Text und Foto: Ilja van de Kasteele

Pferde lieben saftiges Grün. Ginge es nach ihnen, wäre das lästige Anweiden zu Beginn der ­Weidesaison überflüssig. Conny Röhm, Expertin für Pferdefütterung, erklärt im Interview, ­warum die Pferde langsam an Gras gewöhnt werden müssen und welche Gefahren ihnen sonst drohen.

Mein Pferd: Warum muss man Pferde überhaupt anweiden? Sie sind doch seit Jahrmillionen Grasfresser.

Conny Röhm: Das stimmt so nicht. Pferde sind keine Grasfresser, sondern Raufutterfresser, das heißt, sie fressen im natürlichen Lebensraum Buschzeug, harte Gräser etc. Sie müssen angeweidet werden, weil sie Fermentationsverdauer sind. Das bedeutet: Ein großer Teil ihrer Energieversorgung ist abhängig von ihrer Darmflora. Einen sprunghaften Wechsel von Heu auf Gras verkraftet ihre Darmflora nicht besonders gut. Spontane Futterwechsel gibt es in der Natur nicht. Die Darmflora muss sich langsam auf den Futterwechsel einstellen können.

Was passiert im Pferdedarm, wenn die Pferde im Frühjahr wieder auf die Weide kommen und nicht angeweidet werden?

Kirmes. Die Darmflora würde sich sprunghaft verändern. Große Teile der vorhandenen Bakterien sterben ab, andere dagegen wachsen neu, um das veränderte Futter verdauen zu können. Im besten Fall geht alles gut. Im schlimmsten Fall kommt es nach etwa 20 Stunden zu einer Kolik, zu Vergiftungserscheinungen oder sogar zu einer Hufrehe. Die Pferde gasen auf und es entsteht eine Darmazidose (Darmübersäuerung).

Gibt es Gräser, die besonders kritisch sind für Pferde?

Nein. Die Menge macht das Gift. Es gibt Gräser, die zu bestimmten Zeitpunkten zu viel Fruktan haben, zum Beispiel Deutsches Weidelgras. Das ist nicht per se giftig, sondern erst mal nur eine Speicherform von Kohlenhydraten, mit der das Pferd nichts anfangen kann. Es kommt immer auch darauf an, was das Pferd tut. Bei einem ­Wanderreitpferd, das über Nacht auf der Koppel ist, sind die Hochleistungsgräser wie das Deutsche Weidelgras zum Beispiel nicht problematisch, bei einem Freizeitpferd, das dreimal die Woche für eine Stunde auf dem Platz geritten wird, dagegen schon.

Weidelgras würde ich nicht generell verdammen, es hat Vorteile: Zum einen ist es ein Spätblüher, ist recht ertragsstabil und wurzelt extrem dicht. Klar hat es sehr viel Zucker und Eiweiß, was aber für schwerfuttrige Pferde oder Pferde, die viel arbeiten, vorteilhaft ist. Als Monokultur ist Weidelgras trotzdem nicht gut. Die ideale Pferde­weide ist artenreich: 30 Prozent Kräuter, 70 Prozent Gräser. Sie muss allerdings entsprechend gepflegt und darf nicht bis auf die Grasnarbe abgenagt werden. Das überlebt meist eben nur das Weidelgras. Die Überweidung von Pferdeweiden ist ein großes Problem geworden. Denn überweidete ­Flächen werden immer artenärmer.

 

Unsere Expertin: Conny Röhm leitet die ­größte unabhängige wissen­schaftliche Beratung für ­Pferdeernährungs- und ­Gesundheitsfragen in Deutschland sowie das Tierwissenschaftliche Institut und bildet Profis im Pferdeernährungs­bereich aus. Als Referentin und Dozentin hält sie Vorträge und Seminare für Pferdebesitzer, Stallbetreiber, Therapeuten und Tierärzte. Als Expertin und Autorin berät und schreibt sie für namhafte Fachzeitschriften zu Fragen der Ernährungs- und Trainingslehre. Sie studierte und lebte einige Jahre in den Niederlanden und England und graduierte zum MSc Equine Science an der renommierten University of Essex. www.futterberatung-roehm.de

…das gesamte interview sowie eine Giftpflanzen-Übersicht finden Sie in der aktuellen Mein Pferd-Ausgabe.

 

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