Text: Aline Müller      Foto: www.Slawik.com

Die klassische Arbeit an der Hand hat einen hohen gymnastischen Wert und trägt zur Gesunderhaltung des Pferdes bei. Sie bringt Abwechslung in den Trainingsalltag und schult sowohl das Pferd als auch den Reiter. Wie der korrekte und spielerisch leichte Einstieg in die Ausbildung vom Boden aus gelingt, erklärt Oliver Hilberger.

Leistungsdruck und Konventionen prägen heutzutage den Reitsport. Bei vielen Ausbildern liegt der Schwerpunkt auf dem Training mit Sattel. Doch weder werden Pferde mit Sattel auf dem Rücken geboren noch kommen Menschen als perfekte Reiter auf die Welt. Die Handarbeit stellt eine wertvolle Alternative und Ergänzung zum Reiten dar und blickt dabei auf eine lange Historie zurück. Bereits mit dem 16. Jahrhundert fand diese Ausbildungsmethode Einzug in die Geschichtsbücher. Auch wenn die klassische Reitkunst viele Lektionen und Übungen bietet, mit denen das Pferd gymnastiziert und gesund erhalten werden kann, sind diese weder von jedem Reiter noch von jedem Pferd stets umzusetzen. So können beispielsweise viele Vierbeiner aus Alters- oder Krankheitsgründen nicht geritten werden. Hier kommt selbst die Longenarbeit unter Umständen schnell an ihre Grenzen. Die Arbeit an der Hand trägt hingegen dazu bei, gezielt einzelne Muskelgruppen zu kräftigen, und leistet so einen bedeutenden Beitrag zur Genesung des Pferdes. Zudem sorgt die Handarbeit für Abwechslung: „Unabhängig von seinen reiterlichen Fähigkeiten kann hierbei jeder sein Pferd sinnvoll gymnastizieren, es für schwierige Lektionen vorbereiten und sich so selbst ein ‚Schulpferd‘ heranbilden“, sagt der erfahrene klassische Ausbilder Oliver Hilberger. In der Handarbeit findet sich also nicht nur eine Alternative, sondern vor allem eine Ergänzung zum Reiten.

Die Hauptaufgabe der Handarbeit

In Bezug auf die Ausbildung des Reitpferdes werden weder Sport- noch Freizeitreiter um den Begriff „Gymnastizierung“ herumkommen. Doch was bedeutet das eigentlich? „Es liegt in der Verantwortung des Menschen, das Pferd so zu gymnastizieren, dass es möglichst bis ins hohe Alter ohne Schmerzen und Schäden am Bewegungsapparat in der Lage ist, einen Reiter auf seinem Rücken zu tragen“, betont Oliver Hilberger. Dabei ist jede Änderung der Richtung, Geschwindigkeit oder Gangart des Pferdes eine Balanceverschiebung. „Erst das Spiel mit dem Gleichgewicht ermöglicht es dem Pferd, gewisse Bewegungen auszuführen und entsprechend zu reagieren“, so der Experte. Beobachten Sie einmal Pferde beim Toben auf der Weide: Im Wechselspiel zwischen Angriff und Verteidigung können Sie gut sehen, wie die Vierbeiner ihre Balance verschieben. In der freien Natur trainieren Pferde ihre Reflexe, Muskeln, Geschicklichkeit und Gleichgewichtssinn mit Leichtigkeit und Freude. Eine gute Gymnastizierung wirkt sich auch auf die Psyche aus, denn mit Verbesserung der Muskeltätigkeit, der Biegsamkeit und der Tragkraft gewinnt das Pferd auch an psychischer Stärke. „Mit jeder Übung werden Pferde geschmeidiger und selbstbewusster. Das Vertrauen in den eigenen Körper wächst, die Balance wird verbessert und die Tragkraft geschult“, erklärt Oliver Hilberger und fügt hinzu: „Je mehr die Hinterhand gymnastiziert wird, desto mehr verlagert sich das Gleichgewicht in Richtung Hanken.“

Selbstvertrauen und Stolz

Damit ein Pferd motiviert mitarbeitet, muss es Freude an der eigenen Bewegung haben. Dazu ist ein Rahmen nötig, in dem es sich mit Selbstvertrauen und Stolz präsentieren kann. Aufgabe des Reiters oder Ausbilders ist es, dabei stets die individuellen anatomischen und psychischen Voraussetzungen des Pferdes zu beachten: „Als Mensch muss man lernen, zu sehen und zu entscheiden, was dem Pferd guttut und was positiv auf Körper, Muskeln, Gelenke und Sehnen wirkt“, sagt unser Experte. Auch Charakter, Stimmung und Erfahrung des Pferdes spielen eine Rolle. „Wenn das Pferd einen Sinn in der Gymnastizierung sieht, dann wird alles plötzlich ganz einfach! Schulterherein ist dann nicht mehr nur eine Lektion der Klasse M, sondern ein wirksames Mittel zur Stärkung der Hinterhand, zur Entwicklung der Muskulatur und nicht zuletzt ein weiterer Schritt zu einem stolzen, selbstbewussten und bis ins hohe Alter gesunden Pferdes“, hebt Oliver Hilberger hervor. Bei der Handarbeit befindet sich der Mensch im Gesichtsfeld des Pferdes. Allein durch diese Präsenz spürt der Vierbeiner ein gewisses Maß an Sicherheit und Führung. Selbst in Momenten der Anspannung kann das Pferd so viel schneller wieder zur Ruhe kommen. Zudem erübrigt sich durch das fehlende Reitergewicht auf dem Rücken eine mögliche Ursache für Verspannungen von ganz allein. Bei der Arbeit an der Hand kann so meist schneller die gewünschte Losgelassenheit erreicht werden. Hinzu kommt, dass ein losgelassenes, geschmeidiges Pferd schneller genau die Muskeln aufbauen wird, die es benötigt, um seinen eigenen Körper und den des Reiters unbeschadet zu tragen. Die Handarbeit bietet die Möglichkeit, das Pferd optimal vorzubereiten.

Erste Schritte an der Hand

Zunächst ist es wichtig, sich mit der Grundposition vertraut zu machen. Das Pferd befindet sich auf dem ersten, der Ausbilder auf dem zweiten Hufschlag. Die Bande begrenzt das Pferd dabei nach außen, der Mensch nach innen. So wird das Pferd durch die Hilfen eingerahmt. „Für die Basisarbeit greift die Hand in die Trense, so ist die direkte Verbindung zum Maul hergestellt. Sie schließt sich zu einer lockeren Faust, mit der Sie jetzt alle Möglichkeiten der Hilfengebung haben und die Reaktionen des Pferdemauls unmittelbar fühlen“, erklärt Oliver Hilberger. Der Außenzügel läuft über den Widerrist. Die Anlehnung ist ruhig und das Pferd wird mit den Händen begleitet beziehungsweise geführt. Alternativ kann der Zügel gefasst und so Kontakt zum Pferdemaul hergestellt werden. „Diese zweite Möglichkeit sollte das Mittel der Wahl sein, wenn ein Kappzaum benutzt wird oder wenn das Pferd einen sehr langen Hals hat und deshalb die Armlänge des Menschen nicht ausreicht, um die Grundposition an der Schulter des Pferdes aufrechtzuerhalten“, sagt der klassische Ausbilder. Allerdings wirkt sich dieser längere Weg auf die Präzision und Feinheit der Führung aus: Je größer die Distanz zwischen Maul und Hand ist, desto unruhiger kann die Verbindung werden. Bei der Führung am Kappzaum stellt dies kein großes Problem dar, bei der Trensenzäumung haben jedoch vor allem sensible Pferde Schwierigkeiten mit einer unruhigen Zügelhand.

…den kompletten Artikel – inklusive einfacher Übungen zum Einstieg – finden Sie in der Dezember-Ausgabe.