Das gab es noch nie: Der Wunschpferd-Termin wurde zum Familienausflug für die Schulten-Lauriens, denn alle drei hatten ein und denselben Wunsch: einmal einen Noriker reiten. Aber wo gibt es diese seltene Rasse in Deutschland überhaupt? Bei Erwin Borkenhagen in Büren, auf dem einzigen Norikergestüt der Bundesrepublik
Text: Jessica Classen; Fotos: Daniel Elke
Sie sind verhältnismäßig klein, sie sind schwer, es gibt sie in allen Farben, und vor allem sind sie eins: zuverlässig, gelassen und einfach nur zum Knuddeln – die Noriker. Kein Wunder also, dass Familie Schulten-Laurien sofort von dieser Rasse angetan war, nachdem sie durch Zufall auf sie aufmerksam geworden war. „Ich suche öfter spaßeshalber auf verschiedenen Portalen nach Verkaufspferden und dabei bin ich auf einen Noriker gestoßen“, erzählt Susanne Schulten-Laurien. „Die Rasse war mir bis dahin total unbekannt, und ich durchstöberte erst einmal das Internet nach weiteren Informationen.“ Einmal vom „Noriker-Virus“ erfasst, berichtete sie auch ihrem Mann Martin und ihrer Tochter Alina von dieser in Deutschland seltenen Rasse und infizierte so auch die beiden mit ihrer Begeisterung. Natürlich lag es da nahe, dass sie die Noriker auch einmal live sehen wollten. Susanne hatte daher die Idee, sich spontan bei der Redaktion von Mein Pferd für das Wunschpferd „Noriker“ zu bewerben. „Wir lesen das Magazin schon seit Jahren und kennen die Rubrik. Anfangs war ich trotzdem skeptisch, ob es überhaupt möglich ist, dass unser Wunsch in Erfüllung geht“, gesteht Martin. „Schließlich wollten wir auch noch alle drei teilnehmen, weil wir alle pferdebegeistert sind und gemeinsam zum Reiten gehen. Aber dass eine ganze Familie mitmachen darf, haben wir bisher noch nie gesehen.“ Doch versuchen kann man es ja mal.
Gelassenheit, wo man geht und steht
Der Himmel zieht sich zu, die Wolken verdichten sich und es sieht nach Regen aus, als wir auf dem Hof von Erwin Borkenhagen in Büren (NRW) ankommen. Er sagt uns, dass es laut Wetterbericht ab 14 Uhr regnen und vielleicht sogar ein Sturm aufziehen soll. „Von dem bisschen Wetter lassen wir uns aber nicht den Tag verderben“, sagt er. „Gehen wir erst einmal ins Haus und trinken einen Kaffee.“ Sicher? Schließlich sieht es nicht so aus, als hätten wir viel Zeit. Aber Erwin Borkenhagen scheint ebenso gelassen zu sein wie seine Pferde; denn obwohl die Zeit drängt, lädt er uns zum Kaffee ein, anstatt schnell zu satteln und loszureiten, bevor uns das Wetter einen Strich durch die Rechnung macht. „Frisch gestärkt reitet es sich einfach besser“, sagt er lachend. Bei der Gelegenheit erzählt uns der Hofbesitzer dann auch, wie er selbst auf den Noriker kam, dessen Merkmal das Aussehen des Tigerschecken ist. Diesen kann man aber leider nicht auf Kommando züchten. Hier liegt die Erfolgsquote bei gerade einmal 30 Prozent. Warum dies so ist, wissen auch die Wissenschaftler nicht und bezeichnen es als „Glücksspiel in der Zucht“. Für ErwinBorkenhagen ist vor allem der Charakter entscheidend. „Die Noriker sind schon eine tolle Rasse für sich. Und ursprünglich wollte ich gar nicht mehr züchten. Meine Familie hat früher bereits Warmblüter gezüchtet“, erzählt er. „Da ich aber die Zeit zum regelmäßigen Reiten mehrerer Pferde nicht hatte, wurde mir nahegelegt, ich solle doch Kutsche fahren“, erinnert sich Erwin Borkenhagen, „und so kam ich an ein Noriker-Gespann.“ Aber erst, nachdem ihn viele dazu gedrängt hatten, den Hengst kören zu lassen, rückte auch das Thema Zucht wieder vermehrt in den Mittelpunkt. „Und letztendlich ging es dann ganz schnell, und hier standen mal eben 25 Pferde auf dem Hof “, sagt er lachend. Ein Glück für das Trio aus dem Norden Deutschlands. „Anfangs bekommt Alina unser Pony Moritz, denn der Ritt wird etwas länger dauern“, erklärt Bea Borkenhagen, die Tochter des Stallbesitzers, die die drei im Gelände begleiten wird. „Wir werden zwar unterwegs auch immer wieder einige Yoga-Übungen auf dem Pferd machen, damit die Glieder nicht ermüden oder kalt werden, aber für eine Zwölfjährige könnte es trotzdem zu anstrengend werden, die ganze Zeit auf einemKaltblut zu sitzen – auch wenn sie sehr gemütlich zu reiten sind.“ Stellen Sie sich vor, Sie müssten über einige Stunden hinweg einen Spagat machen und spüren dabei auch noch einen Sattel und die Bewegung des Pferdes unter sich. Wie lange würden Sie diesen Ausritt wohl genießen? Susanne und Martin dagegen bekommen jeder einen Noriker, immerhin sind ihre Beine lang genug, um die Sehnen nicht durch Überdehnung zu belasten. Lola (13) und Lecce (14) werden sie durch die Bürener Landschaft tragen. Während Lola die gewünschte Tigerschecken-Maserung aufweist, ist Lecce pechschwarz. „Eigentlich sollte sie ‚Leche‘ geschrieben werden – das spanische Wort für Milch. Aber irgendwann wurde daraus Lecce“, erklärt Bea Borkenhagen. „Das passt aber ebenso gut, auch wenn sie schwarz ist, weil Lecce eine italienische Barockstadt ist und der Noriker vom Typus her dem Barockpferd ähnelt.“
Eure königliche Hoheit
Beim Ausritt machen die Noriker ihrem Beinamen „Königspferde“ alle Ehre, denn sie zeigen, dass sie nicht nur edel anzusehen sind, sondern ebenso mit schwierigem Gelände als auch mit Straßen oder Feldwegen zurechtkommen. Der Ritt führt die Gruppe zunächst im Schritt vom Hof über eine wenig befahrene, leicht ansteigende Straße. Rechts und links löst ein Familienhaus das nächste ab. Dann reiten die vier rechts in einen Weg hinein, und wie aus dem Nichts stehen plötzlich Felder und ein Wald vor ihnen; das Gehölz wird immer dichter und der Boden dabei immer steiler. Ob die schweren Kaltblüter das schaffen? Vermutlich werden sie sich wie eine Dampflok den Weg nach oben schnaufen und ihn nur mit Ach und Krach schaffen. Vor unserem geistigen Auge sehen wir bereits die Dampfwolken aus den Nasen kommen und in den Himmel steigen. „Für die Noriker ist das gar kein Problem, sie kennen das“, so Bea. „Schließlich müssen sie in ihrer ursprünglichen Heimat Österreich auch mit unwegsamen und hügeligem Gelände zurechtkommen. Einzig Alina muss mehr treiben, damit Moritz mit seinen kurzen Beinen auch mithalten kann.“ Wie auf Kommando stapfen Lola und Lecce den Weg voran und scheinen die körperlichen Anstrengungen kaum zu bemerken. „Es ist für mich ungewohnt, auf einem Kaltblut zu sitzen, weil ich immer Warmblüter geritten bin“, so Martin. „Darum bin ich froh, dass wir jetzt erst einmal ein gutes Stück im Schritt reiten, damit ich mich an das neue Gefühl gewöhnen kann. Immerhin habe ich nun nicht nur viel mehr Pferd unter mir, sondern auch ein Pferd, das einen völlig anderen Tritt hat.“ Der Schritt eines Norikers ist außergewöhnlich weich, und der Reiter spürt die Zugkraft, die dahintersteckt; auch der Trab ist sehr angenehm zu sitzen und nicht hart, wie man bei einer solch schweren Rasse vermuten würde. Der Weg führt die kleine Truppe nicht nur über Stock und Stein, sondern auch entlang der Wewelsburg, Deutschlands einziger Dreiecksburg in heute noch geschlossener Bauweise. Zwischen 1603 und 1609 wurde sie im Stil der Weser-Renaissance hoch über dem Almetal erbaut. Unter ihr fließt die Alme, in der die Noriker wieder einmal ihre Robustheit unter Beweis stellen: Während alle nur dick eingemummelt mit Handschuhen, Schal und Jacken hinausgehen, waten sie einfach durch den kalten Fluss. Lola und Lecce fangen sogar noch an zu planschen. Einzig Pony Moritz steht dem Ganzen skeptisch gegenüber und wagt sich nicht einmal in die Nähe des Wassers.
Bäumchen wechsle dich
Auf dem Rückweg tauschen Bea und Alina die Pony und Pferd: Während die Zwölfjährige sich auf einen vergleichsweise großen Noriker schwingt, bekommt Bea das Pony. „Das ist ja toll, auf einem Noriker zu sitzen“, ruft Alina. „Im Gegensatz zu eben fühle ich mich jetzt total groß.“ Hat Moritz manchmal seine Gattung „Pony“ gebührend vertreten und beispielsweise am Wasser seinen Sturkopf durchgesetzt, ist der Noriker gutmütig und trägt Alina überall hin, wo sie möchte. „Gutmütig und gelassen bedeutet allerdings nicht gleichzeitig willenlos“, erklärt Bea. „Selbst der Noriker testet immer mal wieder, wie weit er gehen kann, was der Reiter durchgehen lässt und was nicht. So muss er sich in manchen Situationen bei einem Noriker auch mal durchsetzen. Das ist ganz normal für jedes Pferd und nicht abhängig von der Rasse.“ Auf den letzten Metern zum Stall darf auch Alina ein Stück auf dem österreichischen Kaltblut traben und findet es wunderbar. „Für sie ist dieser Tag fast noch schöner, als er ohnehin schon für uns ist“, erklärt Martin. „Sobald Alina Pferde sieht, ist alles andere um sie herum vergessen.“ Und während die Eltern sich auf dem Hof noch mit dem Stallbesitzer über die ihnen bis heute unbekannte Rasse unterhalten, flitzt sie über den Hof und hilft dabei, die vier Pferde zu versorgen. Unter Beas Anleitung darf sie jedem Pferd die Hufe auskratzen, die Beine abbürsten und sogar jedes einzeln und ohne Sattel zu seiner jeweiligen Box reiten. Als die Pferde versorgt sind, gibt es doch tatsächlich noch Regen. Umso mehr freuen sich alle, als es noch einmal in die warme Stube von Familie Borkenhagen geht und der Tag bei Kaffee, Tee und selbst gemachten und noch warmen Mutzen ausklingen kann. „Es ist einfach ein rundum gelungener Tag gewesen, und wir sind überglücklich, dass wir diese Erfahrung machen durften“, so die Familie Schulten-Laurien.
Fazit der Familie: „Das war einfach mal etwas vollkommen anderes! Wir sind es gewohnt, Warmblüter zu reiten. Nicht nur, dass die Noriker gelassener auf viele Situationen reagiert haben, wir hatten auch einfach viel mehr Pferd unter uns als sonst. Es war ein ungewohntes, aber absolut tolles Gefühl. Wenn die Anfahrt nicht so weit wäre, würden wir viel öfter herkommen, um hier reiten zu können.“