Text: Dominique Wehrmann           Foto: Doris Matthaes

Früher war das Reiten mit nur einer Hand die normalste Sache der Welt. Heute ist es aus Dressuraufgaben verschwunden und auch im Training in Vergessenheit geraten. Schade, denn es ist eine sehr wertvolle Hilfe

Historisch betrachtet, war das einhändige Reiten weniger Kunst als vielmehr Notwendigkeit – im Krieg benötigte man eine freie Hand, um seine Waffe zu führen, und in sämtlichen Arbeitsreitweisen wurden mit der freien Hand Lassos geschwungen, Tore geöffnet, Stangen zum Viehtreiben benutzt etc. Es war also elementar wichtig, dass Arbeitskollege Pferd durchlässig und gehorsam auf Gewichts- und Schenkelhilfen reagierte und nicht abhängig war von der Einwirkung der Hand. In heutigen Dressurküren gibt es für etwas, das eigentlich selbstverständlich sein sollte, Pluspunkte beim Schwierigkeitsgrad. Doch in der Tat, mit nur einer Hand zu reiten ist schwierig! Selbst für die Großen.

U25-Europameisterin und Piaff-Förderpreis-Siegerin Ann-Kathrin Lindner gibt unumwunden zu: „Am Anfang ging es überhaupt nicht! Ich habe die Pferde null an den Zügel bekommen. Erst dadurch habe ich gemerkt, was noch alles zur reellen Selbsthaltung fehlt.“ Klingt nicht wirklich ermutigend, wenn selbst eine Grand-Prix-Reiterin so etwas sagt. Doch Ann-Kathrin blieb dran: „Da hat mich der Ehrgeiz gepackt!“ Und sie stellte fest, dass es sich lohnt: „Ich merke, dass die Pferde sich viel wohler fühlen.“ Auf die Idee, im Training häufiger einhändig zu reiten, war Ann-Kathrin übrigens nicht von alleine gekommen, sondern es war eine Hausaufgabe von Bundestrainerin Monica Theodorescu, die bei ihren Kaderreitern großen Wert auf solide Basisarbeit legt.

Das sagt die Bundestrainerin

Die Sache mit dem Einhändigreiten müsste aus Sicht von Monica Theodorescu zum Standardrepertoire in der Ausbildung gehören. „Zumindest als junger Reiter sollte ja jeder früher mal Sitzübungen an der Longe gemacht haben, bei denen er sich ohne Zügel und möglichst auch ohne Bügel nur über seinen Sitz im Sattel ausbalancieren musste. So entwickelt man eine positive Körperspannung, ohne zu verkrampfen.“ Außerdem gehörten einhändig zu reitende Lektionen früher in Dressuraufgaben dazu. Aus gutem Grund, wie die Bundestrainerin der Dressurreiter betont: „Einhändigreiten testet nicht nur den handunabhängigen Sitz, es zeigt vor allem auch, ob die Pferde wirklich in Selbsthaltung gehen und an Sitz- und Schenkelhilfen stehen.“

Monica Theodorescu weiß, wovon sie spricht. Früher ließ ihr Vater sie fliegende Wechsel mit nur einer Hand reiten, und bis heute gehört das bei ihr zum Training dazu. Sie erläutert: „Durch die Schenkelhilfe beim fliegenden Wechsel bekommt das Pferd einen Vorwärtsimpuls. Mit zwei Händen kann man da schon mal in die Versuchung kommen, durch Links-rechts-Ziehen gegensteuern zu wollen. Mit nur einer Hand am Zügel bin ich gezwungen gegenzusitzen.“ Nicht der einzige positive Nebeneffekt in Sachen richtiger Sitz und Einwirkung, wie Theodorescu immer wieder auch bei ihren Schülern feststellt: „Halbe Paraden gelingen plötzlich vollendet, weil die Reiter deutlich mehr mit Gewichts- als mit Zügelhilfen arbeiten.“ Außerdem helfe es auch in den Wendungen, weil man automatisch sein Gewicht korrekt verlagere, wenn man mit nur einer Hand unterwegs ist – vorausgesetzt, man macht es richtig.

Weniger ist mehr

Julia Thut ist eine Schweizer Dressurausbilderin und Trainer A klassisch-barocke Reiterei (FN). Sie hat ein Buch geschrieben zum Thema „Mit einer Hand“. Thut ist ähnlich wie Bundestrainerin Theodorescu der Meinung: „Es wäre gut, wenn Einhändigreiten auf dem Turnier wieder verlangt werden würde!“ Warum? Thut ist überzeugt, dass man als Reiter von Anfang an anders ausbildet, wenn es das Ziel ist, einhändig in einer Turnierprüfung bestehen zu können. Auch sie hat die Erfahrung gemacht, dass das einhändige Reiten den Reitern beibringt, dass man Pferde auch über Sitz und Schenkelhilfen stellen und biegen kann und dass der Zügel letztlich nur noch eine Begleitmaßnahme wird.

Den kompletten Artikel finden Sie in der aktuellen Mein Pferd März-Ausgabe.