Text: Nora Dickmannn          Foto: Wikimedia/ John Dando

Er lebte Ende des 16. Jahrhunderts in England und war das einzige Pferd, welches je den Turm der Old Saint Paul’s Cathedral in London erklommen hat

Geboren wurde Marocco im 16. Jahrhundert in Staffordshire bei seinem Besitzer William Banks, der zunächst vermutlich für den Earl von Essex arbeitete. Benannt wurde das Tier nach einer damals gebräuchlichen Sattelform. Nachdem Banks seinen Besitz in Staffordshire verkauft hatte, ließ er das Pferd beschlagen und zog mit ihm nach London. Gemeinsam führte das Paar Vorführungen vor, bei denen Marocco auf zwei oder vier Beinen tanzte, sich tot stellte oder bestimmte Personen auf Befehl aus dem Publikum holte. Ein weiterer Trick, den Marocco beherrschte, war das devote Verneigen vor der Königin von England, aber gleichzeitig eine wütende Reaktion zu provozieren, sobald der Name des spanischen Königs fiel.

Auch konnte das Pferd Geld zählen. Auf diesen Trick ging angeblich auch William Shakespeare in „Verlorene Liebesmüh“ herein, wo er das Tier das „dancing horse“ nannte. Diese Bezeichnung wurde in Bezug auf Marocco viel genutzt. Marocco machte sich in der Literatur einen Namen. Ende der 1595er Jahre erschien „Maroccus Extaticus; or, Bankes Bay Horse in a Trance“, in dem ein Dialog zwischen William Banks und Marocco veröffentlicht wurde. Wer dieses Werk geschrieben hat, ist unklar. 
Mit seinem Pferd verdiente William Banks viel Geld. Er zog in ein Quartier im Bell Savage Inn bei Ludgate Hill und konnte so die Auftritte in einem extra dafür errichteten Gebäude in der heutigen Gracechurch Street vorstellen. Es kam sogar so weit, dass ein Musiker das Publikum zwischen den Auftritten des Pferdes unterhielt. Der zeitgenössische Dichter John Bastard schrieb einige Zeilen über die Vorstellungen des Tieres: „Bankes has a horse of wondrous qualitie, for he can fight, and pisse, and daunce, and lie, and find your purse, and tell what coyne ye have …“ Damit es pinkeln konnte, ließ Banks das Pferd vorher eine große Menge Wasser trinken. Auch wenn John Bastard amüsiert schien, kam dieser Trick nicht beim ganzen Publikum gut an und wurde auch nicht mehr aufgeführt. 
In der Zeit, in der das Paar auftrat, gingen die Menschen davon aus, dass Mensch und Pferd miteinander kommunizieren konnten und dabei auch Hexerei im Spiel sei. Zwischen 1595 und 1597 bereisten Banks und Marocco viele englische Städte und traten dort auf. Es kam nicht selten vor, dass die Zuschauer sich fürchteten, weil sie an die Anwesenheit höherer Mächte glaubten. 
Als das Paar Ende der 1590er Jahre nach London zurückkehrte, mussten sie feststellen, dass die Konkurrenz durch abgerichtete Tiere größer geworden war. Um Mithalten zu können, überlegte Banks sich einen neuen Trick: Marocco sollte das erste und einzige Pferd sein, dass den Turm der Saint Paul’s Cathedral erklomm. Gesagt, getan: Im Februar 1601 gelangte das Pferd über das Treppenhaus des Turmes auf das Dach, wo eine akrobatische Vorführung stattfand. Danach stieg es auf dem selben Weg wieder hinab.

Im März 1601 reiste William Banks mit Marocco auf das europäische Festland und ließ sich im Lion d’Argent in der Rue Saint Jacques in Paris nieder. Das Pferd trat in Frankreich unter dem Namen „Monsieur Moraco“ auf und hatte dort den gleichen großen Erfolg wie in England. Die bisherigen Tricks wurden um einige Details erweitert. Banks ließ nun das Publikum glauben, Marocco könne sogar mit verbundenen Augen Geld zählen und kenne den aktuellen Kurs für die goldenen Écus. Das ging jedoch zu weit: Banks wurde verhaftet. Man warf ihm Zauberei vor. Er musste dann beweisen, dass Maroccos Handlungen nur auf ein sorgfältiges Training zurückzuführen waren und das Tier die Anweisungen über kaum sichtbare Zeichen erhielt. 
Nachdem Banks und Marocco weitere Städte Frankreichs bereist hatten, verläuft ihre Spur zunehmend im Sand. Die letzte sicher datierbare Erwähnung eines Auftritts stammt aus dem April 1605. Damals war Marocco am Hof des Fürsten Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel zu sehen.