Text: Nicole Audrit     Foto: Daniel Elke

Vollblüter sind hektisch, unreitbar und verrückt – das sind nur einige von sehr vielen Vorurteilen, die in Bezug auf die schnellen Pferde in der Reiterwelt kursieren. Anke Dahlhaus (www.libertyshome.com) zeigt, dass aus ehemaligen Rennpferden tolle Freizeit- und Reitpferde werden können.

Mit bis zu 70 Stundenkilometern galoppieren die Vollblüter während eines Rennens über die Bahn – das schnellste Pferd gewinnt. Bereits im Alter von anderthalb Jahren beginnt für Rennpferde das Training, durchschnittlich laufen die Tiere dann bis zu einem Alter von zehn Jahren im aktiven Sport. Viele werden allerdings schon früher, teilweise bereits im Alter von drei Jahren, aus dem Sport genommen. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Gesundheitliche Probleme, Verhaltensauffälligkeiten oder schlichtweg mangelnder Erfolg. Nach der Karriere auf der Rennbahn gibt es für die meist noch sehr jungen und größtenteils gesunden Vollblüter drei Möglichkeiten: Sie gehen in die Zucht, werden zum Reitpferd umgeschult oder dienen als Lehrpferd für junge Rennpferde. Entgegen der weit verbreiteten Annahmen landen allerdings nur wenige Vollblüter beim Schlachter. Vielen Besitzern und Trainern ist stattdessen daran gelegen, ein gutes Zuhause für ihre Schützlinge zu finden – schließlich haben sie gemeinsam Zeit verbracht und eventuell große Erfolge gefeiert. Damit Stuten und Hengste in die Zucht gehen können, benötigen sie eine sehr erfolgreiche Abstammung oder müssen eigene, große Erfolge aufweisen können. Übrig bleiben somit viele junge und gesunde Vollblüter, die keine Zukunft auf der Rennbahn haben und somit auf der Suche nach einer zweiten Karriere sind.

Junge Frührentner auf der Suche nach einer zweiten Karriere

Eine solche Karriere möchte Anke Dahlhaus diesen „Frührentnern“ bieten – als Reitpferd für (ambitionierte) Freizeitreiter. Im Alter von elf Jahren kam die heute 50-Jährige erstmals mit einem Rennpferd namens ­Laurel in Kontakt. Diese Faszination hat sie seitdem nicht mehr losgelassen. Im Frühjahr 2017 eröffnete sie „Liberty’s Home“, eine Anlage für die Umschulung von ehemaligen Rennpferden zu Reitpferden, Pre-Training, Erholung und Rekonvaleszenz. Außerdem bietet Dahlhaus interessierten Menschen die Möglichkeit, die Rasse „Vollblut“ und deren Besonderheiten besser kennenzulernen und unterstützt auch gerne bei der Suche bzw. Vermittlung von ehemaligen Rennpferden.In England und Frankreich ist es schon gang und gäbe, dass Rennpferde nach ihrer sportlichen Karriere von professionellen Trainern zu Reitpferden umgeschult werden. Hierzulande leider bisher noch nicht. Die vielseitigen Vollblüter sind dabei für nahezu jede Sparte des Reitsports geeignet: Dressur, Springen, Vielseitigkeit, Distanzreiten, Polo, teilweise für den Westernbereich und natürlich für den ambitionierten Freizeitreiter. Trotzdem halten sich viele Vorurteile in Bezug auf die Vollblüter hartnäckig: von verrückten und hektischen Pferd ist oft die Rede, viele nennen sie unkontrollierbar oder sogar unreitbar. Um ein positives Image des Vollblüters in der Öffentlichkeit zu generieren, ist es wichtig, dass die Umschulung eines Rennpferdes unbedingt von erfahrenen Trainern gehandhabt wird – ansonsten werden die Vorurteile leider manchmal wahr. „Eine professionelle Umschulung ist die Basis für eine Grundausbildung als Reitpferd. Ansonsten leidet häufig der Ruf der Vollblüter, wenn diese in falsche – teils unerfahrene – Hände geraten und das Training dann nicht funktioniert“, so Anke Dahlhaus. „Ich persönlich finde, dass es nicht sinnvoll ist, wenn ein Rennpferd direkt von der Bahn an einen Freizeitreiter vermittelt wird. Häufig hat dieser noch wenig bis keine Erfahrung mit Vollblütern gemacht, weshalb ihm auch das Wissen um die Besonderheiten fehlt. Sowie die Erfahrung, um mit den Eigenheiten der Pferde umgehen zu können. Projekte wie „Next Chance“ vom Verband German Racing sind ein Anfang und dadurch haben die Voll­blüter viel positive Publicity bekommen. Ich würde mir wünschen, dass alle Vollblut-Fans, der Verband, Trainer und Besitzer an einem Strang ziehen, um ein positives Bild des Rennsports und der Vollblüter im Allgemeinen zu erzeugen – im Sinne der Pferde.“Leider geraten Rennpferde häufig in die falschen Hände. Die Verlockung, ein günstiges Pferd zu bekommen, ist oft zu groß: Einen gesunden Vollblüter erhält man bereits für 2.000 bis 3.000 Euro direkt von der Rennbahn, ein Tier mit akutem Sehnenschaden bereits für um die 500 Euro. „Ein Sehnenschaden hört sich für viele Reiter nach einem Ausschlusskriterium an. Aller­dings kenne ich viele Fälle, in denen ein Pferd nach der Ausheilung des Sehnenschadens im Freizeitbereich wieder voll belastbar war – eventuell nur ohne Springen. Schließlich kann man die Belastungen im Freizeitbereich nicht mit den extremen Anforderungen eines Sprint auf der Rennbahn vergleichen“, erklärt Anke Dahlhaus. Die Verlockung eines schnellen Kaufs ist groß, allerdings können die Pferde dadurch auch leicht zu einer Art Problempferd werden, wenn man nicht mit ausreichend Erfahrung und Kenntnis – auch im Bezug auf die ­Eigenheiten und Besonderheiten der Rasse – an die Umschulung herangeht. Das bedeutet, dass die Probleme häufig hausgemacht sind und aus Unwissenheit entstehen.

Umschulung mit Hindernissen

Für die Umschulung eines ehemaligen Rennpferdes bedarf es in erster Linie Zeit, Geduld und Durchsetzungsvermögen. Bis zu zwölf Monate kann der Prozess dauern. Wer die Mühen und den Aufwand jedoch nicht scheut, wird mit einem leistungsbereiten und treuen Freizeit- oder Sportpartner belohnt. Zwar haben Galopprennpferde auf der Bahn bereits einen Jockey getragen, das lässt sich jedoch nicht mit „richtigem Reiten“ vergleichen. Rennpferde müssen nach ihrer Karriere auf der Bahn ein komplett neues Leben kennenlernen – sowohl was das Training angeht, als auch die Haltung und Fütterung. Trotzdem kann man ehe­malige Rennpferde nicht mit ­rohen ­Jungpferden vergleichen, erklärt Anke Dahlhaus: „Unabhängig vom Alter und dem Zeitpunkt ihres Karriereendes auf der Rennbahn haben diese Pferde bereits eine Ausbildung hinter sich. Auch wenn diese nicht zu den Anforderungen eines Reitpferdes passt und ­zunächst verschiedene Verhaltensbestandteile abgewöhnt werden müssen, beispielsweise das blitzartige Angaloppieren beim Start.“ Je mehr Wissen der neue Besitzer eines ehemaligen Rennpferdes zum Galoppsport und zum individuellen Pferd hat, desto besser gelingt die Umschulung. Der Besitzer sollte sich auf jeden Fall über den Alltag eines Rennpferdes informieren, um auf die Besonderheiten im Umgang und Training entsprechend vorbereitet zu sein und reagieren zu können.Das Training während der Umschulung zum Reitpferd basiert auf folgenden Säulen: Umgang, Haltung und Fütterung, Training vom Boden und vom Sattel aus. Da Vollblüter auf einen großen Vorwärtsdrang gezüchtet wurden und diesen auf der Rennbahn und im Training auch immer ausleben konnten, ist es während der Umschulung enorm wichtig, sie auch körperlich zu beschäftigen – beispielsweise durch Longenarbeit und Reiten. Daneben nimmt auch die geistige Beschäftigung der Tiere eine große wichtige Rolle in der Umschulung ein: Durch Bodenarbeit wird nicht nur das Vertrauen zum Menschen gefördert, sondern auch am Körpergefühl und der Balance gearbeitet. Das funktioniert zum Beispiel sehr gut durch Stangenarbeit oder Dual-Aktivierung.

…den gesamten Artikel finden Sie in der März-Ausgabe.