Ähnlich wie bei Menschen gelten für viele auch weibliche Pferde im Vergleich zu den männlichen als eher kompliziert. Während die einen nur eine Stute ihr Eigen nennen wollen, sind sie den anderen „zu zickig“. Dass wir aber besonders im Bezug auf die „Grandes Dames“ in der Pferdewelt immer wieder dazu neigen, zu vermenschlichen, erklärt Pferdepsychologin Daniela Bühler. Außerdem gibt sie Tipps, wie der Umgang mit Stuten in jeder Situation harmonisch sein kann
Text: Jessica Classen

Ich komme auf den Hof, das Tor quietscht leicht, und schon höre ich ein hohes Wiehern – das kann nur meine Stute sein. JedenTag, wenn ich komme, wiehert sie mir entgegen, obwohl sie mich noch nicht gesehen hat. Ich weiß nicht, woran sie mich erkennt, aber ich habe von anderen Einstallern und auch vom Stallbesitzer gehört, dass sie mich an meinem Gang erkennen muss, denn sie wiehert nur dann, wenn ich das Tor öffne. „Shadow geht auch immer circa eine halbe Stunde, bevor du kommst, in ihrer Box auf und ab“, erzählte mir vor einiger Zeit der Stallbesitzer. Dabei bin ich nie zu einer festen Zeit dort – mal früh morgens, bevor ich in die Redaktion fahre, dann wieder abends, wenn ich zurückkomme. Manchmal schaffe ich es recht schnell durch den Feierabendverkehr, an anderen Tagen stehe ich wiederum länger im Stau. Kurz: Es gibt für mich keine feste Uhrzeit, zu der ich am Stall bin. Und trotzdem scheint sie zu spüren, dass ich komme, und erwartet mich regelrecht. Bin ich dann einmal bei ihr, ist auch das Wie des Zusammenseins nie vorherzusehen: Mal ist Shadow sehr verschmust und läuft mir wie ein Hund hinterher; an anderen Tagen schaut sie nur, ob ich ihr etwas mitgebracht habe, und dann könnte ich eigentlich auch bereits wieder den Heimweg antreten, wenn es nach ihr ginge.
Aber genau das ist es, was das Zusammensein mit einer Stute für mich ausmacht: Ich weiß nie, was passiert, es ist immer spannend – einerseits passt sie immer auf mich auf, andererseits zeigt sie mir auch ganz klare Grenzen auf, ebenso wie ich mich ihr gegenüber verhalte. Unsere Beziehung beruht also auf gegenseitigem Geben und Nehmen und ist geprägt von Vertrauen. Wir spüren gegenseitig, was wir am jeweiligen Tag unternehmen können, und wann wir uns lieber gegenseitig in Ruhe lassen.

Les Grandes Dames

„Stuten zeichnen sich durch eine starke Persönlichkeit aus“, erklärt Pferdepsychologin Daniela Bühler, die selbst vier Stuten, einenHengst und mehrere Wallache besitzt. „Dabei diskutiert zunächst einmal jedes Pferd, wenn die Rangordnung nicht ganz klar gegeben ist. Das hat dann nichts mit zickig oder rossig sein zu tun, sondern ist ganz natürlich.“ Die Charakterstärke einer Stute macht sich dadurch bemerkbar, dass sie beispielsweise eine ganz individuelle Abneigung gegen Fellfarben hat und, obwohl sie rossig ist, den Hengst abschlagen kann. Stuten, die bei der Bedeckung schlechte Erfahrungen gemacht haben – beispielsweise durch zwanghafte Bedeckung außerhalb der Rosse – und dies dann mit Schmerzen und eventuell sogar mit Verletzungen verbinden, können zum Teil über längere Zeit kein Rosseverhalten zeigen. Das Rosseverhalten der Stute wird hormonell gesteuert und läuft weitestgehend reflektorisch ab. Auch wenn der Sexualzyklus hormonell gesteuert ist, kann die Stute das Verhalten trotzdem beeinflussen, und nicht jede rossige Stute zeigt ein typisches Rosseverhalten. „Stuten sind in der Lage, die Rosse hinauszuzögern oder sie sogar ganz zu unterdrücken“, erklärt die Expertin. „Pferde, die im Sport eingesetzt werden, werden häufig sogar extra gespritzt, damit sie nicht rossig werden. Andere Pferde wiederum, die im regelmäßigen Training sind, unterdrücken die Rosse von selbst, insbesondere dann, wenn das Training hart und schmerzhaft verläuft.“ Stuten erinnern sich aufgrund ihres Individualgedächtnisses daran, was das Beste für sie ist und handeln dementsprechend.

Besonderheiten im Training

Ich habe bei meiner Stute bisher nie bewusst gemerkt, dass sie rossig war – weder an ihremVerhalten noch beim Training. Trotzdem gibt es auch Stuten, denen man einen Stimmungswechsel ganz deutlich anmerkt, wie Daniela Bühler weiß: „Es gibt Stuten, die entwickeln in der Rosse Verhaltensauffälligkeiten, die sich in einem veränderten Umgang mit dem Menschen oder beim Reiten äußern können“, sagt sie. „Sie können dann natürlich widersetzlich sein – manche Stuten reagieren beispielsweise auf das Anlegen der Schenkel des Reiters mit breitbeinigem Stehenbleiben und Zurseitelegen des Schweifes.“ Das sind allerdings Ausnahmen, betont die Expertin zudem: „Wenn ich als Pferdebesitzer erkenne, dass die Stuten in einem Offenlaufstall vermehrt die Wallache oder auch Stuten aufsuchen, wenn sie keine andereMöglichkeit haben – eine erhöhte Kontaktbereitschaft zu allen Tieren oder auch dem Menschen kann vorkommen –, dann gilt es das Training anzupassen.“ Üben Sie an solchen Tagen mit Ihrer Stute keine neuen Lektionen, und machen Sie nichts, was ihr schwerfallen könnte. So gehen Sie jeder möglichen Diskussion mit ihr von vornherein aus dem Weg. „Stuten sind, ebenso wie wir Menschen und auch andereTiere, an manchen Tagen gut und an anderen schlecht gelaunt“, so DanielaBühler. „Das hat aber nichts damit zu tun, dass sie zickig sind. Ganz im Gegenteil: Die Bezeichnung „Zicke“ ist doch sehr vermenschlichend, und man wird keinem Tier damit gerecht, weil man unter Umständen sein Verhalten mit dem des Pferdes vergleicht. Damit würde man Pferden unterstellen, sie machten etwas bewusst; dies trifft aber auf keinen Fall zu.“ Ein Pferd zeigt nämlich angeborene und erlernte Verhaltensweisen, die im Kurz-und Langzeitgedächtnis je nach vorhandener Reizquelle abgerufen werden. Deshalb sollten wir uns von dem Gedanken trennen, Stuten seien „Zicken“ – sie sind charakterstark, und wir müssen lediglich lernen, damit umzugehen.