Text: Inga Dora Meyer    Foto: Svetlana – stock.adobe.com

Sie haben wenig Zeit, wollen aber ihrem Pferd im Winter Bewegung verschaffen – insbesondere dann, wenn es viel Zeit in seiner Box verbringt. Also, das Pferd am Halfter aus der Box geholt, und ab in die Halle. Vollgas im Galopp. In rasantem Tempo geht es in Schieflage und Außenstellung durch die Ecken, inklusive abrupter Stopps und wilder Bocksprünge. Der Mensch rennt wild fuchtelnd mit der Peitsche hinterher und scheucht seinen Vierbeiner, bis dieser völlig außer Atem ist. Pferd und Mensch verlassen nach zehn Minuten wieder die Halle, die aussieht, als wäre eine Wildschweinrotte durchgezogen. Ein Hardcore-Join-up ohne Sinn und Verstand, das dem Pferd mehr schadet als nützt.

„Leider sieht man sehr häufig Pferdebesitzer wild mit der Peitsche herumfuchteln und schlagend ihre Pferde von sich wegtreiben“, bestätigt Ausbilderin Kathrin Roida aus Fürstenfeldbruck in Bayern. Die Vierbeiner brauchen als Lauftiere viel Bewegung, das ist klar, aber das Freilaufen kann auch anders gestaltet werden. „Ich habe noch nie ein Pferd beim Freilaufen gescheucht. Ich nutze nur den natürlichen Bewegungsdrang und bin dann eher zurückhaltend. Nur wenn es sehr triebig ist, darf man ein bisschen treiben, wie an der Longe.“ Da arbeitet man ja auch mit der Peitsche, versetzt das Pferd aber nicht in einen Fluchtmodus. Die Art und Weise, wie ich die Peitsche benutze, so sagt die Expertin, muss wie ein Musikinstrument sein. „Ich muss sie bedienen können, gefühlvoll und gezielt einsetzen.“ Sie lässt ihre Pferde häufig freilaufen, aber mit Sinn und Verstand.

Dafür müssen im Vorwege einige Voraussetzungen erfüllt sein. So sollte das Freilaufen im Idealfall in einer Halle ohne oder mit abgedeckten Spiegeln und einer hohen Tür stattfinden. Ein Reitplatz muss sicher und hoch eingezäunt sein und darf nicht dazu einladen, über die äußere Begrenzung zu springen. „Hüfthoch? Da würde ich nie freilaufen lassen“, so Roida. Es dürfen zudem keine Dinge herumliegen, an denen sich das Pferd verletzen könnte. Der Sicherheits­aspekt muss immer im Vordergrund stehen.

Reiter sollten ferner eine nicht zu große Fläche für den Freilauf wählen. „Es macht keinen Sinn, ein Pferd alleine in einer 20 mal 60 Meter großen Halle laufen zu lassen. Es läuft von einer Ecke in die nächste, führt abrupte Stopps durch, wechselt wild von einer Hand auf die nächste, und der Mensch rast immer nur hinterher. Das bringt überhaupt nichts. Die Größe der Halle muss so beschaffen sein, dass ich alleine in der Lage bin, dass Pferd zu begleiten und nicht willkürlich herumzuscheuchen“, erklärt die Ausbilderin.

Alternativ lässt sich ein gesitteter Freilauf mit zwei Menschen am Boden ausführen. Diese Variante bevorzugt die Expertin. „Wenn wir freilaufen lassen, sind wir immer zu zweit, damit wir das Pferd durch die Ecken begleiten können, um das abrupte Abbremsen zu vermeiden.“ Nicht zu vergessen ist ein gewisses Grundvertrauen, dass der Vierbeiner zu seinem Menschen haben sollte, bevor dieser es von Halfter und Strick befreit. „Ich hatte schon junge Pferde aus Portugal, die absolut wild waren und sich nicht anfassen ließen. Da muss neben der Vertrautheit mit dem Menschen auch noch eine gewisse Halfterführigkeit gegeben sein. Wenn ich solche Tiere laufen lasse, kommen sie nicht mehr zu mir zurück“, berichtet die Expertin.

Einen direkten Einfluss auf unkontrollierte Sprünge, die aufgrund von Übermut oder Erschrecken entstehen, haben Pferdebesitzer aber auch dann nicht. Das Risiko einer Verletzung ist laut Roida jedoch nicht größer als beim Freilaufen auf der Koppel, wenn kontrolliert laufengelassen wird. Dazu gehört, wie beim Reiten auch, eine etwa zehnminütige Aufwärmphase. „Das ist ein absolutes Muss. Es sollte im Schritt am Halfter warmgeführt werden – auch bei Übermut. Ist dies nicht möglich, kann ein Übertreten um einen herum auf einer kleinen Volte hilfreich sein“, empfiehlt ­Roida. Erst danach wird das Pferd freigelassen. Vierbeiner, die in der Halle gleich losschießen, könnten sich ohne das Warm-up böse Verletzungen an beispielsweise den Sehnen holen oder mit dem Menschen am Boden Stress assoziieren und dann in einen „Panik-Modus“ verfallen. „Das möchte ich nicht“, stellt die Expertin klar.

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Buchtipp

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