Text: Julia Schay-Beneke       Foto: slawik.com

Jahrzehntelang ging es in der Forscher-Community hoch her. Die einen waren und sind ­davon überzeugt, dass der Charakter und die daraus ­resultierenden Verhaltensweisen eines ­Menschen in seinem Erbgut unwiderruflich angelegt sind. Es ist ohnehin vorbestimmt, ob wir helle oder dunkle Haare haben, groß oder klein werden, zu Sommersprossen im Gesicht neigen oder nicht. Und genauso sei es festgelegt, ob wir intro- oder extravertiert, ängstlich oder mutig, neugierig oder abwartend sind. Die anderen sind sich ­sicher, dass unsere Persönlichkeit in erster Linie von der Umwelt beeinflusst wird, also ständig im Wandel ist und abhängig von den Erfahrungen, die wir machen. Mittlerweile ist man sich ­relativ sicher, dass sowohl die Gene als auch das soziale Umfeld eine ähnlich wichtige Rolle bei der Persönlichkeitsentwicklung spielen. So sind, das ist unbestritten, bestimmte Charakterzüge in uns angelegt. Aber unsere Umwelt und unsere Erfahrungen können diese Charakterzüge im Laufe unseres Lebens in eine ­bestimmte Richtung steuern.

Wenn man diese Diskussion nun auf unsere Pferde überträgt, fragt man sich unweigerlich, ob es sich mit ihren individuellen Persönlichkeitsmerkmalen ähnlich verhält. Steht schon vor der Geburt fest, ob ein Pferd schreckhaft oder gelassen ist? Und wie wirkt sich die Haltung – im Offenstall oder in der Paddock-Box – auf seinen ­Charakter aus? Wie beeinflussen Tierart, Rasse und Geschlecht die Eigenschaften eines Pferdes?

Ein Pferd bleibt immer ein Pferd

Fakt ist: Jedes Pferd ist zunächst einmal evolutionsbiologisch Fluchttier, Pflanzenfresser und Herdentier. „Ebenso wie j­eder Mensch von der Natur für bestimmte Handlungsmuster und Denkweisen vorgesehen ist, ist auch das Pferd Produkt seiner Evolution als Pferd“, erklärt Marlitt Wendt, Verhaltensbiologin aus Großhansdorf (Schleswig-Holstein). In ihrem Blog www.pferdsein.de beschäftigt sie sich intensiv und wissenschaftlich mit dem Wesen der Pferde und ihren Unterschieden gegenüber den Menschen und nutzt dafür die Methoden der Angewandten Pferde-Ethologie. Sie ist überzeugt: „Ein Pferd wird immer auch von den ganz ursprünglichen Reak­tionsmustern beeinflusst bleiben, welche die Tierart Pferd erst so erfolgreich im ­biologischen Sinn gemacht hat.“

Auch für Herdis Hiller, Pferdepsycho­login aus Langwedel (Schleswig-­Holstein), stehen am Anfang jeder Beschäftigung mit der Persönlichkeit eines Pferdes die Eigenschaften seiner Art. Von dieser Grund­lage aus kommen weitere Kriterien hinzu. „­Natürlich gibt es bei Fluchttieren deutlich mehr vorsichtige Persönlichkeiten als bei reinen Raubtieren“, erklärt sie. „Wenn wir aber von der Art einmal absehen und auch Rasse und Geschlecht subtrahieren, ist die Persönlichkeit das, was individuell und einzigartig ist – das, was übrig bleibt und die einzelnen Individuen unterscheidet.“ So sei der Umstand, dass ein Pferd flüchtet, kennzeichnend für seine Art (Fluchttier), aber nicht für seinen Charakter. Der Zeitpunkt, ab wann ein Pferd flüchtet, also ob es sehr ängstlich ist und sofort Reißaus nimmt oder ob es eher erst mal abwartet und neugierig ist, sei wiederum Teil seiner Persönlichkeit.

… die gesamte Titelstory – inklusive der verschiedenen Persönlichkeitstypen der Pferde – finden Sie in der Mai-Ausgabe.