Text: Aline Müller         Foto: www.Slawik.com

Manchen Reitern kann das Streben nach Perfektion zu Höchstleistungen verhelfen, andere scheitern regelrecht an dem Druck und den (eigenen) Erwartungen. Dabei gibt es unterschiedliche Formen von Perfektionismus. So schaffen Sie es, Hindernisse zu meistern, ohne daran zu verzweifeln

Das Mindset, mit dem wir beim Reiten an das Thema Perfektion herangehen, spielt eine entscheidende Rolle. Es kommt also auf die Einstellung an. Selbst wer nach Perfektion strebt, ist nicht immer perfekt. Ein positives Mindset wäre, dem Streben eine bestimmte Richtung zu geben, aber sich dabei realistische Ziele zu stecken und auch kleine Fortschritte zu feiern. Es kommt also nicht einfach nur auf das Ziel, sondern auch auf die Reise an. Nehmen wir Delara als Beispiel: Joy hängt im neuen Stall in einem eher starren Mindset fest. Ein paar Monate später ist eine alte Freundin zu Besuch, die auch reitet. Sie merkt, wie sehr Joy unter Druck steht, und spricht sie offen darauf an. „Sie hat mir einfach direkt ins Gesicht gesagt, dass ich mich sehr verändert hätte und so verbissen im Sattel wirken würde“, erinnert sich die 26-Jährige. „Ich musste plötzlich mit den Tränen kämpfen, weil ich tief in mir drin ja genau wusste, dass ich nur versuche, die Erwartungen anderer zu erfüllen, und mir und meinen Pferden damit nichts Gutes tue.“ Um das zu ändern, hinterfragt Joy ganz in Ruhe ihre persönlichen Einstellungen. Sie redet nicht nur mit ihrer Freundin, sondern bestellt sich auch Bücher, um sich genauer mit dem Thema Perfektion auseinanderzusetzen und ihre Reaktionen besser verstehen beziehungsweise einordnen zu können.

Growth oder Fixed Mindset



Menschen haben durchaus unterschiedliche Einstellungen gegenüber Leistung, Lernen und Talent. Wissenschaftlich gesehen wird zwischen einem sogenannten „Growth Mindset“ sowie einem „Fixed Mindset“ unterschieden. Laut Carol Dweck, Psychologie-Professorin an der Stanford University und führende Forscherin auf diesem Gebiet, glauben Menschen mit einem Fixed Mindset, dass ihre grundlegenden Eigenschaften unveränderlich festgelegt sind. Das bedeutet, dass all ihre persönlichen Eigenschaften, Fähigkeiten und Talente alles sind, was sie je besitzen werden. Sie fragen sich ständig, ob sie genug sind, zum Beispiel um bewundert oder beachtet zu werden. Wiederum glauben Menschen mit einem Growth Mindset, dass das, was sie momentan an Eigenschaften, Fähigkeiten und Talenten besitzen, nur der Ausgangspunkt ist und unter anderem durch Lernen, Lehrer und Bemühen weiterentwickelt werden kann. Für sie muss und kann auch nicht jeder ein Genie werden, aber jeder ist in der Lage, sich in einem gewissen Rahmen zu verbessern und zu wachsen. In Bezug auf das Reiten fallen nicht selten Sätze wie „Zum Reiten gehört Talent, und Talent kann man nicht lernen“ oder „Man kann reiten oder eben nicht“. Es scheint so, als würde das Fixed Mindset in der Reiterwelt dominieren. Und wer immer wieder gesagt bekommt, er habe kein Talent, der verliert die Motivation oder sieht jedes Hindernis als Beweis für seinen persönlichen Mangel an Talent. Kein Wunder, dass es Reiter gibt, die resignieren, wenn sie mit schwierigen Situationen konfrontiert sind.

Von Reisen und Prozessen



Joy hat sich hingegen bemüht, Lösungen zu finden, und sich dafür entschieden, Hindernisse nicht als Rückschläge zu sehen oder sich dafür zu schämen. „Nach dem Gespräch mit meiner Freundin habe ich die ersten Zweifel über Bord geworfen. Zu Beginn war es nicht einfach, neues Vertrauen in mich selbst und in meine Fähigkeiten zu entwickeln.“ Doch mit der Zeit gewöhnt sich Delara an alles. Die Dressurreiterin hat endlich wieder Geduld und Ruhe entwickelt, die für ein junges Pferd so wichtig sind. Während beim Fixed Mindset das Ergebnis im Mittelpunkt steht und es neben Angst und Prokrastination auch zu Gefühlen der Wertlosigkeit und sogar zu Depressionen kommen kann, ist der Growth Mindset Perfektionismus hingegen prozessorientiert. Viele Menschen kennen beide Mindsets auf die ein oder andere Weise.

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