Text: Nicole Audrit       Foto: Slawik

Eine Stallkollegin füttert nur Heu und Hafer, während eine andere einen kompletten Schrank mit Zusatzfuttermittelchen hat. Welcher ist der richtige Weg? Gibt es überhaupt einen pauschalen Ansatz? Die Fütterung von Pferden ist genauso individuell wie die Ernährung beim Menschen. Von der bedarfsgerechten Pferdefütterung ist sehr viel abhängig: die Gesundheit, die Leistungsbereitschaft und auch das seelische Wohlbefinden des Pferdes. Dabei unterscheidet sich die heutige Fütterung von der früheren, da es mittlerweile neue Erkenntnisse und auch neue Produkte gibt.

Früher gab es eine Faustformel für die Heumenge – 1,5 Kilo Heu pro 100 Kilo Körpergewicht des Pferdes –, und das Pferd bekam noch ein bis zwei Schippen Hafer. Mittlerweile ist man jedoch auf dem Stand, dass die Fütterung individuell angepasst werden muss. Viele Parametern fließen in die Rationsberechnung des einzelnen Pferdes mit ein: Dazu gehört die Rasse, die Leistungsanforderungen und der Allgemeinzustand. „Faustformeln verändern sich mit der Zeit und sind nicht praktisch umsetzbar, da es so zu Unter- oder Überversorgungen kommen kann“, stellt die unabhängige Futterberaterin Jasmin Sander fest. Um eine artgerechte und bedarfsgerechte Fütterung zu erreichen, muss das ursprüngliche Fressverhalten des Pferdes beachtet werden: In freier Wildbahn sind Pferde bis zu 18 Stunden täglich in Bewegung und nehmen dabei permanent Nahrung auf. Das Verdauungssystem des Pferdes ist auf eine permanente Nahrungsaufnahme ausgelegt, daher ist ein Ernährungsplan mit zweimal täglich Heu und dreimal täglich Kraftfutter eher ungeeignet. Allerdings passt der Verdauungsablauf von Pferden nicht zu diesem Plan, da in den Fresspausen weiter Verdauungssäfte – unter anderem Magensäure und Gallensaft – produziert werden. Ohne Nahrung kann das schnell zu Magen- und Darmproblemen führen und damit zum Leistungsabfall. „Die Raufuttermenge sollte daher über den gesamten Tag und die Nacht verteilt werden, so dass keine großen Fresspausen entstehen“, rät Jasmin Sander.

Raufutter ist und bleibt die Basis

Jedes Pferd, egal ob dünn oder dick, benötigt ausreichend Raufutter. Zu diesem Grundfutter zählen Heu, Stroh, Heulage und dünne Äste. Die enthaltenen Ballaststoffe sind für die Verdauung des Pferdes unverzichtbar. Heu ist jedoch nicht gleich Heu: Fürs Auge sichtbar sind die Unterschiede in Struktur, Farbe und Geruch. Bei der Beurteilung des Heus werden die Abweichungen von Qualität und Energiegehalt nicht offensichtlich, daher würde sich eine jährliche Heuanalyse eignen. Bei jeder Art von Futtermittel muss selbstverständlich immer auf sehr gute ­Qualität geachtet werden: Heu sollte staubarm und frei von Schimmelpilzsporen sein, da diese schnell zu Atemwegs­erkrankungen führen können.

Aufgrund des ursprünglichen Fressverhaltens erscheint Heu ad libitum (24 Stunden zur freien Verfügung) als die einzige Lösung. Von Vorteil wäre, dass der Verdauungstrakt immer etwas zu verstoffwechseln hätte. Heu ad libitum ist laut Jasmin Sander nur bedingt zu empfehlen, „da es immer auf das individuelle Heu und dessen Inhaltsstoffe ankommt. Wirklich empfehlenswert hingegen ist Raufutter ad libitum, dazu gehören unter anderem verschiedene Heusorten, Luzerneheu, Strohsorten, feine Äste und Sträucher“. Bei unbegrenztem Heu, das von Hochleistungswiesen mit hohem Energiegehalt stammt, kommt es schnell zu einer Überversorgung. In der Praxis bietet sich daher die rationierte Heufütterung an: In Boxenhaltung ist diese einfach durch Raufen oder Netze umzusetzen. In der Herdenhaltung bieten sich Fütterungsgeräte an, so kann das Pferd seinem natürlichen Fressverhalten als Lauftier nachkommen, ohne dabei ein Übermaß an Heu zu sich zu nehmen. Pferde erreichen ihr Sättigungsgefühl nicht nur durch das Volumen des Futters, sondern durch die Anzahl an Kauanschlägen. Somit ist es nicht effektiv, wenn man einem zu dickem Pferd das energiereiche Heu rationiert. Besser wäre eine Vermengung mit Stroh, damit das Pferd dieselbe Menge an Raufutter aufnimmt, ohne dabei ein Übermaß an Energie zu sich zu nehmen. Jedoch sollte Stroh höchstens ein Drittel der Gesamtraufutterration darstellen. Stroh ist ein oftmals vergessener Raufutterlieferant: Seine hohe Ballaststoffdichte, kombiniert mit wenigen Nährstoffen, beschäftigt das Pferd länger, ohne dass es über seinen Grundbedarf kommt.

Wann ist ein Pferd satt?

Als ursprüngliche Lauf- und Steppentiere sind Pferde nahezu permanent mit Fressen beschäftigt. Das stundenlange Kauen trägt sowohl zur seelischen als auch körperlichen Gesundheit bei. Das Sättigungsgefühl bei Pferden unterscheidet sich von dem von Menschen, manchmal hat man auch das Gefühl Pferde haben immer Hunger. Im Magen des Pferdes befinden sich keine Dehnungsrezeptoren. Somit entsteht das Sättigungsgefühl bei Pferden nicht durch das aufgenommene Futtervolumen, sondern durch die Anzahl der Kauanschläge, die zwischen 35.000 und 60.000 liegt. Damit Pferde gesättigt sind, ist Raufutter notwendig. Frühere Faustformeln für die Berechnung des Raufutterbedarfs orientierten sich lediglich am Volumen. Jasmin Sander erklärt allerdings: „Ein Richtwert der Raufütterung kann anhand der Appetitgrenze des jeweiligen Pferdes, der Sättigung durch Dickdarmfüllung und der Kauanschläge des Pferdes gestellt werden. Je schmalrippiger ein Pferd ist, desto kleiner ist der Verdauungstrakt und desto schneller der Verdauungsablauf. Daher erreichen solche Pferd eher ein Sättigungsgefühl.“ Raufutter ist die Grundlage für die Pferdeernährung, eine Unterversorgung kann zu Magenschmerzen und Verhaltensproblemen – Aggressionen, Koppen – führen. Jasmin Sander führt die Folgen eines Raufuttermangels aus: „Durch die Unterversorgung mit Raufutter entsteht automatisch ein Hungergefühl beim Pferd, darauf folgt eine Art Kettenreaktion: Stress löst zunächst ein verändertes Fressverhalten und dann psychische Probleme aus, da Fressen einen Großteil der Beschäftigung ausmacht. Daraus entstehen Verhaltensauffälligkeiten, Leistungsabfall und Abnahme der Muskulatur. Schlussendlich kommt es zu Magen-Darm-Problemen – beispielsweise der Übersäuerung des Magens und entzündlichen Prozessen – und zu einer Unterversorgung durch eine gestörte Nährstoffaufnahme, die in einer krankhaften Abmagerung mit teilweise noch bestehenden Fettpolstern endet.“

…den kompletten Artikel finden Sie in der September-Ausgabe der Mein Pferd.