Text: Anna Castronovo         Foto: imago/Frank Sorge

Lahmt das Pferd, ist der Schreck erst mal groß. Das Feld der Ursachen ist riesig, und die möglichen Folgen sind zunächst nicht abzusehen. Das Wichtigste, um das Pferd möglichst bald wieder lahmfrei zu bekommen, ist eine umfassende Diagnostik.

Kennen Sie die Sprüche von der Bande auch? „Der läuft irgendwie unrund.“ Oder: „Ja, der tickt doch hinten links.“ Und: „Nein, der lahmt vorne rechts.“ Oder: „Ich glaube, das kommt von oben.“ Jeder sieht etwas anderes, und der Schreck ist erst mal groß. Denn eine Lahmheit kann immer auch ein schwerwiegendes Problem bedeuten, welches das Pferd für längere Zeit aus dem Verkehr zieht oder der Karriere als Reitpferd sogar ein Ende setzt – Stichwort Sehnenschaden, zum Beispiel. Da kommen bei den Besitzern schnell große Ängste auf. Es kann aber auch sein, dass sich das Pferd einfach nur angehauen oder vertreten hat.

Tatsächlich ist es sehr schwer für einen Laien, eine Lahmheit zu beurteilen. Einfacher ist es noch, eine Unregelmäßigkeit an den Vordergliedmaßen zu erkennen. Das Pferd fällt dann nämlich immer auf das gesunde Bein. Der Kopf wird angehoben, wenn das schmerzhaftes Bein aufsetzt und gesenkt, wenn das gesunde aufsetzt – das Pferd sagt also „Ja“ zum gesunden Bein.

Bei der Hinterhand wird es schon deutlich schwerer. Hier ist die Kruppenbewegung ein Indiz: Auf der Seite des schmerzhaften Beins zeigt sich ein deutlicheres Absenken der Kruppe und eine Art „Hüpfen“ – die schmerzhafte Seite bewegt sich mehr. In beiden Fällen gilt: Die umfassendste Diagnose kann sicherlich ein guter Tierarzt vornehmen. Aber muss der Doc wirklich immer sofort kommen?

Wann muss der Tierarzt kommen?

„Zeigt das Pferd im Trab eine akute geringgradige Lahmheit, geht aber im Schritt lahmfrei, kann man es zunächst einige Tage Schritt führen und beobachten, ob die Lahmheit wieder verschwindet“, sagt der Fachtierarzt für Pferde und Orthopädie der Pferde, Dr. Mark Kaminski. Tatsächlich bessern sich viele Lahmheiten von selbst nach kurzer Zeit. „Geht das Pferd aber hochgradig lahm oder lahmt es auch im Schritt, sollte man umgehend den Tierarzt holen.“ Denn nur der Fachmann kann zweifelsfrei erkennen, woher die Lahmheit kommt.

Wichtig ist auch die Unterscheidung, ob die Lahmheit plötzlich und mit relativ großer Heftigkeit aufgetreten ist – dann ist sie vermutlich Folge eines Sturzes, Schlages oder Tritts – oder ob es sich um einen langsam einsetzenden, unklaren Prozess handelt. Gang-Anomalien sollte man auf jeden Fall ernst nehmen und ihnen auf den Grund gehen, denn sie sind in der Regel ein Zeichen von Schmerz – und Pferde können nicht simulieren. Was sie aber sehr wohl können, ist Schmerz verstecken. Und zwar aus einem einfachen Grund: Das Pferd ist von seiner Evolution her ein Beutetier und möchte daher keine Krankheit oder Schwäche zeigen, die es zu einem bevorzugten Opfer machen würde. „Zudem sind Pferde sehr gut darin, Schmerzen zu kompensieren“, erklärt Dr. Kaminski. Ein Beispiel: „Wenn einem Pferd das linke Vorderbein wehtut, wird es sein Gewicht vermehrt auf das rechte Vorderbein verlagern und seine Rückentätigkeit verändern, um den Schmerz gleichmäßig zu verteilen. Für ein Pferd ist Kompensation lebensnotwendig.“ Die Herausforderung bei solchen schleichenden Prozessen ist es also, bereits frühzeitig versteckte und subtile Anzeichen von Lahmheit zu erkennen.

Übrigens haben Pferde auch kein Schmerzgedächtnis. „Es wird immer wieder argumentiert, das Pferd würde sich an einen früheren Schmerz erinnern“, sagt der Fachtierarzt. „Doch das kann es gar nicht.“ Auch wenn die Begriffe „zügellahm“ oder „natürliche Schiefe“ fallen, liegen seiner Erfahrung nach meist echte Lahmheiten vor.

… den kompletten Artikel lesen Sie in der Ausgabe 8/2020.