Mit anderen Augen

Mücke oder Elefant?

Endlich Wochenende! Da ich schon um sechs Uhr aufwache und nicht mehr weiterschlafen kann, überlege ich mir, dass ich heute doch einiges schaffen könnte, was ich sonst an einem Samstag durch Ausschlafen und den langen Aufenthalt am Stall nicht hinkriegen würde: Ich könnte einen Stadtbummel machen, mich an die Steuer setzen – okay, die Idee verwerfe ich schon halb wieder, bevor ich sie ganz durchdacht habe –, oder ich könnte mich endlich mal wieder mit einer alten Freundin treffen. Aber zunächst fahre ich natürlich zum Pferd und möchte in aller Frühe reiten! Der frühe Vogel fängt bekanntlich den Wurm!

Am Stall angekommen, hole ich meinen Wallach aus der Box, um ihn ausgiebig zu putzen. Den gestrigen Paddockaufenthalt scheint er sichtlich genossen zu haben: Komplett verkrusteter Schlamm ziert sein Fell. Als ich mich den Beinen zuwende, kriege ich einen Schock: Das Fesselgelenk ist etwas dick und warm. Alarmglocken gehen in meinem Innern an, und ich unterdrücke das unwohle Gefühl, das sich in mir breitmachen will. Erst mal ruhig bleiben – schließlich muss nicht jedes dicke Bein direkt eine große, langfristige Beeinträchtigung bedeuten. Denn eigentlich ist der Wallach sehr robust und lahmt so gut wie nie. Auch größere Einschüsse, die er sich beim Toben auf der Weide holt, sind immer völlig unproblematisch verlaufen, und die nicht zu weiche Fesselung scheint auch, zumindest was Verletzungen angeht, ein Segen zu sein.

Ich entscheide also, dass er ein paar Tage Ruhe kriegt und wir dann schauen, wie es sich entwickelt. Bein kühlen, dick Heilerde draufschmieren, ansonsten nur Schritt gehen lassen und mit ihm Grasen gehen. Doch nicht jeder kann bei Verletzungen seines Pferdes diesen optimistischen Zustand annehmen. Bein dick? Dann geht es für viele Pferde direkt in die Klinik, oder der Tierarzt wird schon am ersten Tag gerufen. Ich denke, das richtige Maß spielt auch hier eine große Rolle. Welche Art von Verletzung hat das Pferd? Scheint es Schmerzen zu haben? Kenne ich mich (soweit man das aus gemachten Erfahrungen heraus behaupten kann) mit der Verletzung aus, und weiß ich, wie ich die Heilung unterstützen kann? Wer schon länger Pferde hat, der weiß ein Problem in der Regel ganz gut einzuschätzen und handelt dementsprechend. Bei einem dicken Bein, das aber zu keiner Lahmheit führt, warte ich beispielsweise immer ein paar Tage ab, ob es von selbst wieder abschwillt. Bin ich mir aber nicht sicher, ob das Pferd Schmerzen hat und auch ohne Hilfe wieder gesund werden könnte, kommt der Tierarzt sofort.

Wichtig ist, dass wir nicht in Panik verfallen und nicht immer nur das halb leere Glas sehen. Denn auch wir Menschen haben immer mal „Wehwehchen“, ohne dass wir direkt vom Schlimmsten ausgehen müssen. In der Ruhe liegt auch hier die Kraft.

Ich wünsche Ihnen, dass Ihr Vierbeiner in den verbleibenden kalten Monaten von Verletzungen verschont bleibt – und falls nicht, dann bitte nur solche, die ohne einen Klinikaufenthalt wieder von selbst verschwinden!

Lara Wassermann

Leitende Redakteurin Mein Pferd

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