Text: Aline Müller       Foto: Horst Streiferdt

Konzentration, Körpergefühl, Selbstbewusstsein und Gesundheit – all das fördert die Arbeit an der Hand. Ob Jungspund, Dressurprofi oder Korrekturpferd, die Ausbilderin Kathrin Roida stellt Ihnen Übungen vor, mit denen Sie Ihr Pferd gezielt stärken und gymnastizieren können. Dabei werden die Lektionen auch aus osteopathischer Sicht erklärt

Von der Hand in den Sattel

Didieras Besitzer erkannte, dass dies der falsche Weg war, und gab ihre Stute zu ei­ner Ausbilderin in der Nähe von Düsseldorf. Diese begann damit, die Stute zuerst nur an der Hand zu arbeiten und die Arbeitsphasen recht kurz zu gestalten. Dadurch konnte der Rücken ohne Sattel und Reiter gestärkt wer­den. Mehr und mehr ließ sich Didiera auf die Arbeit ein und gewann durch die zielge­richteten Übungen ein neues Körpergefühl. Als sich die Balance verbesserte und die Anspannung nachließ, war auch das Lon­ gieren kein Problem mehr. „Es war schon ein besonderer Moment, als ich mich nach der Vorbereitung an der Hand das erste Mal in den Sattel setzte“, sagt die Ausbilderin. „Nach der ersten Runde im Schritt konn­te ich spüren, dass Didiera mir vertraut.“ Heute ist die Reitponystute nicht mehr wie­derzuerkennen. Stolz und kraftvoll trabt sie über den Reitplatz. Dabei ist sie engagiert, aber bleibt mit der Aufmerksamkeit bei ih­rer Reiterin. Auch Kathrin Roida betont die Wirksamkeit der Arbeit an der Hand: „Bei Korrekturpferden können Dehnungs­- und Biegeübungen wahre Wunder bewirken“, sagt sie. Ebenso könne das Leben von Re­habilitationspferden, die bereits aufgegeben wurden, durch angemessene, gewissenhafte Boden­ und Handarbeit wieder lebenswert gemacht werden, wenn sie plötzlich in der Lage seien, sich umfassender zu bewegen. Unsere Expertin zieht dabei jedoch immer einen Tierarzt zu Rate, der dann sozusagen grünes Licht für die Übungen gibt. „Hand­arbeit ist kein alleiniges Allheilmittel. Man kann zwar sehr viel erzielen – das kom­plette Thema Pferdeausbildung und Gesunderhaltung wird aber von vielen Faktoren getragen“, betont Kathrin Roida

Gewissenhaft und dosiert

Keiner wird über Nacht ohne entspre­chende Ausbildung zu einem guten Reiter. Genauso wie Reiten eine Trainingssache ist, braucht auch das Erlernen der Hand­arbeit Zeit. Hier können Sie gemeinsam mit Ihrem Pferd lernen. Suchen Sie sich am be­sten einen guten Ausbilder. Kathrin Roida rät, dabei nicht nur auf Erfolge zu achten. Betrachten Sie den Ausbilder vielmehr im Umgang mit dem Pferd sowie das Verhalten und das Bewegungsmuster des Vierbeiners beim Reiten. „Die Handarbeit sollte genau­ so gewissenhaft und dosiert ausgeführt wer­ den wie alles andere bei Pferd“, so unsere Expertin. Ihre Einheiten dauern selten län­ger als eine halbe Stunde. Bei den Übungen, die wir Ihnen vorstellen, wird immer von einem gesunden Pferd ausgegangen. Tiere mit Krankheiten wie Arthrose, Hufrolle, Spat oder Ähnlichem dürfen unbedingt erst nach Absprache mit dem Tierarzt gearbeitet werden. Kathrin Roida arbeitet ihre Pferde an der Hand nicht im Vorwärts­-Abwärts. Das findet bei ihr an der Longe oder unter dem Sattel statt: „Ich erarbeite eine Deh­nungshaltung nicht explizit an der Hand, da ich das ausreichende Vorwärts für eine kor­ rekte Dehnung nicht immer sichern kann“, erklärt die Ausbilderin. Allerdings werde das Pferd bei der Handarbeit nach kurzen Reprisen immer wieder mit hingegebenem Zügel gelobt. Entweder im Schritt oder im Stand. Laut Kathrin Roida führen die mobi­lisierenden Seitengänge bereits nach kurzer Zeit zu hervorragender körperlicher Kräfti­gung. An der Hand könne das Pferd auch an versammelnde Lektionen herangeführt wer­den, die ihm ohne Reiter zunächst leichter fallen. Probieren Sie die Übungen aus und beobachten Sie die Veränderungen.

Junge Pferde trainieren

Durch die Arbeit an der Hand kann gezielt der Bandapparat sowie die Muskulatur des jungen Pferdes gekräftigt werden. „Die Hanken werden geschmeidig, und die Pferde werden durch die Übungen, die sie nicht überfordern, an die Versammlungsfähigkeit herangeführt“, erläutert Kathrin Roida. Sie können die an der Hand erarbeiteten Lektionen anschließend mit (mehr) Leichtigkeit in den Sattel übernehmen. Spektakuläre Bewegungen und viele hypermobile Pferde – das bringt die moderne Zucht mit sich. Doch nicht wenige Top­ Vierbeiner leiden früh an Beschwerden des Bewegungsappa­rates. Das liegt unter anderem daran, dass Reiter bei jungen Bewegungskünstlern dazu ge­neigt sind, die Bewegungen auch im täglichen Training voll auszukosten. Hier rät un­sere Expertin, frühzeitig mit kräftigenden, versammelnden Übungen zu beginnen, um diese Pferde lange gesund zu erhalten. Die Handarbeit eig­net sich sehr gut dazu, Lekti­onen ohne Reitergewicht zu erarbeiten.

Die Stute Aimée la vie auf den Fotos ist fünf Jahre alt und 176 Zentimeter groß. Mit großrahmigen Bewegungen ausgestattet, hat die Handar­beit geholfen, den Bandap­parat tragfähiger und stabiler werden zu lassen. Neben den Seitengängen erarbeitete Ka­thrin Roida mit Aimée la vie auch die diagonalen Tritte, um ihr das Verständnis vom Abkippen des Beckens zu vermit­teln und die Tragfähigkeit der Hinterhand zu verbessern. „Bei Aimée la vie haben wir die Piaffe zu zweit an der Bande in der Halle erarbeitet“, erinnert sich unsere Expertin. „Die Akzeptanz der Zügelhilfe gilt als Voraus­setzung. Nur dann dürfen wir die Pferde touchieren. An­sonsten würden sie die Flucht nach vorn ergreifen.“

Für die erfahrene Ausbil­derin hat eine konstante An­lehnung, wie wir sie uns beim Reiten wünschen, bei dem Erarbeiten der Piaffe keine Relevanz. Es könne sogar hinderlich sein, dem Pferd die Motivation nach vorne zu nehmen.

Weitere Tipps und Übungen finden Sie in der aktuellen Mein Pferd- Ausgabe.