Text: Aline Müller    Foto: www.Slawik.com

Im täglichen Training fallen immer wieder Begriffe wie „über den Rücken reiten“. Doch was bedeutet das eigentlich? Oft wird angenommen, dass ein Pferd automatisch über den Rücken geht, wenn es sich vorwärts-­abwärts dehnt und den Hals fallen lässt. Das Pferd wirklich zu lösen ist allerdings eine Aufgabe, die jeder Reiter Tag für Tag ernst nehmen sollte. Dazu ist ein gewisses Verständnis der Anatomie und Biomechanik des Pferdes nötig. Von Natur aus sind Pferde nicht dazu gemacht, Lasten zu tragen. Die Wirbelsäule hängt sozusagen wie eine Hängebrücke zwischen Vorder- und Hinterbeinen. Bei Belastung durch das Reitergewicht gibt sie nach.

Die häufigsten Blockaden

Insgesamt besteht die Wirbelsäule aus etwa 50 einzelnen Knochen. Sie schützt das Rückenmark und dient als Verteiler der Nerven zu den jeweiligen Aufgabengebieten. Außerdem wird die Kraft, die in der Hinterhand entsteht, von der Wirbelsäule bis zum Kopf geleitet. „Ein Pferd besitzt sieben Halswirbel, 18 Brustwirbel und sechs Lendenwirbel. Wenn sich ein Segment zwischen zwei Wirbeln nicht mehr physiologisch bewegt, spricht man von einer Läsion oder umgangssprachlich von einer Blockade. Die häufigsten Blockaden treten am Genick, am Übergang von der Hals- zur Brustwirbelsäule, am 15. Brustwirbel, am Übergang der Brust-Lendenwirbelsäule, am sechsten Lendenwirbel und am Kreuzdarmbeingelenk auf “, erklärt Johanna Hackmann, Physiotherapeutin für Reiter und Osteopathin für Pferde aus Westerkappeln (Nordrhein-Westfalen). Diese zeigt das Pferd auf unterschiedlichste Weise an: Es verwirft sich im Genick, ist auf der einen Seite steifer als auf der anderen, läuft nicht gut vorwärts-abwärts oder hat Schwierigkeiten beim Angaloppieren. Aber auch Unmut beim Satteln oder eine schlechte Lastaufnahme mit der Hinterhand sowie häufiges Stolpern oder Lahmen können Anzeichen für eine Blockade sein.

Muskelaufbau braucht Zeit

Vom Hinterhaupt über den Widerrist bis zum Schweif verläuft die sogenannte „obere Verspannung“. Sie besteht aus dem Nackenband (Hinterhaupt – Widerrist) und dem ­Rückenband (Widerrist – Schweif). Sie zieht sich außerdem weiter bis zu den Fesseln der Hinterhand. Wenn ein Pferd den Kopf senkt, übt das Zug auf das Nacken- und Rückenband aus. Dadurch wird der vordere Teil des Rückens angehoben. Stellen Sie sich vor, dass die Wirbelsäule unter dem Reitergewicht nachgibt. Um den Rücken nun wieder in Normalstellung zu bringen, muss das Pferd den Kopf senken. Junge oder untrainierte Pferde heben ihren Rücken vor allem mit Hilfe der oberen Verspannung. Erst im Verlauf der Ausbildung entwickeln sich Muskeln am Oberhals, die das Nackenband bei dieser Aufgabe unterstützen. Eine wichtige Rolle spielt auch der „Musculus Serratus“. Er füllt gemeinsam mit anderen Muskeln das Dreieck zwischen den Dornfortsätzen des Widerrists und der Halswirbelsäule aus. Beim Senken des Kopfes und Halses wird dieser Muskel gedehnt. So zieht er die Dornfortsätze am Widerrist nach vorne, und der Rücken wird angehoben. Junge Pferde können noch nicht lange in Dehnungshaltung gehen, da der Muskel nach einer Zeit ermüdet und zu schmerzen beginnen kann. Viele Pferde ziehen dann den Kopf hoch. Im Training ist es also immer wichtig, zu hinterfragen, warum ein Pferd scheinbar widersetzlich reagiert. Regelmäßige Pausen und der Wechsel zwischen An- und Entspannung fördern den gesunden Muskelaufbau und minimieren das Risiko, das Pferd zu überfordern.

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