Text: Inga Dora Meyer     Foto: www.slawik.com

Ein korrekt bemuskeltes Pferd gilt als Visitenkarte guten Reitens. Doch nur wer weiß, wie der Pferdekörper in der Bewegung funktioniert, kann seinen Vierbeiner richtig trainieren. In Teil 1 unserer dreiteiligen Trainingsserie vermittelt der Ausbilder Thies Böttcher ­verständliches Basiswissen für ein effektives Training.

Was ist korrektes ­Reiten? Über diese Frage herrscht oft Uneinigkeit. „Manch einer ist verwirrt, wenn gegensätzliche Aussagen über komplizierte anatomische Zusammenhänge jeweils schlüssig begründet werden. Man kann so ziemlich jede These vertreten, wenn man sich nur die richtigen Muskeln heraussucht“, sagt Thies Böttcher, Ausbilder und Oste­opath aus Ammersbek in Schleswig-Holstein. Verwirrung kommt vor allem dann auf, wenn der Reiter nicht genau weiß, wie der Pferdekörper im Training überhaupt funktioniert. Dabei ist weder die Reitweise noch der Reitstil entscheidend. Pferd bleibt Pferd, egal ob Araber, Quarter Horse oder Friese. Die Basis für ein anatomisch korrektes Training ist daher also immer die gleiche, und die fängt mit wenigen Grundvoraussetzungen an.

Voraussetzungen für das Training

Für den Körper des Pferdes sind zwei Dinge sehr wichtig. Erstens: Er muss sich mehrmals täglich auf den Boden ablegen können. „Dazu muss das Pferd nicht nur die Möglichkeit haben, sondern diese auch tatsächlich nutzen“, sagt Böttcher. Laut dem Experten gibt es nicht wenige Fälle, in denen Vierbeiner zwar artgerecht im Offenstall gehalten werden, sich aber aufgrund der Herdenstruktur kaum schlafen legen. Zweitens: Das Pferd muss sich auf der Weide frei bewegen können. Die Fläche muss dafür so groß sein, dass auch ein freier Galopp machbar ist. Beides dient der Entlastung der Tragemuskulatur. „Sind diese Haltungsbedingungen nicht gegeben, kann das fast so problematisch sein wie eine Boxenhaltung mit langen Stehzeiten“, meint der Ausbilder.

Neben der richtigen Haltungsform sollte der Reiter über den Muskelaufbau wissen, dass der Vierbeiner im Allgemeinen höher belastet werden muss, als er das gewohnt ist. Anschließend benötigt er eine Pause, in der er sich erholen kann. Je nach Belastungsintensität sollte diese zwischen 48 und 72 Stunden betragen. Für den Muskelaufbau gibt es also eine klare Regel: Belastung, ­Ermüdung, Erholung und Anpassung. „Alle Elemente müssen vorhanden und aufeinander abgestimmt sein, sonst findet kein Muskelaufbau statt“, so der Ausbilder. Hält der Reiter diese Regel nicht ein, kann der Muskelaufbau durch Unterforderung oder Überbelastung verhindert werden. Im schlimmsten Fall kommt es sogar zu einem Muskelabbau. Um diese Regel einhalten zu können, empfiehlt Böttcher einen Trainingsplan mit klar definierten Trainingskontrollen. Dazu gehört die Wochenplanung und der richtige Aufbau einer einzelnen Trainingseinheit (mehr dazu in Teil 2 der Trainingsserie). „Die Arbeit mit dem Pferd kann sich in diesem Moment nicht mehr an den Bedürfnissen, der Lust oder der Zeit des Besitzers orientieren. Es steht ein Trainingsplan fest, und man muss seine sonstigen Aktivitäten damit abgleichen“, sagt der Experte.

Muckibude für Vierbeiner?

Wichtig ist auch, dass der Reiter das Reittraining nicht mit einem Besuch im Fitnesscenter vergleicht. Während man dort zumeist an Geräten die unterschiedlichen Muskelgruppen separiert aufbaut, kann das Pferd nur Bewegungsabläufe trainieren, die sich durch den gesamten Körper ziehen. Es ist gerade dieser koordinative Aspekt, der Kraft, Leistung und Geschicklichkeit mit sich bringt. „Man sollte sich von dem ­Gedanken verabschieden, dass bestimmte Lektionen für bestimmte Muskeln zuträglich sind“, meint der Experte. Ein für ihn besserer Denkansatz liegt in zwei Funktionsansprüchen: Das Pferd muss seinen Körper so benutzen, dass es ihn in der Bewegung selbst unter Kontrolle hat (Balance), und sich mit dem Reiter auf seinem Rücken in einer bestimmten Art und Weise tragen, ohne seinen Körper fehlzubelasten.

Dabei arbeitet der Pferdekörper immer als Ganzes und muss sich vor allem gegen die Schwerkraft stabil halten. Vor- und Hinterhand sowie Rücken sind über mehrere Muskelketten bzw. Schlingen miteinander verbunden. Besteht auch nur ein einziges Problem in der Kette, ist der gesamte Körper betroffen. Ein Beispiel? „Schwierigkeiten in der Hinterhand resultieren oft aus Funktionsschwächen der Vorhand. Dies zeigt, wie absurd es ist, sich nur auf bestimmte Regionen (meist die Hinterhand) zu konzentrieren. Man kann als Reiter nicht die Funktionsketten ändern, sondern nur Funktionsstörungen vermeiden bzw. beseitigen. Innerhalb dieser Funktionsketten müssen Anpassungen vorgenommen werden, da das Pferd als Reittier anderen Belastungen ausgesetzt ist als in der Natur – umdrehen kann man die Körpergesetze nicht“, so Böttcher.

Funktion der Vorhand

Die Hauptnutzung der Vorhand ergibt sich aus der Physik. Während sich die Vorderbeine des Pferdes am Boden befinden, schiebt sich in der Vorwärtsbewegung die Rumpfmasse über sie nach vorne. Die Vorhand hat nun einiges zu leisten: „Sie muss die Schultergliedmaßen an sich stabil halten, wobei die Seitenstabilität ein Nadelöhr darstellt, weil der gesamte Rumpf seitlich an einem Bein hängt. Weiterhin muss die ­Masse nach vorne/oben gedrückt werden. Daher gilt es im Training, Stabilität und Hub zu stärken.“

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BUCHTIPP

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