Text: Nicole Audrit    Foto: Daniel Elke

Zahnschmerzen sind fies – nicht nur für den Menschen, sondern auch fürs Pferd. Haken, Kanten oder Höhenunterschiede in der Kaufläche können sowohl die Rittigkeit als auch den Allgemeinzustand des Pferdes negativ beeinflussen. Daher ist eine regelmäßige Kontrolle und gegebenenfalls eine Behandlung durch einen Fachmann Pflicht.

Wildpferde leben in Freiheit ohne jemals von einem Hufschmied oder Zahnarzt behandelt zu werden. Allerdings ­haben sich die Lebensumstände – sowohl Haltung als auch Fütterung – durch die Domestizierung immens geändert. Die Zähne eines Pferdes sind auf eine permanente Nahrungsaufnahme von faserigen und holzigen Substanzen ausgelegt. Aufgrund der heutigen Haltungsform und Fütterung werden die Zähne jedoch anders beansprucht und abgenutzt als bei den wildlebenden Artgenossen. Daraus entstehen Probleme in Form von ­Haken, Spitzen und Kanten oder zu langen Frontzähnen. „Generell begünstigt eine naturnahe und artgerechte Fütterung mit einem großen Raufutterangebot den ­natürlichen Zahn­abrieb und ist somit die beste ­Vorbeugung für Zahnprobleme“, erklärt Dr. ­Markus ­Gerlach, Tierarzt und IGFP-zerti­fizierter Pferdedentalpraktiker.

Spuckt das Pferd Heuwickel aus, frisst nur noch sehr mäkelig oder hat Mundgeruch, werden die meisten Pferdebesitzer hellhörig und vermuten ein Zahnproblem. Zu diesem Zeitpunkt bestehen jedoch die Probleme häufig schon länger, da Pferde stumm – und teilweise sehr lange – Schmerzen ertragen. Generell können Pferde jeden Alters unter Problemen mit den Zähnen leiden. Dabei sind die Symptome recht unspezifisch und können sowohl beim Reiten als auch beim Fressen auftreten. Die Spannweite reicht von offensichtlichen Asymmetrien im Kopfbereich über Veränderungen im Fressverhalten bis hin zu Verhaltens­auf­fälligkeiten unterm Sattel.

Zahnwechsel mit Problemen

Unser Besuch bei einer Zahnbehandlung durch Dr. Markus Gerlach zeigt uns deutlich, weshalb eine regelmäßige Kontrolle ­besonders bei Jungpferden so wichtig ist. Die vierjährige Stute Donna Bella Deluxe befindet sich mitten im Zahnwechsel, bei dem nicht alles glatt läuft: Vier persistierende – dies bedeutet: festsitzende – Milchzahnkappen auf den bereits vollständig ausgebildeten bleibenden Zähnen werden festgestellt, die vom Tierarzt entfernt werden müssen. ­Obwohl die erfolgreiche Stute erst vor einem halben Jahr behandelt wurde, haben sich aufgrund der festsitzenden Milchzahnkappen leichte Stufen auf der gegenüberliegenden Seite der Backenzähne gebildet. Diese können im Anfangsstadium problemlos ausgeglichen werden und werden voraussichtlich bei der nächsten Behandlung in sechs ­Monaten nicht mehr erkennbar sein. „Im Alter zwischen zweieinhalb und viereinhalb Jahren wechseln Pferde insgesamt 24 Zähne. Dabei geschieht ein idealer Zahnwechsel kieferseitenweise, sodass immer eine ebene Kaufläche entsteht und alle Zähne einen Gegenspieler zum Abrieb haben“, so Dr. Markus Gerlach. Jungpferde im Zahnwechsel sollten zwei Mal jährlich kontrolliert und gegebenenfalls behandelt werden, empfiehlt Dr. Markus Gerlach: „Besonders bevor sie erstmals ins Training genommen werden, sollte eine umfangreiche Zahnuntersuchung auf dem Programm stehen, damit der Alltag als Reitpferd vom Pferd nicht direkt mit Schmerzen in der Maulhöhle oder an den Zähnen verbunden wird.“ Stufenbildungen, eingeschränkte ­Bewegungsfreiheit beim Kauen sowie Entzündungen aufgrund angesammelter Futterreste sind die häufigsten Gefahren bei einem problematischen Zahnwechsel.

„Mitwachsende Zähne“

Nachdem der Zahnwechsel abgeschlossen ist, kann das Intervall auf ein Jahr ausgeweitet werden – eine Ausnahme bilden dabei Pferde mit ausgeprägten Fehlstellungen, Zahnlücken oder Erkrankungen wie EOTRH. „Pferde haben ein Abnutzungsgebiss: Dies bedeutet, dass sich die Zähne jährlich etwa zwei bis drei Millimeter aus dem Kiefer herausschieben – dies geschieht lebenslang, im Alter jedoch etwas weniger“, erklärt Dr. Markus Gerlach. Ursprünglich ist das Pferdegebiss darauf ausgelegt, dass die Zahnsubstanz durch die Nahrungsaufnahme abgeschliffen wird. Durch die veränderten Haltungsbedingungen ist dies jedoch nicht immer der Fall, sodass Pferde ab sieben Jahren oft aufgrund von zu langen Schneidezähnen behandelt werden müssen. Durch die überlangen Schneidezähne gerät die Drei-Punkt-Balance – eine gleichmäßige Ausbalancierung des Gebisses in den Bereichen der Schneide- und Backenzähne sowie des Kiefergelenks – aus dem Gleichgewicht. Durch die langen Schneidezähne entsteht eine Lücke zwischen den Backenzähnen, sodass viel Druck zum Zermahlen der Nahrung erforderlich wird. Als Folge wird das Kiefergelenk überlastet und Verspannung im gesamten Kopf- und Hals-Bereich sind das Ergebnis. „Nur wenn die Zähne und der Kiefer im richtigen Winkel und Verhältnis zueinander stehen, kann eine richtige Abnutzung, wie von der Natur vorgesehen, geschehen. Daher ist die Wiederherstellung der Drei-Punkt-Balance das Ziel jeder Behandlung“, erklärt der Zahnexperte. Dies geschieht, indem zum einen Haken und scharfe Kanten entfernt und somit eine ebene Kaufläche hergestellt wird, und zum anderen die Schneide- und Backenzähne in die gewünschte – und aufeinander abgestimmte – Länge gebracht werden. Hält das Pferd den Kopf oben, sollte eine gerade, kleine Lücken zwischen den Schneidezähnen zu sehen sein. Nimmt das Pferd den Kopf nämlich zum Fressen nach unten, wird der Unterkiefer etwas nach vorne geschoben, und die Lücke schließt sich automatisch. „Wichtig ist, dass immer so wenig Zahnsubstanz wie möglich entfernt wird. Die Pferde werden heutzutage immer älter, und somit sollte der Erhalt eines gesunden Gebisses eine Priorität darstellen“, sagt Dr. Markus Gerlach.

…mehr zu den Symptomen und der richtigen Behandlung bei Zahnproblemen lesen Sie in der Ausgabe 9/18.