Text: Aline Müller      Foto: www.Slawik.com

Durch den häufigen Einsatz von Zügel- und Schenkelhilfen geraten die Sitzhilfen mehr und mehr in Vergessenheit. Doch sie sind wichtig, damit Pferd und Reiter eine harmonische Einheit bilden können und zu mehr Leichtigkeit finden

Sie sind vom Fahrrad gestürzt, das nun kaputt ist. Daher geben Sie es einem Zweiradmechaniker, der genau weiß, was zu tun ist. Mit ihm zusammen arbeitet ein Physiker, der jede Bewegung eines Fahrrades exakt berechnen und simulieren kann. Nach der Reparatur bitten Sie den Mechaniker, Ihr Fahrrad eine Runde über den Hof zu fahren, da Sie es aufgrund einer Verletzung durch den Sturz nicht selbst ausprobieren können. Doch der Mechaniker, der ja genau weiß, wie ein Fahrrad funktioniert, kann sein Gleichgewicht nicht halten. Ähnlich geht es dem Physiker. Bloße Theorie reicht eben nicht aus, um in Bewegung zu kommen und zu bleiben. Beim Reiten fallen wir nicht sofort aus dem Sattel, wenn wir bereits im Stehen Probleme mit dem Gleichgewicht haben. Wäre das der Fall, würden wahrscheinlich viel mehr Menschen von Anfang an mit Sitzhilfen reiten.

Zwei wichtige Prinzipien

„Die meisten Reiter wissen heutzutage sehr viel über das Reiten, über Zügelhilfen, Schenkelhilfen und Lektionen, aber sie können sich nicht vorstellen, wie es möglich sein soll, ein Pferd nur mit Sitzhilfen in alle Lektionen zu führen“, schreibt Dr. Brigitte Kaluza in ihrem Buch „Reiten nur mit Sitzhilfen“. Sie hat sich intensiv damit beschäftigt, wie die Körper von Reiter und Pferd miteinander wechselwirken und wie der Reiter seinen Rumpf und sein Gesäß zur Kommunikation mit dem Pferd einsetzen kann. Beim Reiten schwingt nicht nur der Körper des Pferdes, sondern auch der des Reiters. Diese gegenseitige Übertragung der Körperschwingungen ist das erste Prinzip, auf dem das Reiten nur mit Sitzhilfen basiert. Das zweite Prinzip ist die gegenseitige, meist unbewusst erfolgende Körperwahrnehmung. Dass Sie bisher eher wenig oder noch nichts vom Reiten mit Sitzhilfen gehört haben, kann daran liegen, dass es häufig unbewusst (im Kindesalter oder auch später) erlernt wird. Standen lange Zeit Schenkel- und Zügelhilfen im Vordergrund des Interesses, können die moderne Naturwissenschaft und die Gehirnforschung mittlerweile erklären, wie Reiten nur mit Sitzhilfen funktioniert. Dazu ist es wichtig, die Biomechanik der Körperschwingungen von Pferd und Reiter zu verstehen, sich die Kommunikation über Körperwahrnehmung bewusst zu machen und so das Reiten in Bewegungssymbiose mit dem Pferd bewusst zu erlernen. Ein spannender Weg, der Ihnen ein neues Reitgefühl schenken kann.

Auf Fühlen umschalten

In vielen Lehrbüchern werden ganz genau die Positionen der Zügelfäuste oder der Schenkel sowie deren Bewegungen beschrieben. Eine gute Anleitung zum Reiten? Theorie ist immer wichtig, aber in der Praxis fehlt ein wichtiger Teil: Wir können nicht jedes Pferd nach Schema F reiten, und wir nehmen eben auch durch unsere Rumpfbewegungen beziehungsweise durch eine Neuausrichtung unserer Körperachse Einfluss auf die Bewegung sowie den Bewegungsfluss des Pferdes. Perfekt platzierte Hände und Schenkel bei einem festen Becken blockieren das Pferd, auch wenn die äußere Haltung des Reiters Lehrbuchhaft wirkt. Es darf nicht vergessen werden, dass zwei Lebewesen, genauer gesagt zwei Wirbeltiere, aufeinandertreffen, die ihren eigenen persönlichen Bewegungsradius haben. Wenn Sie sich auf Ihre Hände oder Beine konzentrieren, werden bestimmte Areale in Ihrem Gehirn aktiv, die dafür sorgen, dass eine bewusste Steuerung immer Priorität hat. Will heißen: Sie werden nicht mehr in der Lage sein, Ihr Pferd zu fühlen oder es über Ihre Sitzhilfen gezielt zu beeinflussen. Nun ist es gar nicht so einfach auf das Programm „Fühlen“ umzuschalten. Was Kindern noch leichter fällt, wird für Erwachsene eine echte Herausforderung. Als Verstandesmenschen erzogen, verlieren wir mehr und mehr die Unbefangenheit eines Kindes. Gleichzeitig wachsen unser Risikobewusstsein und der Drang danach, immer alles unter Kontrolle haben zu müssen.

Den kompletten Artikel finden Sie in der neuen Mein Pferd- Ausgabe.