Einmal einen gut ausgebildeten Haflinger-Hengst reiten, das war Sarahs Traum. Der Stöckerhof in Hennef erfüllte ihr diesen Wunsch gleich zwei Mal
Text: Lara Wassermann | Fotos: Daniel Elke


Eine besondere Ruhe geht von dem großen Hof, oben in den Bergen zwischen Bergischem Land und Westerwald gelegen, aus. Die idyllische Landschaft und der Blick aufs Mündungstal der Sieg lassen die Besucher den Alltagsstress vergessen. Die meisten Besucher zumindest, denn Kandidatin Sarah scheint noch etwas verunsichert, als uns die verschiedenen Stallungen mit den Hengsten auf dem Gestüt Stöckerhof gezeigt werden. Einmal einen gut ausgebildeten Haflingerhengst reiten – das war ein Wunsch von ihr. Zu Hause hat die 19-jährige Studentin selbst ein Endmaßpony, allerdings eine Stute. Einen Hengst ist sie bisher noch nie geritten. Auf ihrem 50 Hektar großen Gestüt, beherbergt und züchtet Familie Vester Haflinger und Trakehner in Reinzucht. Wir werden durch Stallgassen mit großen, hellen Boxen mit Trakehnern geführt, während etwas zum geschichtlichen Hintergrund erklärt wird. Mit einer tragenden Stute, die der Gestütsbesitzer gegen ein Pony eintauschte, hatte vor über 40 Jahren alles begonnen.

Ein Pferd muss Pferd bleiben dürfen

Am Haflingerstall angekommen, werden wir von einem Bilderbuchpferd begrüßt – der Hengst Aladdin steht in der Stallgasse und wird von seinem Besitzer Tim, dem Sohn der Gestütsbesitzer Dagobert und Elisabeth Vester, fertig gemacht. Erst kürzlich absolvierte Tim das goldene Reitabzeichen mit seinem Hengst. Die gute Pflege sieht man den Pferden an, sie glänzen wie frisch aus der Waschstraße und sehen zufrieden, gut genährt und trainiert aus. Zweimal täglich kommen alle Pferde auf die Weide oder aufs Paddock, danach wird geritten. „Ich finde es extrem wichtig, dass Pferde ihrem natürlichen Bewegungsdrang nachkommen und außerdem auch einfach mal grasfressend auf den Weiden stehen können. Ein Pferd muss neben dem Training auch einfach noch Pferd bleiben“, betont die jahrelange Trainerin des Gestüts, Karla Spiritus. Sie selber ist bis Grand-Prix geritten und gibt ebenfalls Unterricht für Grand-Prix-Reiter wie auch für niedrigere Klassen. Eher zufällig sei sie zur Trainerin auf dem Stöckerhof geworden. Von Haflingern habe sie anfangs nicht viel erwartet, doch als sie dann zum ersten Mal auf einem gesessen und gemerkt habe, dass auch die kleinen, etwas schwerfällig scheinenden Ponys so einiges an Bewegungstalent mitbringen, war sie positiv erstaunt: „Ich war total baff. Diese Ponys sind nicht nur für Kutsche und Weinberge geschaffen, sondern können auch richtige Sportpferde sein.“ Unter Beweis stellt dies daraufhin der 13-jährige Hengst Aladdin. Tim stellt ihn in der großen Reithalle vor. Trotz fiesen Regenwetters draußen ist die Halle hell und lichtdurchflutet. Travers, Schulterherein, Mitteltrab, Galoppwechsel – alles wird ruhig und mit erstaunlichem Bewegungstalent ausgeführt. Erhaben, absolut versammelt und mit höchster Konzentration, schreitet der Hengst mit Tim durch die Halle, während Trainerin Karla Spiritus letzte Anweisungen gibt. Die lange Schwebephase im Mitteltrab überzeugt Kandidatin Sarah, die vom Hallenrand aus zuschaut, dann komplett: „Das hat ja wirklich überhaupt nichts mehr von einem schwerfälligen Haflinger!“

„Die tun alles für einen“

Nach der Vorstellung des S-platzierten Hengstes ist Sarah dran. Sie darf den Vater von Aladdin, Attila, reiten. Er wird von einer Pflegerin, nachdem er bereits gesattelt, getrenst und warmgeritten wurde, in die Halle geführt. „An so einen Service könnte ich mich gewöhnen“, sagt Sarah. Sie zieht ihre Stiefel an, die wie sie sagt, zum ersten Mal überhaupt für diesen Anlass geputzt wurden. „Ich freu mich total, dass ich jetzt so ein talentiertes Pferd reiten kann, aber ich glaube, ich muss mich warm anziehen – die Trainerin sieht wirklich alles!“, lacht Sarah und schwingt sich in den Sattel. „Echt bequem“, hört man es aus dem hinteren Teil der Halle schallen. Scheinbar eine alte Gewohnheit, denn zuvor hat Trainerin Karla ihr erklärt, dass sie nur mit Headset Unterricht gibt, welches Sarah nun auch im Ohr hat. „Ich sag mal erst nichts, und du fummelst dich einfach ein“, gibt Karla über den Knopf im Ohr an Sarah weiter. Und Sarah ‚fummelt‘ sich ein – locker antraben, leichttraben, feine Zügelhilfen – alles, was sie sonst bei ihrem eigenen Pferd auch zu Beginn der Lösungsphase macht. Ruhig und konzentriert reitet sie ihre eigens gewählten Runden. „So ist es gut, das machst du sehr schön“, sagt Karla zu Sarahs Erleichterung. Ihre Nervosität scheint zu schwinden, und sie gibt sich ganz dem Takt des muskulösen Haflingerhengstes hin. Ein häufiger Handwechsel und Biegungen fördern die Gymnastizierung: „Du musst die Wimpern des Pferdes auf gebogener Linie sehen können, Sarah“, fordert die Trainerin sie auf, ihr Pferd mehr zu biegen. Tim steht am Hallenrand und beobachtet Sarah und den Hengst. Er ist mit der Pferdezucht aufgewachsen. Die ersten Haflinger wurden vor Jahrzehnten in Nordtirol gekauft und daraus ist die heute weltweit erfolgreiche Zucht hervorgegangen. Kein Wunder also, dass ihm die Liebe zum Pferd in die Wiege gelegt wurde. Mit sechs Jahren fing Tim an zu reiten und wurde von Anfang an von Sarahs heutiger Reitlehrerin, Karla Spiritus, unterrichtet. Trakehner und Haflinger – ist das nicht ein krasser Unterschied? „Ja, die Unterschiede sind schon extrem“, bestätigt Tim, „irgendwie fühle ich mich aber mehr zu den Haflingern hingezogen. Die haben eine echte Persönlichkeit, sind ehrlich und tun alles für einen.“

Der richtige Sitz

Mittlerweile ist Sarah ins Schwitzen gekommen und klagt lächelnd: „Ist halt doch etwas Anderes als das eigene Pferd zu Hause“. „Setz dich wie eine Chefin hin, ganz stolz. Der Sitz ist absolut entscheidend. Schieb ihn voran“, korrigiert Karla Sarah. Sarah setzt sich tiefer in den Sattel. Attila scheint Sarahs Entschlossenheit wahrzunehmen. Sofort ändert sich seine Haltung, und er trabt jetzt noch erhabener und versammelter durch die Bahn. „Bist du schon mal eine Traversale geritten oder piaffiert?“, fragt die Trainerin. „Ja, aber nur auf einem Pferd, was es alleine macht“, erklärt Sarah. „Na dann los, du machst es jetzt auf einem Pferd, bei dem du was tun musst“, gibt Karla zurück. Jetzt ist Sarahs Abstimmung mit Attila gefragt. Eine gute Versammlung ist Voraussetzung für Beides. „Du tust so, als ob du an einem Abgrund halten musst. Setz dich mit dem ganzen Körper richtig hin, treib, während du ihm signalisierst, dass er halten soll.“ Sarah folgt Karlas Worten, mittlerweile mit hochrotem Kopf, konzentriert sich voll und ganz auf die ihr neue Situation. Attila versteht, was von ihm verlangt wird, und legt los; ein Bein nach dem anderen hebt er abwechselnd in die Höhe, und wieder ist man von der Leichtigkeit der ehemaligen „Bergsteigerpferde“ begeistert. Die Vielfältigkeit der Hengste zu zeigen ist dem Gestüt wichtig, weshalb zu Sarahs Freude noch ein zweiter Hengst vorbereitet wird, den sie ebenfalls reiten darf. Der 13-jährige Elitehengst Barolo, der bisher 25 gekörte Söhne hervorbrachte, wird in die Halle gebracht. Ein wunderschönes ‚Barbie-Pferd‘, dessen Statur deutlich zierlicher wirkt. „Die Haflinger Reinzucht bringt auch solche feinen Pferde hervor“, erklärt Karla Spiritus und fügt hinzu: „Je weißer die Mähne, desto teurer das Pferd.“ Sarah steigt auf und merkt direkt, dass das Gefühl ein komplett anderes ist. „Wahnsinn! Ein total anderes Reitgefühl!“ ruft sie begeistert, während sie Barolo antrabt. „Du wirst noch zur Hengstreiterin, Sarah, warte ab“, entgegnet Karla auf ihre Begeisterung. „Kopf hoch, nicht schnalzen, tiiief hinsetzen“, hört man die Trainerin immer wieder sagen. Wie Sarah schon vermutet hat, entgeht der ehemaligen Grand-Prix-Reiterin, die unter anderem Schülerin des erfolgreichen Dressurreiters Klaus Balkenhol war, nichts. Jedes Mal, wenn Sarah in ihre alten Fehler zurückf.llt, korrigiert sie diese umgehend: „Ich will, dass du alle Register ziehst und für das Pferd ein Ganzkörperpaket bereithältst. Ich möchte, dass du diese Erkenntnis mit nach Hause nimmst.“ Gekörte Hengste dürfen nicht nur schön, sondern müssen auch besonders leistungsbereit sein. Im Mitteltrab wechselt Sarah mit Barolo durch die ganze Bahn: „Der hat einen Gang drauf – der weiß genau, was er zu tun hat.“ Erschöpft, aber mit einem Lächeln im Gesicht steigt Sarah nach dem zweiten Ritt ab. „Ich glaube, die beiden waren sehr zufrieden mit dir, es hat sich keiner beschwert. Das hast du wirklich sehr schön gemacht“, lobt Trainerin Karla sie. „So kannst du weitermachen. Du bist immer mit viel Gefühl geritten, das gefällt mir sehr.“ Solch ein Lob von einer Grand-Prix-Trainerin zu bekommen war wohl der krönende Abschluss des Tages. Und wer weiß, vielleicht wird sie ja doch noch eine echte Hengst-Reiterin – passen würde es!

Fazit:
„Ich hatte wirklich 
Spaß und habe vieles dazu gelernt, obwohl es nur eine Reitstunde war. Ich finde es wichtig, dass man immer mal wieder andere Pferde reitet, weil man sonst nur noch mit dem eigenen Pferd zurechtkommt. Der Unterricht hat mir so gut gefallen hat, dass ich mit meinem eigenen Pferd mal zu Karla zum Training kommen werde.“