumaterialien. Wichtig ist, dass das Lager des Pferdes zum Hinlegen anregt, den Gliedmaßen Schutz vor Verletzungen gewährt und eine Wärmedämmung zwischen dem warmen Körper und dem kalten Boden schafft. Die einwandfreie Qualität der Einstreu, insbesondere bei Boxenhaltung, ist enorm wichtig, da die Pferde die Einstreu ja auch als Raufuttermittel nutzen. Um dem Pferd das Bedürfnis nach Ruhe zu gewähren, ist gleichzeitig auch das Komfortverhalten des Pferdes zu berücksichtigen. Es legt sich nicht in den eigenen Mist oder auf nasse Einstreu. Somit wird es nicht ruhen, und auch das Komfortverhalten wird gestört. Hygiene ist hier enorm wichtig.

Was passiert, wenn diese Verhaltensweisen nicht ausgelebt werden können?

Kann das Pferd nicht ausreichend Ruhe finden, ist es selbstverständlich nicht aufnahmebereit für Training oder Ausbildung oder irgendeine andere Arbeit. Wie bei uns Menschen auch, wenn das Pferd nicht erholt und ausgeruht ist, ist es nicht leistungsfähig, fühlt sich nicht wohl (Komfortverhalten), wird nicht richtig fressen, vielleicht gestresst sein und im schlimmsten Fall wird es aggressiv oder krank. Es stellt sich hier dann meist eine hohe Frustration ein, die wiederum zu den gängigen Verhaltensauffälligkeiten führen kann.

Wie kann sich der Mensch dieses Verhalten zu Nutze machen?

Das Bedürfnis nach Ruhe nutze ich in meinem Training sehr oft. Ein aufgeregtes oder nervöses Pferd soll erst einmal zur Ruhe kommen können. Es wird immer bei mir Ruhe finden. Longiere ich Jungpferde an oder korrigiere sog. Problempferde, so baue ich extrem viele Ruhepausen ein. In diesen Pausen kann das Pferd, das vielleicht noch angespannt oder skeptisch ist, durchatmen, sich wieder besinnen und nachdenken. In diesen Pausen lernen die Pferde oftmals die schwierigsten Lektionen. Ich stelle auch sehr oft fest, dass Pferde wie über Nacht lernen. Also in den Ruhepausen. Stelle ich fest, dass ein Pferd eine Lernblockade etc. hat, und gönne ich ihm einen Tag Pause, so hat es die Aufgabe am nächsten Tag meist verstanden und führt sie stolz aus. Wir Verhaltenstherapeuten nennen das latentes Lernen. Auch beim Stehen neben mir, in der Pause, während ich es ausgiebig kraule und lobe, nutze ich sein Bedürfnis nach Ruhe und Nähe. Ich erinnere mich hier immer an den Satz, den ich im Yoga oft höre: „Sei bei mir, bei mir bist du sicher. Atme und sei einfach da. Du kannst dich nun ausruhen.“

Ruhe ist übrigens auch etwas, was viele Reiter nötig hätten. Ein Reiter, der in sich ruht, nicht hektisch umherfuchtelt, sondern klar in seiner Ausstrahlung und Körpersprache ist, wird mit seinem Pferd immer erfolgreicher sein, als ein lauter, hektischer, unruhiger Reiter. Ich arbeite hier gern mit Hilfe von Yoga, weil ich der Ansicht bin, Yoga und Reiten passen einfach wunderbar zusammen.