Text: Lara Wassermann               Foto: Adobe Stock

Über den Tellerrand zu schauen kann sowohl bei der Problemlösung als auch bei dem Erlernen neuer Lektionen extrem von Vorteil sein. Profis der FN-Reitweise, des Western- und Barockreitens erklären ihre Trainingsansätze

Seitengänge

Seitengänge sind ein komplexes Thema, allerdings sind sie auch unerlässlich in der Ausbildung des Pferdes. Worin liegen die Vorteile, und wie bringe ich sie meinem Pferd bei?

Corinna Hengefeld:

Durch Seitengänge – insbesondere das Schulterherein – lassen sich nahezu alle Rittigkeitsprobleme lösen. Aus diesem Grund bin ich auch der Meinung, dass die Ausbildung des Pferdes ohne Seitengänge nicht möglich ist. Schon Nuno Oliveira sagte zu recht: „Das Schulterherein ist das Aspirin der Reitkunst.“ Durch die Lektion Schulterherein lassen sich durch die Biegung viele Probleme in der Anlehnung und Durchlässigkeit lösen. Zudem kann man sehr gut mit der Versammlung des Pferdes beginnen. Und zu guter Letzt sollte man nicht die enormen, positiven Effekte auf die Muskulatur des Pferdes unterschätzen: Das Seitwärtstreten hat einen stärkenden Effekt auf die gesamte Muskulatur.

Leider wird die klassisch-barocke Reitweise fälschlicherweise häufig auf die Seitengänge reduziert: Natürlich nehmen Seitengänge einen essenziellen Part in der Ausbildung von Pferd und Reiter ein, allerdings müssen sie sinnvoll und in Maßen eingesetzt werden. Werden sie zu früh in der Ausbildung eingesetzt, ist das Resultat häufig nur ein Seitwärtsgehen, aber kein Seitengang. Generell darf man das eigentliche Ziel – die Geraderichtung des Pferdes – nicht aus den Augen verlieren. Seitengänge können hierzu einen großen Beitrag leisten, beherbergen jedoch auch die Gefahr, dass das Pferd schiefer wird und beispielsweise ins Travers flüchtet. Mit einem Jungpferd beginne ich Seitengänge zunächst an der Hand, um diesem eine Idee der seitwärtstreibenden bzw. -weisenden Hilfe zu vermitteln. Während ich vom Boden aus die Seitengänge relativ früh in die Ausbildung des Pferdes integriere, warte ich unterm Sattel, bis das Pferd sicher in allen Gangarten taktklar in der Anlehnung läuft – meist ist dies nach ein bis zwei Jahren der Fall.

In diesem Zusammenhang muss auch das Schenkelweichen genannt werden – auch wenn es nicht zu den eigentlichen Seitengängen zählt. Ich nutze es sehr gerne und effektiv als Vorbereitung für die eigentlichen Seitengänge, da es für das Pferd einfach zu erlernen ist.

Dr. Britta Schöffmann:

Das ist ein Riesen-Thema, das eigentlich nicht in ein paar Sätzen zu beantworten ist. Zunächst unterscheidet man zwischen Seitwärtsbewegungen, das heißt Bewegungen, die in Stellung gegen die Bewegungsrichtung seitwärts führen, aber ohne Biegung geritten werden. Dazu gehören Vorhandwendungen und alle Arten des Schenkelweichens, das im Arbeitstempo in Schritt und Trab geritten wird. Bei den Seitengängen Travers, Traversale und Renvers ist das Pferd dagegen versammelt in Bewegungsrichtung gestellt und gebogen. Das Schulterherein gehört zu den Seitengängen, da es in Längsbiegung geritten wird – allerdings gegen die Bewegungsrichtung. Ganz schön kompliziert 🙂

Anfangen sollte man mit den Seitwärtsbewegungen – denn darüber lernt das Pferd, dem seitwärts treibenden Schenkel zu weichen. Erst wenn das gut klappt, sollte man sich an die Seitengänge heranwagen. Hier steht das Schulterherein eigentlich am Anfang, dann folgen Travers und Renvers und die Traversalen. Voraussetzung dafür ist: Versammlung, Akzeptanz der diagonalen Hilfen, Reaktion auf den seitwärtstreibenden Schenkel. Der Vorteil der Seitwärtsbewegungen und Seitengänge: Das Pferd wird in der Längsachse beweglicher und beansprucht nun verstärkt solche Muskelpartien, die es im reinen Geradeaus nicht ansprechen würde.

Mehr Informationen zu diesem Thema finden Sie in der aktuellen Mein Pferd- Ausgabe.