Text: Inga Dora Meyer      Foto: Kosmos Verlag

Woher weiß das Pferd, wie es auf die Einwirkungen des Menschen reagieren soll? Wie lernt es auf leichte Zügel-, Schenkel- und Gewichtshilfen korrekt zu reagieren? Dressurexpertin Dr. Britta Schöffmann lüftet das Geheimnis der unsichtbaren Hilfen.

Pferde ticken anders als wir Menschen. Sie sind Fluchttiere, Herdentiere und als ehemalige Steppenbewohner auch Bewegungstiere. Ihre Triebe und Instinkte sowie Bedürfnisse wie Flucht- und Sozialverhalten spielen in der Kommunikation eine wichtige Rolle. „So sind beispielsweise Scheuen und Wegstürmen keine blöden Angewohnheiten, um den Reiter zu ärgern, sondern angeborenes Instinktverhalten und für das Pferd als Fluchttier in Freiheit eine absolut wichtige Überlebensstrategie und -notwendigkeit“, erklärt Britta Schöffmann, Ausbilderin und Turnierrichterin aus Duisburg (Nordrhein-Westfalen) in ihrem neuen Buch „So lernen Pferde Reiterhilfen“.

Jeder Reiter sollte diese angeborenen Verhaltensweisen kennen. Denn um dem Pferd etwas beibringen zu können, müssen sie ein Stück weit verändert und neue antrainiert werden. Beim Reittraining geht es daher hauptsächlich um die Aspekte Gewöhnung und operante Konditionierung. „Sie geben dem Menschen das Wissen und die Instrumente an die Hand, ein Pferd zum Partner zu machen“, so die Expertin.

Umweltreize näherbringen

Gewöhnung heißt in diesem Fall, dass das Pferd nicht mehr instinktiv als Flucht- oder Herdentier reagieren soll. Diese Strategie ist wie gesagt in der Natur sinnvoll, im Zusammenleben mit dem Menschen aber eher hinderlich und sogar gefährlich, schreibt die Autorin. Dafür hat der Reiter verschiedene Methoden zur Auswahl. Die systematische Desensibilisierung, die Gegenkonditionierung, die Annäherungskonditionierung und das Überlagern sind hierbei am effektivsten.

„Die systematische Desensibilisierung setzt auf häppchenweise Konfrontation mit dem Unbekannten. Dabei wird das Geschehen, seien es Situationen, Geräusche, Berührungen oder Bewegungen, dem Pferd nach und nach nähergebracht“, erläutert Schöffmann. Sie wird in der direkten Vorbereitung aufs Reiten genutzt, z. B. bei der Gewöhnung an Halfter, Trense und Sattel, aber auch bei einer Musik- oder Geräusch-Phobie. Ein Beispiel? „Zunächst wird das Pferd nur für wenige Minuten (oder Sekunden) dem wenn möglich leise gestellten Geräusch ausgesetzt, dann wird dies wieder ausgeschaltet. Dies so lange in kleinen Häppchen wiederholen, bis die Abwehrreaktion des Pferdes (Erschrecken, Flucht etc.) immer weniger wird. Gegebenenfalls den vom Pferd als angstauslösend empfundenen Reiz mit einer angenehmen Handlung verbinden“, rät die Ausbilderin.

Damit wären wir schon bei der zweiten Methode der Gewöhnung, der Gegenkonditionierung. Diese setzt darauf, eine zuvor mit unangenehmen Empfindungen besetzte ­Situation mit einem angenehmen Reiz zu ver­binden. Um am Beispiel des Geräusches zu bleiben: „Hier könnte man dem Pferd kurz vor Beginn des Geräusches ein Leckerli geben, vielleicht eine ganze Mohrrübe, an der es länger zu kauen hat. Dann kurz das Geräusch erklingen lassen, wieder abstellen und so fort, bis zunächst kleine Möhrenstückchen ausreichen und schließlich das Geräusch auch ganz ohne Futtergabe akzeptiert wird.“ Eine Tücke hat die Gegenkonditionierung jedoch – und zwar das richtige Timing. „Erfolgt die Belohnung im falschen Moment, also dann, wenn das Pferd bereits mit Flucht reagiert, kann sich die unerwünschte Reak­tion sogar noch verstärken, da hier – aus Sicht des Pferdes – die Fluchtreaktion belohnt würde“, gibt Schöffmann zu bedenken.

Instinkte kontrollieren lernen

Sinnvoll kann es im Training auch sein, mit der Annäherungskonditionierung zu arbeiten. Hier kommt die angeborene Neugierde ins Spiel. Denn auch wenn der Vierbeiner bereit ist, sich auf dem Absatz umzudrehen, möchte er sich trotzdem einer unheimlichen Sache (Traktor, Schirm o. Ä.) annähern und sie erforschen. Der Trick: „Jedes Mal, wenn sich das Pferd auf den Reiz zubewegt, wird das Furcht-Objekt von einem Helfer ein Stück vom Pferd wegbewegt. Stoppt das Pferd, stoppt das Furcht-Objekt. Hierbei lernt das Pferd, nicht nur seinen Fluchtinstinkt zu unterdrücken, sondern vor allem selbst aktiv zu werden. Es ‚vertreibt‘ das Furcht-Objekt quasi, bis es schließlich den Mut hat, sich ganz zu nähern“, weiß die Ausbilderin.

Nachhaltig und eine der sinnvollsten Methoden beim Reiten ist das Überlagern. Das gelingt am besten über das Abfragen einer bekannten Übung oder eine gezielte Berührung. Wer hat seinen Reitlehrer nicht schon mal im Unterricht sagen hören: „Wenn dein Pferd sich an der Tür verspannt, dann reite dort eine Volte oder ein Schulterherein!“ Selbst ein kurzer Impuls mit dem inneren Schenkel kann helfen, die Konzentration wieder auf den Reiter zu lenken. Aber Vorsicht: „Der Reiter darf nicht warten, bis sich die Aufmerksamkeit des Pferdes bereits zu hundert Prozent auf den Außenreiz gerichtet hat, sondern er muss bereits beim ersten Anzeichen agieren“, so die Turnier­richterin. Ihr Tipp: Beobachten Sie die Pferdeohren. „Der Vierbeiner richtet im Allgemeinen seine Ohren in die Richtung, auf die er sich gerade konzentriert. Stellt er seine Ohren wie Antennen angespannt und über einen längeren Zeitraum nach vorn, dann hat er gerade etwas anderes im Blick.“

…die gesamte Titelstory finden Sie in der aktuellen Mein Pferd-Ausgabe.

 

Buchtipp

Das Buch „So lernen Pferde Reiterhilfen“ von Britta Schöffmann beschäftigt sich damit, wie Pferde lernen: Woher weiß das Pferd, wie es auf die Hilfen des Menschen im Sattel reagieren soll? Dieses Buch hilft allen Reitern, ihre Pferde besser zu verstehen und zu unterstützen. Ausgehend von Verhaltensforschung und Lerntheorie schlägt Dressurexpertin Britta Schöffmann die Brücke zur Wirkung reiterlicher Hilfen in der Praxis. Anhand vieler Beispiele zeigt sie, wie das Pferd konkrete Lektionen lernt und dass Probleme stets auf Missverständnisse in der Kommunikation zurückzuführen sind. Das Buch ist im Kosmos-Verlag erschienen und hier für 26,99 Euro erhältlich.