Text: Inga Dora Meyer     Foto: slawik.com

Für einen straffen Bauch machen wir Sit-ups, für einen ordentlichen Bizeps stemmen wir Hanteln. Um unsere Problemzonen zu bekämpfen, machen wir allerlei Übungen. Das muss doch auch beim Pferd gehen, oder? Ein paar Trainingseinheiten für den Hals, ein paar für den Rücken und die Hinterhand – und schon hat der Vierbeiner eine tolle Oberlinie. Leider ist es nicht ganz so einfach. Das Problem? „Die Muskeln der Oberlinie kann man nicht einzeln betrachten bzw. trainieren, da die muskuläre Struktur sehr komplex ist. In der oberen Funktionskette steht beispielsweise der lange Rückenmuskel in funktionellem Zusammenhang mit der Halsmuskulatur im vorderen Bereich und der Kruppenmuskulatur im hinteren Bereich. Aber auch in der unteren Muskelkette, zu der u.a. die verschiedenen Bauchmuskeln gehören, besteht eine direkte Verbindung zu Vor- und Hinterhand. Und beide Muskelketten verbinden sich wiederum im Bereich des Zungenbeins“, erklärt Nadja Krumbiegel, mobile Pferdegesundheitstrainerin aus Berlin. Um die Oberlinie zu verbessern, müssen daher Hals, Rücken und Hinterhand als Ganzes betrachtet und auf die Geschmeidigkeit und Kraft aller Muskelstrukturen hingearbeitet werden.

Bevor es ans Training geht, schauen Sie sich die Oberlinie ihres Pferdes von der Seite an und verschaffen Sie sich einen Gesamteindruck. Sieht alles rund und harmonisch aus? Gibt es Dellen, Kuhlen oder ausgeprägte, hervortretende Muskelbereiche? Und wie fühlen sich die Muskeln an? Weich und fleischig? Zeigen sich Verhärtungen oder reagieren einige Partien schmerzhaft auf Berührung?

Wichtig bei der Beurteilung ist, Fettpölsterchen nicht mit Muskeln zu verwechseln. „Ein Pferd mit guter, harmonischer Muskulatur ist ein ‚rundes‘ Pferd. Es wirkt nicht eckig oder kantig. Nun kann ein Pferd aber auch rund gefüttert sein. Den Unterschied kann ich jedoch sehen und fühlen. Zum einen sollte mein Pferd, wenn ich es gut trainiert habe, trotz Rundungen fit und sportlich wirken. Zum anderen fühlt sich Fett meistens deutlich weicher und wabbeliger an als Muskeln. Fettpolster finde ich außerdem eher am Mähnenkamm und auf der Kruppe, dafür sehr selten im Bereich des Pferderückens“, erläutert die Expertin.

Auch die rassebedingten Verschiedenheiten im Exterieur müssen bei der Begutachtung der Oberlinie Berücksichtigung finden. „Ich kann einen Araber nicht mit einem Friesen vergleichen, ein Warmblut nicht mit einem Iberischen Pferd. Jede Rasse hat seine ­Besonderheiten, jede Zucht ihre individuellen (teils sehr traditionellen) Ziele. Allein innerhalb einer Rasse kann es große Unterschiede ­geben. Daher sollte man sein Pferd nicht mit anderen messen, sondern jedes Tier individuell analysieren und das Training entsprechend gestalten“, so Krumbiegel.

Besondere Obacht ist bei Jungspunden angebracht. „Die heutige Zuchtauswahl ist zumeist auf Pferde mit hervorragendem Exterieur ausgelegt. Diese sehen bereits mit drei oder vier Jahren ‚fertig‘ aus. Sie haben von Natur aus eine gute Oberlinie, einen schönen Halsansatz, der sich nach vorne-oben leicht aufwölbt und eine lange, mäßig abgeschrägte Kruppe. Diese schöne Hülle kann darüber hinwegtäuschen, dass sie physisch noch nicht tragfähig sind, das heißt, dass ihnen die Kraft fehlt. Probleme der Muskulatur fallen bei diesen Pferden gegebenenfalls erst auf den zweiten Blick auf“, warnt die Expertin. Es gäbe allerdings deutlich mehr Pferde, die nicht diesen nahezu perfekten Körperbau aufweisen. Je schwieriger das Exterieur sei, umso besser müsse übrigens die gymnastizierende Arbeit sein. „Wir können die Natur unseres Pferdes nicht verändern, aber wir können ihr helfen“, sagt sie.

Gute und schlechte Bemuskelung

Jetzt geht es tiefer ins Detail. Wie sieht der Hals ihres Pferdes ganz konkret aus? Ist er gut trainiert, zeichnet er sich durch eine runde, nach oben gewölbte Linie vom Widerrist bis zum Genick aus und wird zum Mähnenkamm hin dicker. Die Muskeln am Oberhals und an den Seiten sind gut erkennbar. Hinzu kommt eine schlanke Halsunterseite mit wenig ausgeprägter Muskulatur und einer deutlichen Drosselrinne (eine Längsfurche bzw. Einsenkung an der Unterseite des Halses, die den Verlauf der äußeren Drosselvene anzeigt). „Die Oberhalsmuskulatur sollte besser ausgeprägt sein als die Unterhalsmuskulatur, wobei dies immer in Relation zum Exterieur des jeweiligen Pferdes betrachtet werden sollte. Bitte kein Pferd in eine Schablone pressen. So wie jeder Mensch anders ist, ist auch jedes Pferd anders“, meint die Ausbilderin. Der Nackenbereich ist idealerweise lang, offen und geschmeidig. Vom Sattel aus betrachtet ist der Hals am Ansatz am breitesten und verjüngt sich zum Kopf hin.

…den kompletten Artikel finden Sie in der Mein Pferd-Ausgabe 5/18.

 

BUCHTIPPS

Das Pferd in positiver Spannung – Biomechanik und Reitlehre in Bewegung von Stefan Stammer

Wieso kann ein wenige Stunden altes Fohlen mit der gleichen Grundgeschwindigkeit galoppieren wie seine Mutter? Wenn ein talentiertes Springpferd 4-jährig 1,80 Meter hoch springen kann – was muss es eigentlich lernen bis zur Bewältigung eines Olympiaparcours, der höchstens 1,65 Meter hoch ist? Wenn ein Freizeitpferd über viele Jahre nur sehr wenig belastet wird und viel auf der Weide steht – wieso kann es genau dieselben Erkrankungen entwickeln wie ein Pferd aus dem Spitzensport mit chronischen Überlastungssyndromen? Warum entwickeln manche talentierten Dressurpferde schnell Muskulatur – und andere kaum, obwohl sie von erfahrenen Reitern ausgebildet werden? Seriöse Antworten auf diese Fragen sind nur möglich, wenn man den speziellen Bewegungsapparat des Pferdes unter funktionalen Gesichtspunkten analysiert. Stefan Stammer hat sich in diesem Buch unter Berücksichtigung jüngster Forschungsergebnisse die Frage gestellt, auf welche Weise die Bewegungsenergie des Pferdes entsteht und mit welchen Strukturen sie in Bewegung übertragen wird – sei es im Dressurviereck, auf der Rennbahn oder über dem Sprung. Dabei rücken die Fasziensysteme als Strukturen, die in den letzten Jahren mehr und mehr in den Fokus wissenschaftlicher Betrachtung gelangt sind, auch in diesem ins Zentrum der Bewegungsanalyse.Zudem hat sich der Autor die Frage gestellt, ob die klassische Reitlehre mit der Skala der Ausbildung als Herzstück dem aktuellen Wissen über die biomechanischen Zusammenhänge der Pferdebewegung standhalten kann. Die Antworten, die dieses Buch gibt, sind ebenso einfach wie komplex: Die Entwicklung von positiver Körperspannung ist der Schlüssel zur Gesundheit und Leistungsfähigkeit eines jeden Reitpferdes. Die klassische Reitlehre liest sich unter dieser Prämisse als perfekte Grundlage einer Trainingslehre für den Aufbau und die Steuerung der positiven Spannung.Dieses Wissen geht jeden Reiter an, der fundiert und kompetent über die richtigen Maßnahmen zur Ausbildung seines Pferdes entscheiden möchte. Das Buch ist im FN-Verlag erschienen und kann hier für 27,90 Euro erworben werden.

 

Anatomie verstehen – Pferde gesundheitsfördernd reiten von Gillian Higgins

Das Praxisbuch beschreibt die Ausbildung von Pferden und die einzelnen Dressurlektionen und Springübungen aus anatomischer und biomechanischer Sicht. Erstmals wird auch die Anatomie des Reiters miteinbezogen. Praktische Übungen zur Verbesserung der Beweglichkeit, Körperhaltung und Stabilität bringen Pferd und Reiter in die Losgelassenheit und Balance, verringern Muskelprobleme und reduzieren das Verletzungsrisiko. Das Buch ist im Kosmos Verlag erschienen und kann hier für 29,99 Euro bestellt werden.