Text: Inga Dora Schwarzer      Foto: www.Slawik.com

Ihrem Pferd fehlt es an Takt, Balance, Koordination oder Trittsicherheit? Zeigt es sogar „Unarten“? Dann ist vielleicht sein mangelndes Körpergefühl schuld daran. Wie es Rittigkeit und Verhaltensweisen beeinflusst und welches Training die Körperwahrnehmung verbessert, erklären Dr. Ruth Katzenberger-Schmelcher und Yvonne Katzenberger

Verarbeitung von Reizen



Diese drei Systeme agieren und reagieren immer in Abhängigkeit zueinander. „Kein Basissinn funktioniert für sich alleine“, wissen die Expertinnen. Damit sie aber überhaupt miteinander in Verbindung treten können, kommt die sensorische Integration ins Spiel. Darunter wird die Aufnahme und Verarbeitung von Sinnesreizen verstanden. Alle Reize von außen (z.B. der Druck der Putzbürste, die Beschaffenheit des Untergrunds oder die Wahrnehmung von Geschwindigkeit) und alle Reize von innen (z. B. 
von den eigenen Muskeln) werden durch die Sinnessysteme aufgenommen, dann im Nervensystem und Gehirn verarbeitet und gespeichert, mit vorhandenen Erfahrungen verknüpft sowie interpretiert.

„Die sensorische Integration sortiert, ordnet und vereint damit alle sinnlichen Eindrücke des Pferdes zu einer vollständigen und umfassenden Hirnfunktion. Das Gehirn gibt wiederum Befehle an Muskeln etc. weiter, die zu einer (Re-)Aktion auf die Reize führen, so dass Pferde in bestimmten Situationen auf eine bestimmte Art und Weise handeln“, erklären die Ausbilderinnen. 
Die Wahrnehmungsverarbeitung über die Basissinne funktioniert aber nicht immer gleich gut. Bei einem mangelnden Körpergefühl entwickeln sich gewisse Fähigkeiten nicht im notwendigen Ausmaß, geben die Buchautorinnen zu bedenken. Es kann daher zu Verhaltensweisen kommen, die von Pferdebesitzern schnell als „Unarten“ missverstanden werden. Dazu zählen die Therapeutinnen u.a. häufiges Stolpern, fehlende oder schlechte Koordinationsfähigkeit, Störungen in der Balance, mangelnde Durchlässigkeit, Buckeln, Durchgehen und andere Rittigkeitsprobleme. Auch Nervosität und Schreckhaftigkeit, Konzentrationsprobleme sowie häufige Verletzungen, die sich das Pferd aus Unachtsamkeit selbst zufügt, seien nicht selten. 
„Häufig verlangen wir von unseren Pferden viel zu oft, dass sie Dinge tun. Einfach so“, sagen sie. Vielfach seien die Tiere damit aber überfordert, weil sie über keine adäquate Körperwahrnehmung verfügen würden und das gewünschte Verhalten in der gewünschten Form gar nicht zeigen könnten. „Richten wir unseren Fokus aber auf das Körpergefühl der Tiere, geben wir uns selbst die Möglichkeit, Verhaltensweisen unter einem anderen Blickwinkel zu betrachten.“

Mangelndes Körpergefühl



Werden Reize nicht optimal verarbeitet, nimmt das Pferd sie entweder gesteigert oder vermindert wahr. Dann reagiert es beispielswiese sehr stark auf Berührungen. „Das kann sich im Beißen nach der Putzbürste ebenso äußern wie in Abwehrreaktionen beim Einsprühen mit Fliegenspray oder Gurtzwang. Funktioniert die Wahrnehmungsverarbeitung im vestibulären System nicht adäquat, kann das Pferd sein statisches und dynamisches Gleichgewicht nicht auf veränderte Umstände, wie z. B. eine neue Bodenbeschaffenheit, angleichen. So kommt es u.a. zu Verladeproblemen“, erläutern die Expertinnen. Probleme beim Longieren, wie eine unverhältnismäßige Beschleunigung auf dem Zirkel, oder ein Davonrennen beim Ausreiten, sobald es bergab geht, seien weitere mögliche Hinweise.

Befinden sich die Propriozeptoren im „Urlaubsmodus“, scheint der Vierbeiner seine Beine nicht richtig sortieren zu können. Er kann z. B. den Takt nicht halten oder hat Schwierigkeiten, seine Hufe gezielt über Bodenstangen zu setzen. Ebenso werden falsche Bewegungsmuster, Schon- und Fehlhaltungen, die über einen längeren Zeitraum stattfinden, dann vom Gehirn als „normal“ empfunden. 
Aber wie kommt es überhaupt zu einem mangelnden Körpergefühl und daraus resultierenden Verhaltensauffälligkeiten? Die Antwort liegt unter anderm in der Aufzucht, in der Haltung und im Training begründet. „Je besser die Basissinne durch eine artgerechte Aufzucht gefördert und gefordert werden, desto weniger Schwierigkeiten wird das Pferd grundsätzlich später in Bezug auf seine Körperwahrnehmung haben. Letztlich gilt das aber für jegliche Haltung – also auch für die von älteren Pferden“, so die beiden Ausbilderinnen. 
Das Problem? Die meisten Reitpferde leben in einer relativ reizarmen Umgebung, in der sie sich entweder nicht viel bewegen können oder nicht viel bewegen müssen. „Ein Pferd, dass z. B. über Nacht in der Box steht, ist in dieser Zeit nur sehr wenigen Umweltreizen ausgesetzt: Es bewegt sich faktisch nicht, und in der Stallgasse herrscht verordnete Ruhe“, stellen die Schwestern fest. In Offenställen gebe es zwar ausreichend Platz, der aber oft nicht oder kaum von den Tieren genutzt werde, weil sie an der Heu-ad-libitum-Raufe „parken“ und sich nur selten von der Futterquelle wegbewegen würden.

Den kompletten Artikel finden Sie in der aktuellen Mein Pferd-Ausgabe.