Sitzen wie ein Profi

Schauen Sie mal genauer hin

Die Sonne lässt die letzten Schneeflocken, die auf den kahlen Bäumen und Büschen liegen, glitzern wie kleine Kristalle, und ich lasse meinen Blick über die Umgebung neben dem Winterpaddock schweifen, während mein Wallach mit seinem Kumpel mit gesenktem Kopf auf dem Boden suchend umherschlendert. Schön haben sie es hier! Genau wie die schnaubenden Pferde entspanne auch ich mich bei dem Anblick und puste den Stress der letzten Wochen mit einem Seufzen in einer Atemwolke in die Luft. Der kleine Wallach litt unter Magenschmerzen, und so hatte ich viel Mühe damit, ihm die beste Behandlung zu ermöglichen und auf alles zu achten, sodass es ihm schnell besser geht. Zufrieden steht er nun am anderen Ende der Freifläche und beobachtet mich, wie ich so dastehe: ein Bein angewinkelt, die Arme auf die Holzbegrenzungen der Fläche abgestützt. Die Idee, dass er mich mehr spiegelt, als mir lieb ist, kam mir schon häufiger, aber gerade jetzt, wo ich den „kleinen Verrückten“ so ansehe, wie er dort genauso entspannt steht wie ich, kommen die Gedanken wieder hoch.

Säugetiere besitzen Spiegelneuronen, die es uns ermöglichen, das Verhalten eines Herden-, Rudel- oder Familienmitgliedes zu spiegeln. Für Tiere ist die Gemeinschaft noch überlebenswichtiger als für uns, und das gleichzeitige Reagieren auf verschiedene Situationen sichert den Bestand. Den Anderen fühlen zu können und seine Last mitzutragen ist existenziell. Unsere Pferde tun dies jeden Tag, ohne dass wir uns darüber Gedanken machen. Sie tragen unsere Last, und wir tragen manchmal auch umgekehrt ihre Sorgen. Kann es also sein, dass seine Magenprobleme auch mit meinen Schwächen zu tun haben? Besonders stressige Zeiten oder eine innere Unruhe lassen sich sicherlich nicht vor so einem sensiblen Tier wie dem Pferd verstecken. Wenn ich sehr kopflastig und nervös auf ihn wirke, wird er eventuell diese Lasten mit mir tragen wollen, um mich zu entlasten.

Sich mehr zu hinterfragen und zu überlegen, welchen Einfluss man selbst hat, kann weiterhelfen, wenn es um das Wohlbefinden des Pferdes geht. Denn wenn ich an meiner inneren Ruhe arbeite, kann der Erfolg tiefgreifender und nachhaltiger sein, und mein Pferd kann endlich aus dieser Verantwortung entlassen werden. Sicherlich ist so ein Spiegeln nur ein kleiner Baustein für das Pferdewohl, doch je mehr Bausteine wir kennen, desto besser können wir sie beeinflussen.

Viel Spaß beim Lesen der neuen Ausgabe!

Lara Wassermann

Leitende Redakteurin Mein Pferd

  • Sitzen wie ein Profi

    • Fütterung und Training

      • Die Mischung macht's!
      • Das läuft nach Plan
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