Text: Nicole Audrit    Grafik: Dirk Rauchfuß/Anna Süß

Der Begriff Griffelbein hört sich irgendwie seltsam an, und viele Leute fragen sich, wo genau sich dieses mysteriöse Griffelbein im Pferdekörper eigentlich befindet. Genauer gesagt handelt es sich allerdings nicht um ein einziges Griffelbein, sondern um acht. Was die Besonderheiten dieses Knochens sind und warum eine Fraktur kein Todesurteil bedeutet, lesen Sie hier

Was ist das Griffelbein?

Der Mittelfuß des Pferdes besteht aus drei Knochen: Zum einem aus dem Röhrbein, dieses wird auch als Hauptmittelfuß bezeichnet, da es der tragende Knochen ist. Außerdem gibt es zwei Griffelbeine, die innen und außen am Röhrbein liegen und als Nebenmittelfuß bezeichnet werden. Sie sind etwa bleistiftdicke, längliche Knochen und übernehmen keine tragende Aufgabe. Die Griffelbeine sind nur am oberem Ansatz, einem verdickten Bereich mit dem Namen Griffelbeinköpfchen, mit dem Vorderfußwurzelgelenk an den Vorderbeinen und dem Sprunggelenk an den Hinterbeinen verbunden. Das untere Ende des Griffelbeins wird als Griffelbeinknöpfchen bezeichnet. Die Griffelbeine sind die evolutionsbedingt zurückgebildete zweite und vierte Zehe des Pferdes. Das Röhrbein ist die einzige nicht verkümmerte Zehe und trägt das Gewicht des Pferdes.

In vielen Fällen bedeutet ein Beinbruch bei einem Pferd das Todesurteil. Wie sieht dies bei einem Griffelbeinbruch aus?

Aufgrund des geringen Umfangs des Knochens kommt es verhältnismäßig häufig zu Griffelbeinfrakturen. Dabei wird zwischen der proximalen und der distalen Fraktur unterschieden. Die proximale Fraktur ist ein Bruch im oberen Drittel des Griffelbeins, bei dem es sich entweder um einen geschlossenen Bruch ohne Haut- und Weichteilinvolvierung oder um einen offenen Bruch mit Verletzung der Haut und der Weichteile handelt. Bei einem offenen Bruch besteht eine erhöhte Infektionsgefahr, bei der eine Entzündung im schlimmsten Fall auch den Knochen und das Gelenk betreffen kann. Häufig entsteht eine proximale Griffelbeinfraktur durch äußere Einwirkung, beispielsweise durch den Tritt eines anderen Pferdes. Liegt ein Bruch im unteren Bereich des Griffelbeins vor, ist die Rede von einer distalen Fraktur. Diese Art des Bruches ist in der Regel ein geschlossener Bruch und entsteht häufig durch starke Belastung bei hohen Geschwindigkeiten. Aus diesem Grund wird ein solcher Bruch auch als Ermüdungs- oder Belastungsbruch bezeichnet und kommt oft bei – meist etwas älteren – Renn-, Distanz- oder Vielseitigkeitspferden vor. Da das Griffelbein nur mit einem sehr kleinen Teil, nämlich dem Griffelbeinköpfchen, mit dem breiteren Röhrbeinknochen verwachsen ist, entwickelt es bei einer länger andauernden hohen Geschwindigkeit eine Art Eigendynamik und -bewegung, die schlussendlich zu einer Fraktur führen kann.

Eine Griffelbeinfraktur äußert sich durch Lahmheit, bei der die Spanne von leicht bis hochgradig reicht. Außerdem liegt eine Schwellung und eine hohe Schmerzempfindlichkeit im betroffenen Bereich vor. In manchen Fällen ist das abgebrochene ­Fragment auch zu ertasten. Eine Verdachtsdiagnose kann durch Abtasten gestellt werden, allerdings lässt sich ein Griffelbeinbruch nur anhand eines Röntgenbildes zweifelsfrei diagnostizieren. Um auszuschließen, dass der Fesselträger, die Sehne zwischen den beiden Griffelbeinen, betroffen ist, empfiehlt sich außerdem eine Ultraschalluntersuchung.

Was gibt es für Behandlungsmöglichkeiten und wie sieht die Prognose aus?

Am häufigsten kommt eine distale Griffelbeinfraktur vor, die meistens ein einfacher Bruch ist. Bei dieser Art des Bruches gibt es zwei Alternativen: Sitzt das Knochenfragment in der richtigen Position, kann eine Heilung durch Boxenruhe und Ruhigstellung durch einen stabilisierenden Verband versucht werden. Die Alter­native ist eine Operation, die zwangsläufig nötig wird, wenn das Fragment verschoben ist. Bei der Operation in Vollnarkose wird das Fragment entfernt und in manchen Fällen der verbleibende Griffelbeinstumpf leicht abgeschrägt. Wird eine Heilung durch Ruhigstellung in der Box versucht, besteht die Gefahr von Knochen­zubildungen, weswegen oft die Operation empfohlen wird. Bei einem proximalen Bruch wird häufig eine Operation mit einer Knochenverschraubung notwendig.

Bei einer Fraktur im unteren Griffelbeinbereich ist die Prognose vielversprechend, und meist bestehen nach erfolgreicher Operation und Rekonvaleszenzzeit keinerlei Einschränkungen in der Leistungsfähigkeit des Pferdes. So konnte beispielsweise der Wallach Opgun Louvo von Sandra Auffarth nach einem verheilten Griffelbeinbruch wieder aktiv im Vielseitigkeitssport eingesetzt werden. In der Regel sind die Pferde nach vier Monaten wieder voll einsatzbereit. Bei einem Bruch im oberen Bereich des Griffelbeins sind die Heilungschancen und die Prognose für spätere Belastungsfähigkeit sehr individuell.